Bundesverwaltungsgericht
Bamf darf Handydaten von Geflüchteten nicht anlasslos auswerten
Seit Jahren wertet das Bamf anlasslos Handydaten von Asylsuchenden aus. Jetzt hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die Klägerin sind erleichtert.
Donnerstag, 16.02.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.02.2023, 14:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) darf nicht anlasslos die Handys von Asylsuchenden auswerten. Diese beim Bamf übliche Praxis sei unzulässig, wenn sonstige vorliegende Erkenntnisse und Dokumente nicht hinreichend berücksichtigt würden, entschied der erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts am Donnerstag in Leipzig (Az. BVerwG 1 C 19.21).
Damit wiesen die fünf Bundesrichter die Sprungrevision des Bamf gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin von Juni 2021 (Az. VG 9 K 135/20 A) zurück und bestätigten das Berliner Urteil. Die Auswertung digitaler Datenträger zur Ermittlung von Identität und Staatsangehörigkeit eines Ausländers sei erst zulässig, wenn der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden könne, führten die Richter aus.
Bundesrichter: Mildere Mittel heranziehen
Im konkreten Fall war die 1977 geborene Afghanin Suraya S. im Jahr 2019 in die Bundesrepublik eingereist und hatte im Mai 2019 in Berlin Asyl beantragt. Dabei hatte das Bamf angeordnet, dass die Frau der Behörde die Zugangsdaten ihres Handys und das Gerät selbst zur Verfügung stellen müsse. Das Handy wurde an einen Rechner angeschlossen. Die Daten aus dem Mobiltelefon wurden auf den Rechner übertragen und ausgewertet. Im August 2019 lehnte das Bamf den Asylantrag der Frau ab. Im Mai 2020 erhob S. beim Verwaltungsgericht Berlin Klage.
„Im Fall der Klägerin standen nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts mildere und damit vom Bundesamt vorrangig heranzuziehende Mittel zur Gewinnung weiterer Indizien zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit zur Verfügung“, sagte der Vorsitzende Richter des Ersten Senats, Robert Keller: „Das Handy sagt einem auch nicht, ob jemand afghanischer Staatsangehörigkeit ist.“
„Unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig“
Als Beispiele für mildere Mittel, die dem Bamf bei S. zur Verfügung gestanden hätten, führte Keller die Tazkira, die Heiratsurkunde, Registerabgleiche und eine Nachfrage beim Sprachmittler zu sprachlichen Auffälligkeiten an. Bei einer Tazkira handelt es sich um ein afghanisches Ausweisdokument ohne biometrische Merkmale.
„Damit erweist sich die vom Bundesamt an die Klägerin gerichtete Aufforderung, ihre Zugangsdaten für die Auswertung ihres Mobiltelefons mitzuteilen, als unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig“, erläuterte Keller: „Entsprechendes gilt für die Auswertung des Datenträgers.“
Klägerin erleichtert und froh
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) begrüßte die Entscheidung der Bundesrichter. „Das Urteil ist ein großer Erfolg für den Datenschutz und die Privatsphäre von Geflüchteten“, sagt Rechtsanwältin Lea Beckmann von der GFF. Diese Praxis müsse jetzt aufhören. Der messbare Nutzen sei ohnehin gering gewesen. Auf der anderen Seite stehe der Eingriff in die Intimsphäre der Betroffenen.
Das zeigt auch die Erfahrung der 44-jährigen Klägerin: „Mein Smartphone ist die einzige Verbindung zu meiner Familie. Mit unseren Nachrichten tauschen wir uns über Sorgen, Ängste und unseren Alltag aus. Das ist für mich privat, ich möchte nicht, dass andere Menschen das lesen können. Deshalb hat es sich schrecklich angefühlt, dem Bamf-Mitarbeiter damals mein Handy geben zu müssen. Ich bin froh, dass dies anderen Geflüchteten in Zukunft nicht mehr passieren kann.“
Union machte Weg frei für Ausspähen
Die Anwälte von S. hatten außerdem erreichen wollen, dass das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt wird, damit der EuGH prüfen soll, ob die bundesdeutschen Regelungen mit Europarecht vereinbar seien. Diesem Ansinnen kam der Erste Senat nicht nach.
Die Rechtsgrundlage für das Ausspähen von Handys wurde 2017 trotz Kritik unter Federführung der Unionsparteien eingeführt. Wenn eine asylsuchende Person weder Pass noch Passersatzdokument vorweisen kann, wertet das Bamf seither Datenträger aus, um die Angaben der Person über ihre Identität und Staatsangehörigkeit zu plausibilisieren. Ein konkreter Verdacht gegen die geflüchtete Person war für die Auslesung nicht erforderlich. (epd/mig) Aktuell Recht
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