Zeitenwende
Historischer Wahlsieg eines Linken in Kolumbien
Eine Zeitenwende in Kolumbien: Ab August regieren das Land ein früherer Guerillero und eine afrokolumbianische Umweltaktivistin. Sie wollen die Ungleichheit bekämpfen und fechten damit die Grundfesten der bisherigen Politik an.
Montag, 20.06.2022, 15:37 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.06.2022, 15:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Kolumbien steht vor einem historischen Machtwechsel. Denn die bislang immer regierende Oberschicht in dem traditionell konservativen Land wurde erstmals abgewählt. Am Sonntag (Ortszeit) gewann der Linkspolitiker und Ex-Guerillero, Gustavo Petro, mit 50,44 Prozent der Stimmen die Stichwahl um das Präsidentenamt. Er setze sich damit gegen den Bauunternehmer und rechtspopulistischen Millionär Rodolfo Hernández durch, der auf 47,31 Prozent der Stimmen kam. Hernández räumte noch am Wahlabend seine Niederlage ein. Am 7. August tritt Petro, der davor unter anderem Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá und Senator war, sein neues Amt an.
Historisch ist auch die Wahl seiner Teampartnerin: Vizepräsidentin wird die afroamerikanische Umweltaktivistin Francia Márquez – als erste Person, die von afrikanischen Sklaven abstammt. Rund sieben Prozent der Kolumbianerinnen und Kolumbianer sind schwarz. Márquez kämpfte in der von der Gewalt besonders betroffenen Region Cauca gegen illegale Goldsuche. Mehrfach wurde sie mit dem Tod bedroht. 2018 erhielt Márquez für ihren Kampf den renommierten Goldman-Preis. Die 40-Jährige hat vor allem junge Wählerinnen und Wähler, Angehörige von Minderheiten und Arme mobilisiert.
Reformen versprochen
Für die kommenden vier Jahre haben Petro und Márquez tiefgreifende Reformen versprochen, die Ungleichheit und Armut bekämpfen und die Macht der traditionellen Elite beschneiden sollen. Der studierte Volkswirt Petro möchte höhere Unternehmenssteuern durchsetzen und den Einfluss des Staates in der Wirtschaft stärken. Außerdem verspricht er, dass keine neuen Erdölvorkommen erschlossen werden und der umweltzerstörerische Abbau von Bodenschätzen beendet werden soll. Für Landlose will er eine Bodenreform umsetzen sowie die Investitionen in Bildung und Gesundheit hoch setzen. „Ab heute verändert sich Kolumbien“, sagte Petro in seiner ersten Ansprache als gewählter Präsident. „Wir haben heute Geschichte geschrieben.“
Die kolumbianische Gesellschaft ist tief gespalten. Petro rief die anderen Parteien zur Zusammenarbeit auf. „Es wird niemals politische oder juristische Verfolgung geben, nur Respekt und Dialog“, sagte er. Petro war ab Ende der 70er Jahre in der inzwischen aufgelösten Guerilla M-19 aktiv. Nach seiner Festnahme und dem Urteil eines Militärgerichts war er eineinhalb Jahre in Haft, wo er gefoltert wurde. Seine politischen Gegner halten ihm seine Vergangenheit heute noch vor und schürten im Wahlkampf die Angst, er wolle Kolumbien in „ein zweites Venezuela“ verwandeln.
Erfolg im dritten Anlauf
Es war bereits Petros dritter Anlauf für die Präsidentschaft. 2018 verlor er gegen den amtierenden konservativen Amtsinhaber Iván Duque, der laut Verfassung nicht noch einmal antreten darf. Duque gratulierte Petro zum Wahlsieg. „Wir sind übereingekommen, uns in den nächsten Tagen zu treffen, um einen harmonischen, institutionellen und transparenten Übergang einzuleiten“, schrieb er auf Twitter.
Auch für die Befriedung des politisch zerrissenen Landes will Petro sich einsetzen. In dem seit den 1960er Jahren andauernden Bürgerkrieg wurden mehr als 300.000 Menschen getötet und sieben Millionen vertrieben. Die im Friedensvertrag von 2016 zwischen der Regierung und der inzwischen in eine politische Partei umgewandelte Farc-Guerilla vereinbarte Aufarbeitung der Gräuel verläuft schleppend. Kriminelle Banden, paramilitärische Gruppierungen und Rebellen kämpfen in vielen Gebieten des Landes um Einkommen und die Vorherrschaft im Drogenhandel. (epd/mig) Aktuell Ausland
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