Fremde Welt Hochschule
Uni-Gruppen wollen Studierende aus Arbeitermilieus besser integrieren
Studierende aus Arbeitermilieus fühlen sich als Minderheit an Universitäten oft fehl am Platz. Um ihre Erfolgsaussichten zu verbessern, wurden an einigen Hochschulen sogenannte Anti-Klassismus-Referate gegründet.
Von Rudolf Stumberger Mittwoch, 13.04.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.04.2022, 16:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Die Uni“, sagt Markus Striese, „ist schon eine ganz andere Welt.“ Eine andere Welt jedenfalls als jene, die er bis vor ein paar Jahren kannte. Der 32-Jährige im fünften Semester stammt aus München-Neuperlach, sein Vater war zuletzt Lkw-Fahrer. Er selbst ist mit einem Hauptschulabschluss eher ein Exot unter den Studierenden, die zum größten Teil aus Akademikerfamilien stammen. Seit dem Wintersemester ist Striese für das sogenannte Anti-Klassismus-Referat an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zuständig. Dabei geht es um den Kampf gegen Benachteiligungen wegen der sozialen Herkunft.
Das Referat für Anti-Klassismus wurde an der LMU im Oktober 2020 gegründet. Es soll dazu beitragen, Studierenden aus einem nicht-akademischen Elternhaus einen „niederschwelligen und verständnisvollen Erfahrungsaustausch“ an der Universität zu ermöglichen. Betroffene können ihre Erlebnisse an den Hochschulen thematisieren, die sie teilweise als diskriminierend oder abwertend empfinden.
Ohne familiäres Vermögen im Rücken
Markus Striese ist dafür ein Beispiel. Seine Eltern sind Nicht-Akademiker. Nach der Hauptschule hat er eine Lehre als Groß- und Einzelhandelskaufmann gemacht und schließlich seinen Meisterbrief als Betriebsinformatiker erhalten. Mit dieser Berufsausbildung kann er in Bayern ohne Abitur auf dem dritten Bildungsweg studieren.
Striese studiert empirische Kulturwissenschaften und Soziologie. Und die ersten Semester seien hart gewesen, sagt er. Nicht nur, dass er nebenbei arbeiten und Geld verdienen musste. Die Leute an der Universität sprachen eine andere Sprache, trugen eine andere Kleidung und hatten andere Erfahrungen, etwa mit Auslandsreisen, aufzuweisen als er. Striese hat kein Einfamilienhaus oder ein familiäres Vermögen im Rücken, ihm fehlen nützliche Beziehungsnetze. Keine guten Voraussetzungen, um das Gefühl dazuzugehören zu entwickeln.
Entfremdung von dem Milieu der Eltern
Der Soziologe Ralf Dahrendorf (1929-2009) fasste die spezielle Erfahrung von Arbeiterkindern an den Universitäten bereits 1965 so in Worte: „Die eine seiner Welten ist tot, und doch ist er ohnmächtig, die andere zu gewinnen.“ Er meinte damit die Entfremdung von dem Milieu der Eltern, ohne in der akademischen Welt anzukommen. „Mittlerweile falle ich an der Uni nicht mehr so groß auf“, sagt Student Striese.
Seine vier Stellvertreter im Anti-Klassismus-Referat der LMU haben ähnliche biografische Hintergründe. Stephanie Krallinger (29) kam über den dritten Bildungsweg an die Uni. Sie ist gelernte Bürokauffrau, kommt ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie und studiert jetzt Politikwissenschaft und Soziologie. In diese Fächer hat sich auch Mira Vaassen (21) eingeschrieben, ihr Weg verlief über die Realschule und die Fachoberschule. Schließlich als Vierter im Bunde dabei ist Niclas Vaccalluzzo. Der Vater des 24-jährigen Studenten der Sozialwissenschaften ist Frührentner.
Soziale Herkunft entscheidet über Bildungschancen
Nach wie vor spielt in Deutschland Studien zufolge die soziale Herkunft bei den Bildungschancen eine große Rolle. Der Anteil von Arbeiterkindern an den Universitäten ist im Vergleich zu anderen Ländern gering. Aktuell nehmen von 100 Arbeiterkindern 21 ein Hochschulstudium auf.
Für Studierende aus benachteiligten sozialen Gruppen wollen die Anti-Klassismus-Referate an den Hochschulen eine Anlaufstelle sein, sagt Markus Striese. Aber es gehe auch über die Universität hinaus: „Wir wollen sichtbar machen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben“, sagt der Student. Dass etwa das „Gerede über die Leistungseliten“ in den Chefetagen lediglich ein Mythos sei. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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