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Urwald (Archiv) © JanBartel @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Weltkulturerbe

Vertreibung für den Naturschutz

Mehr als 1.100 Unesco-Welterbestätten gibt es weltweit. Doch manchmal geht der Schutz historischer Bauten oder artenreicher Landschaften zulasten der dort lebenden Bevölkerung. Menschenrechtler fordern deshalb, Ureinwohner besser einzubeziehen.

Von Donnerstag, 24.03.2022, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 23.03.2022, 16:12 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Vertreibung, Armut und Hunger unter dem Vorzeichen des Naturschutzes: Vor knapp 50 Jahren wurde die Welterbe-Konvention der Unesco verabschiedet, mit der wertvolle Kultur- und Naturlandschaften geschützt werden sollen. Für manche Menschen, die in solchen Gebieten leben, ist das Jubiläum jedoch kein Grund zum Feiern – denn ihre Bedürfnisse können mit dem Naturschutz kollidieren.

Insgesamt 1.154 Unesco-Welterbestätten gibt es weltweit. Ausgezeichnet werden historische Bauten wie die Tempel von Angkor in Kambodscha oder die in Stein gehauenen Kirchen im äthiopischen Wallfahrtsort Lalibela. Es gehören aber inzwischen auch 218 Naturlandschaften dazu, etwa der Ngorongoro-Nationalpark in Tansania oder das Great Barrier Reef in Australien. Mit der Auszeichnung einher gehen oftmals strengere Vorgaben, um die bedrohten Bauten und Landschaften sowie die dort lebenden Tiere zu schützen.

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Plage: Weltkulturerbe

Das geht manchmal zulasten der Menschen, die dort leben – etwa im Pamir-Gebiet in Tadschikistan, sagt der Direktor von „World Heritage Watch“, Stephan Dömpken. 2007 war er – damals noch als EU-Berater – in der Hochgebirgsregion unterwegs. An die „furchtbare Armut und die schlimmen Lebensverhältnisse“ der dort umherziehenden semi-nomadischen Hirten aus dem Nachbarland Kirgisistan erinnert er sich noch gut. Seitdem das 2,5 Millionen Hektar große Areal 2013 zum Weltkulturerbe erklärt und die Weide- und Viehwirtschaft weiter eingeschränkt wurde, hat sich die Situation noch verschärft. „Die Begutachter-Komitees glauben oft, die Gebiete seien menschenleer“, sagt Dömpke. „Aber das ist natürlich falsch.“

Dabei ist es nicht zwangsläufig die Unesco, die mit strengeren Vorschriften das Leben der Anwohner erschwert. Im Ngorongoro-Nationalpark etwa nutzt die tansanische Regierung laut Menschenrechtlern den Welterbe-Status für Verbote und Vertreibung, um eigene Interessen zu verfolgen. Bis in die 1970er Jahre durfte die lokale Bevölkerung – Massai und Semi-Nomaden – in dem artenreichen Gebiet Land- und Weidewirtschaft betreiben. 1979 wurde der Park im Norden Tansanias als Weltnaturerbe ausgezeichnet, 2010 kam der Titel Weltkulturerbe dazu. Seit 2016 dürfen Viehherden bestimmte Bereiche nicht mehr durchweiden.

Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit

Die lokale Menschenrechtsorganisation Pingo befragte im Frühjahr 2021 zahlreiche Indigene in dem Nationalpark. Demnach herrscht unter den Bewohnern des Gebiets Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit. Zuletzt häuften sich Vorwürfe, wonach die tansanische Regierung plant, Zehntausende Massai zu vertreiben. Offiziell wolle man damit auf die Kritik der Unesco am „angeblich schlechten Zustand“ des Welterbes reagieren, sagt die Organisation „Rettet den Regenwald“. Doch das sei nur vorgeschoben. „In Wirklichkeit soll der Tourismus gefördert werden.“

Für internationale Kritik sorgt auch ein Fall aus Thailand. Beobachtern zufolge wurde die Volksgruppe der Karen bei der Aufnahme des Waldgebietes Kaeng Krachan in die Welterbe-Liste komplett übergangen. Mehrfach hatten sogar UN-Menschenrechtsexperten dem Komitee der Unesco geraten, den Naturerbe-Status nicht zu vergeben. Sie berichteten von besorgniserregenden Menschenrechtsverletzungen und Morden an Aktivisten, die sich gegen eine Umsiedlung wehrten. Nachdem die Unesco das thailändische Ansinnen zweimal abgelehnt hatte, nahm das Komitee das Gebiet im Juli 2021 schließlich doch auf.

Rechte übergangen

„Wir stellen immer wieder fest, dass die Rechte der indigenen Bevölkerung, so wie sie im internationalen Recht verankert sind, nicht eingehalten werden“, sagt Chris Chapman, Experte für die Rechte von Indigenen bei Amnesty International. Ihr Recht auf Anhörung und Zustimmung bei der Entscheidung über die Einrichtung von Naturschutzgebieten werde häufig übergangen. Menschenrechtler wie Dömpke und Chapman sind keineswegs gegen Naturschutz. Er müsse nur anders gehandhabt werden, sagt Dömpke. Zum Beispiel müssten die Welterbe-Komitees regelmäßig Gespräche mit den lokalen Einwohnern führen.

Die Unesco-Administration in Paris tut sich mit Stellungnahmen zu den Vorwürfen schwer. Der Leiter der Unesco-Naturerbe-Einheit, Guy Debonnet, stellt „bessere Dialog- und Konsultationsprozesse“ in Aussicht. Dafür sei eine Resolution auf den Weg gebracht worden, um „darüber nachzudenken, wie lokale Gemeinschaften künftig besser involviert werden können“. Konkreter wird er nicht. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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