„Richtige Richtung“
Klimaforscher: „Ich bin tatsächlich optimistisch“
Anders Levermann ist Physiker und arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Seit 2004 ist er einer der Ko-Autoren der Berichte des UN-Weltklimarats (IPCC). Im Gespräch erklärt er, warum er optimistisch in die Zukunft blickt.
Von Bettina Markmeyer Freitag, 12.11.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.11.2021, 17:48 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Herr Professor Levermann, der Weltklimarat hat einen neuen, aktuellen Sachstandsbericht veröffentlicht. Steht darin irgendetwas, das wir nicht schon wissen, sehen oder fürchten?
Anders Levermann: Es steht auf jeden Fall etwas drin, das in der Form noch nicht klar war, weil die Wissenschaft voranschreitet und der letzte umfassende Bericht aus dem Jahr 2013 stammt. Und obwohl die Berichte stets vorsichtig formuliert sind, werden wir mit noch größerer Sicherheit sehen, dass ungebremster Klimawandel ein nicht kalkulierbares Risiko bedeutet.
Was muss die nächste Bundesregierung tun?
Sie muss den Strukturwandel voranbringen. Auf null Emissionen zu kommen bedeutet: etwas fundamental anders zu machen. Es bedeutet nicht: weniger zu machen. Viele Leute denken „Verzicht“, wenn sie an Klimawandel denken. Und haben den Reflex: Das ist schlecht für die Wirtschaft. Wenn Sie aber eine Umstrukturierung von der Schreibmaschine zum Computer haben, dann haben Sie nicht weniger, sondern etwas fundamental anderes. Ähnlich ist es bei der Umstellung von fossiler auf erneuerbare Energie. Das muss nicht schlecht für die Wirtschaft sein, wenn man es richtig macht.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn wir zum Beispiel von Verbrennungsmotoren vollständig auf Elektromotoren umsteigen, die mit regenerativen Energien gespeist werden, dann ist das ein Strukturwandel. Wir fahren weiter Auto, aber andere Autos: sauberere, leisere und effizientere. Das ist Fortschritt. Auch wenn Sie von Kohle auf erneuerbare Energien wechseln, können Sie auf null Emissionen kommen. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Strukturwandel und Einsparung von Emissionen.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat auf die Frage, ob die Überschwemmungen im Westen Deutschlands für ihn einen Wendepunkt markieren, geantwortet: „Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“. Hat er Recht damit, Entscheidungen nicht auf Extremereignisse zu stützen?
Es geht natürlich nicht um ein einzelnes Ereignis, sondern um eine vorhergesagte Tendenz, die zudem tief in der Grundlagenphysik verankert ist, nämlich im Clausius-Clapeyron-Gesetz von 1843: Je wärmer die Atmosphäre ist, desto mehr Wasser nimmt sie auf. Die Menge an Wasser, die wir in die Atmosphäre bekommen, steigt exponentiell, also immer schneller, je höher man mit der Temperatur kommt. Und dieses Wasser regnet dann auch öfter heftiger ab.
Glauben Sie, dass die Politik die Kraft hat, sowohl kurzfristige Anpassungsmaßnahmen einzuleiten als auch langfristig umzusteuern?
Wir können nicht das eine tun und das andere lassen. Es wäre kurzsichtig, jetzt nur auf Anpassung zu setzen. Sie ist wichtig, aber nur eine rasche Reduktion unseres Ausstoßes an Treibhausgasen kann die großen Risiken dauerhaft begrenzen. Wir haben bereits ein Grad globale Erwärmung. Und dass die globale Temperatur um ein weiteres halbes Grad steigt, ist jetzt schon so gut wie sicher. Wenn wir keinen Klimaschutz machen, wären wir am Ende des Jahrhunderts bei fünf Grad. Was das bedeuten würde, weiß momentan niemand. Überall auf dem Globus überholen wir schon jetzt einen Höchstwert nach dem nächsten. Wetterrekorde, die teilweise mehr als 150 Jahre Bestand hatten, werden übertroffen.
Sind Sie eher Optimist, oder haben Sie den Glauben daran verloren, dass genug gegen den Klimawandel getan werden wird?
Ich bin sehr optimistisch, tatsächlich. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit der atomaren Bedrohung durch zwei Weltmächte – als es wirklich darum ging, dass wir mit einem Knopfdruck die gesamte Menschheit hätten vernichten können. Wir haben heute das Problem der atomaren Bedrohung natürlich nicht gelöst, aber doch gebändigt.
Der Klimawandel ist ein riesengroßes Problem – und ein in vieler Hinsicht wesentlich komplexeres Problem. Es gibt Trägheiten im Erdsystem, so dass wir die von der Wissenschaft vorhergesagten Folgen unseres Handelns real oft erst 20 Jahre später wirklich sehen. Dann können wir aber an den Folgen kaum noch etwas ändern. Diese Zeitverzögerung macht das Problem politisch unattraktiv. Aber: Wir sind gerade dabei, mit großen Schritten hin zur Lösung zu gehen.
Wie meinen Sie das?
Wir haben jetzt mit Nordamerika einen starken Block – vom US-Präsidenten Biden bis zum kanadischen Premier Trudeau -, der wirklich Klimaschutz machen will, und zwar Wirtschaftswachstum mit Klimaschutz. In Europa haben wir sehr starke Klimaziele, mit Strukturwandel. Der Verbrennungsmotor soll bis 2035 auslaufen – eine revolutionäre Aussage, wenn sie von einer Institution wie der EU-Kommission kommt. Und wir haben in China wahrscheinlich in diesem einen Punkt Klima einen Partner, der weiß, dass die Auswirkungen des Klimawandels in seinem Land nicht mehr kontrollierbar sind, wenn er einfach weiter Treibhausgase ausstößt. Damit haben wir die drei mächtigsten Wirtschaftsblöcke der Welt, die in die gleiche Richtung – und zwar in die richtige Richtung – arbeiten.
Wer Nachrichten hört, kann kaum optimistisch sein. Der Golfstrom schwächelt. Europa kämpft mit Wetterextremen. Südafrika nimmt das viertgrößte Kohlekraftwerk der Welt in Betrieb.
Ja, wir wandeln auf Messers Schneide. Wir werden das auch noch 20, 30 Jahre lang weiter tun. Und wenn wir auf die falsche Seite kippen, dann ist es wirklich gefährlich. Aber: So ist es, wenn sie ein globales Problem lösen wollen und internationale Abstimmungen notwendig sind.
Haben wir bis heute nicht schon 30 Jahre verloren?
Aus wissenschaftlicher Sicht sind es verlorene Jahre, klar. Fast alles was wir heute zur Notwendigkeit der Vermeidung von Klimarisiken wissen, war auch schon vor 30 Jahren im Grundsatz klar. Als ich vor 20 Jahren mit Klimaforschung angefangen habe, betrug die globale Erwärmung 0,6 Grad. Jetzt sind wir bei 1,2 Grad. Das Ziel, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen, ist fast nicht mehr zu erreichen. Das ist alles verlorene Zeit. Aber es musste offenbar diesen langen Prozess geben, damit wir heute da sind, wo wir sind: an der Schwelle zur Lösung des Klimaproblems. Jetzt müssen wir über diese Schwelle allerdings auch gehen und zwar nachhaltig. (epd/mig) Aktuell Interview
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