Studie

Migranten können die Bundestagswahl entscheiden

Wähler mit Migrationshintergrund können die Bundestagswahl entscheidend beeinflussen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Dennoch sind Migranten stark unterrepräsentiert in Parlamenten und ihre Themen spielen kaum eine Rolle.

Dienstag, 14.09.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.09.2021, 16:06 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Über die Zweitstimme könnten Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund die Sitzverteilung im deutschen Bundestag erheblich beeinflussen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie von „Citizens For Europe“ (CEF), eine zivilgesellschaftliche Organisation mit Sitz in Berlin. Untersucht wurde erstmals, welchen Einfluss die Stimmen der wahlberechtigten Migranten bei Wahlen haben können: In 167 von 299 Wahlkreisen (56 Prozent) übersteigt die Anzahl an wahlberechtigten Migranten den Abstand zwischen der erst- und zweitplatzierten Direktkandidaten der letzten Bundestagswahl.

Damit nicht genug. Der Einfluss der Wähler mit Migrationshintergrund wird CEF zufolge weiter steigen. Bei der Bundestagswahl 2017 hatten rund 6,3 Millionen Wähler einen Migrationshintergrund. Ihr Anteil an der Wählerschaft liegt derzeit bei knapp über 10 Prozent. CEF prognostiziert einen weiter steigenden Einfluss aufgrund der demographischen Entwicklung und konstanten Einbürgerungsquoten unter den 11,4 Millionen ausländischen Staatsbürgern in Deutschland. Aktuell hat etwa ein Viertel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund, bei Kindern und Jugendlichen steigt dieser Anteil auf ein Drittel. In Städten wie Frankfurt, München und Nürnberg liegt der Anteil unter jungen Menschen bei über 60 Prozent.

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Demokratiedefizit

Kritik übt die Organisation, dass mehr als die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland nicht wählen dürfen, weil das Wahlrecht immer noch an die deutsche Staatsbürgerschaft und nicht beispielsweise an den langfristigen Wohnsitz geknüpft ist. „Menschen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft besitzen also weitestgehend gleiche Pflichten aber nicht gleiche Rechte. Hierin kann eine Verletzung des Demokratieprinzips gesehen werden, welches vorsieht, alle Menschen an der Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen, wenn sie von Entscheidungen betroffen sind“, heißt es in der Studie.

Dass sich unter den nicht wahlberechtigten auch Kinder und Enkel der ersten Anwerbegeneration befinden mache das Demokratiedefizit in Deutschland besonders augenfällig, kritisiert CEF weiter. Dabei hätten ihre Familien einen „wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau und damit auch zur Konsolidierung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland beigetragen“. Dieses Demokratiedefizit mache sich vor allem in Stadtstaaten und Städten bemerkbar. So lebten allein in Berlin ca. 690.000 Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die älter als 18 Jahre sind, aber kein Bundeswahlrecht haben. Zum Vergleich: Stuttgart, die sechstgrößte Stadt Deutschlands, hat etwa 640.000 Einwohner.

Fehlende Repräsentation

Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Repräsentanz der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Im Bundestag etwa hätten lediglich 8,2 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund. Noch geringer falle der Anteil von Oberbürgermeistern mit Einwanderungsgeschichte aus (2 Prozent oder 5 Personen).

Die fehlende Repräsentation schlägt sich laut Studie auch auf die fehlende Priorisierung der Themen der Einwanderungsgesellschaft im Wahlkampf nieder. Obwohl zahlreiche zivilgesellschaftliche Bündnisse und Organisationen Empfehlungen entwickelt und vorgelegt haben, würden diese von den Parteien nicht oder kaum in Wahlprogrammen oder im Wahlkampf thematisiert, lautet die Kritik. „Vermutlich ist dies auch eine Ursache dafür, dass sich Eingewanderte seltener mit einer Partei identifizieren“, so die Studienautoren.

Der Erhebung zufolge haben ein Viertel der Befragten fünf Jahre nach ihrer Einwanderung mindestens einmal eine Parteibindung angegeben, nach 15 Jahren waren es etwa die Hälfte — deutlich weniger als unter Deutschen ohne Migrationshintergrund. Damit einher gehe eine niedrigere Wahlbeteiligung von Migranten um bis zu 20 Prozentpunkten.

Nicht eingehaltene Versprechen

Kritik formulieren die Studienautoren auch im Hinblick auf die Nichteinhaltung von Versprechen. Vor dem Hintergrund des NSU Terrors, der Anschläge in München, Hanau, Halle und dem Mord an Walter Lübcke habe sich die Bundesregierung durch den Druck von der Straße gezwungen gesehen, erstmals auf höchster politischer Ebene ein „Antirassismuskabinett“ ins Leben zu rufen und 89 Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus zu verabschieden. „Ein Jahr später zeigt sich: Der mediale Diskurs ist abgeflacht und zentrale Maßnahmen, wie ein Demokratiefördergesetz, wurden nicht umgesetzt“, heißt es in der Studie.

Die Experten fordern bessere Daten über die Verteilung von Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund. Bisher würden durch den Bundeswahlleiter leidglich der Anteil an Ausländer an der Wohnbevölkerung auf Wahlkreisebene bekanntgegeben. Das sei zu wenig und nicht zielführend, weil Ausländer ohnehin nicht wahlberechtigt sind. Um die Erfassung der Repräsentation und des potentiellen Einflusses von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund zu sehen, seien verlässliche Daten zu deren Verteilung nötig. (mig) Leitartikel Politik

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