Hamburg
Jüdisches Leben soll „sichtbarer“ werden
Nach der antisemitischen Attacke auf einen Studenten will Hamburg mehr tun, um jüdisches Leben in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Der Angreifer vom Sonntag wurde inzwischen in die Psychiatrie eingewiesen.
Dienstag, 06.10.2020, 21:15 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.10.2020, 11:29 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das jüdische Leben in Hamburg soll nach den Worten von Bürgermeister Peter Tschentscher sichtbarer und erfahrbarer gemacht werden. Vor allem der jüngeren Generation müsse der Zugang erleichtert werden, sagte der SPD-Politiker nach einem Spitzengespräch mit der Jüdischen Gemeinde am Dienstag im Rathaus. So wolle die Stadt den Jugendaustausch mit Israel fördern. Wer jüdische Menschen persönlich kenne, sei gegen antisemitische Vorurteile eher gewappnet. Am Sonntag hatte ein Mann einen jüdischen Studenten vor der Synagoge in Hamburg attackiert und schwer verletzt.
Der Angreifer ist inzwischen in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden. Es gebe Hinweise auf eine psychische Krankheit, die zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit geführt haben könnte, sagte die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, am Dienstag.
Tschentscher sagte, die Stadt wolle dem entgegenwirken, dass sich die Jüdische Gemeinde aus der Öffentlichkeit zurückziehe. Ein sichtbares Zeichen für das jüdische Leben in Hamburg solle der geplante Wiederaufbau der Synagoge am Bornplatz im Grindelviertel sein, die in der NS-Zeit zerstört wurde. Zudem werde die Hansestadt in nächster Zeit einen Antisemitismusbeauftragten bestellen, bekräftigte der Bürgermeister. Mit der Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit sei bereits vor dem Anschlag begonnen worden.
Rabbiner fordert mehr Schulprojekte
Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sprach sich für mehr Schulprojekte zum Judentum aus. Jeder junge Mensch in Hamburg sollte eine Synagoge oder eine jüdische Einrichtung besucht haben, forderte er.
Die Jüdische Gemeinde will trotz des Anschlags ihre regulären Aktivitäten fortsetzen. Es werde nicht die geringsten Änderungen im Programm geben, sagte Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, dem epd. Die Sicherheit für die Gemeinde müsse verbessert werden. Dazu zählten auch bauliche Veränderungen. Die Jüdische Gemeinde sei dafür im Gespräch mit der Polizei und anderen Sicherheitsstellen.
Jüdischer Student vor Synagoge angegriffen
Die Stimmung unter den Gemeindemitgliedern ist nach den Worten Stricharz‘ „gefasst“, aber auch „ernüchtert“. Man sei bisher davon ausgegangen, dass die Schutzmaßnahmen in Hamburg greifen müssten. „Es hätte nicht so weit kommen dürfen.“ Es könne nicht sein, dass jüdische Gemeindemitglieder nicht einmal mehr vor der Synagoge eine Kippa tragen dürften.
Vor der Synagoge in Hamburg-Eimsbüttel war am Sonntag ein 26-jähriger jüdischer Student mit einem Klappspaten angegriffen und schwer verletzt worden. Er war unmittelbar nach der Tat mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden, hat nach Polizeiangaben das Krankenhaus am Dienstag aber wieder verlassen. Der 29-jährige Angreifer, ein Deutscher mit kasachischen Wurzeln, wurde in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Es gibt nach Angaben der Staatsanwaltschaft Hinweise auf eine psychische Krankheit, die zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit geführt haben könnte.
Zentralrat fordert mehr Schutz
Der Zentralrat der Juden in Deutschland bekräftigte unterdessen, „dass jüdische Einrichtungen einen hohen Schutz brauchen“. Die Attacke von Hamburg zeige, dass es derzeit keine andere Möglichkeit gebe, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Vorfall sollte genau analysiert werden, um gegebenenfalls Schwachstellen aufzudecken und zu beseitigen.
Zugleich forderte Schuster – wie auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) – mehr öffentliche Information über jüdisches Leben, um antisemitische Gewalttaten besser zu verhindern. „Wir brauchen eine bessere Aufklärung und Bildung der Bevölkerung. Es geht darum, das Judentum, jüdisches Leben bekannter zu machen – nicht immer im Zusammenhang mit der Schoah, nicht nur aus der Opferperspektive“, sagte er. Jüdisches Leben sollte etwas Selbstverständliches sein. Auch Lambrecht dringt auf demokratische Bildung, um Antisemitismus vorzubeugen. „Wir müssen mehr für die Prävention tun, an Schulen, Bildungseinrichtungen und überall sonst, wo sich Menschen begegnen“, sagte sie in der „Passauer Neuen Presse“. (epd/mig) Aktuell Panorama
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