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Polizei © Eoghan OLionnain @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Lagebericht

Hunderte Rechtsextremismus-Verdachtsfälle in Sicherheitsbehörden

Zwischen 2017 und März 2020 wurden in den Sicherheitsbehörden mehr als 350 rechtsextreme Verdachtsfälle erfasst. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten Lagebericht des Verfassungsschutzes hervor. Darin sind die „NSU 2.0“-Fälle noch gar nicht enthalten.

Montag, 28.09.2020, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.09.2020, 17:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Bundesamt für Verfassungsschutz verzeichnet in seinem erstmals erstellten Lagebericht zu Rechtsextremisten in den deutschen Sicherheitsbehörden einem Zeitungsbericht zufolge mehr als 350 Verdachtsfälle. Erfasst wurde ein Zeitraum von gut drei Jahren, von Anfang Januar 2017 bis Ende März 2020, wie die „Welt am Sonntag“ berichtete. Der mehr als 100 Seiten starke und als vertraulich eingestufte Bericht solle im Oktober vorgelegt werden.

Die meisten rechtsextremen Verdachtsfälle unter den Bundesländern meldete den Angaben nach Hessen. Das dortige Innenministerium erklärt dies damit, dass bereits seit zwei Jahren besonders intensiv in diesem Bereich intern ermittelt werde, wie es hieß. Dort liefen in den vergangenen drei Jahren 59 dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen. Bei 50 davon seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden, 29 seien eingestellt worden. In elf Fällen erfolgten Entlassungen oder Nichternennungen ins Beamtenverhältnis.

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In Bayern leitete die Polizei der Zeitung zufolge 30 Disziplinarverfahren ein, von denen die meisten noch laufen. Baden-Württemberg habe 15 Verdachtsfälle gemeldet, Niedersachsen 26 Disziplinar- und Strafverfahren und Nordrhein-Westfalen 43. Nach dem Ende des abgefragten Zeitraums seien in NRW jedoch weitere Fälle aufgetaucht, mittlerweile seien es 100. In den anderen Sicherheitsbehörden falle auf, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) keinen einzigen Fall für den abgefragten Zeitraum gemeldet habe, hieß es.

Neuer Fall in Sachsen

Erst am Freitag war bekannt geworden, dass in Zusammenhang mit rechtsextremen und rassistischen Chats auch in Sachsen ein Polizist vom Dienst suspendiert wurde. Der Beamte steht dringend im Verdacht, sich als Teilnehmer einer Chat-Korrespondenz rechtsextrem und rassistisch geäußert zu haben, teilte die Polizei in Leipzig mit. Der tatverdächtige Polizist müsse nun aufgrund seiner Äußerungen sowohl mit straf- als auch mit dienst- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen rechnen, hieß es. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg habe Leipzig über Erkenntnisse aus einem Chatverlauf informiert.

„Das Handeln eines Einzelnen wirkt sich einmal mehr unmittelbar auf das Ansehen aller Kolleginnen und Kollegen der Polizei aus“, erklärte Polizeipräsident Torsten Schultze. Aufgabe der Polizei sei der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. „Rechtsextremistisches Gedankengut hat in unserer Polizei nichts zu suchen“, betonte der Polizeipräsident: „Dessen Existenz darf daher nicht kleingeredet werden und wird in unseren Reihen nicht toleriert.“

NSU 2.0 nicht im Bericht enthalten

Abgefragt wurden laut Bericht der Bundesnachrichtendienst, der MAD, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, die 16 Länderpolizeien und die Verfassungsschutzämter mit insgesamt rund 300.000 Mitarbeiter. Die Behörden hätten einen Fragebogen zu rechtsextremen Fällen in ihren Häusern ausfüllen müssen, den das Bundesamt für Verfassungsschutz zentral ausgewertet habe.

Nicht in dem Lagebericht enthalten sind den Angaben zufolge jüngst bekanntgewordene Vorfälle wie Drohmails unter dem Namen „NSU 2.0“ in Hessen nach Adressabrufen aus Polizeicomputern, rechte Chatgruppen von Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern und im nordrhein-westfälischen Mülheim.

Initiative prangert rechte Tendenzen bei Polizei an

Wegen mehreren zuletzt bekanntgewordenen Fällen hat die Solinger Initiative „Die Polizei muss besser werden“ am Freitag mit einer Kundgebung vor dem NRW-Innenministerium in Düsseldorf protestiert. Vor dem Ministerium wurde eine Wolfsskulptur des Bildhauers Rainer Opolka aufgestellt. Die Bronzeskulptur trage eine Mütze der nordrhein-westfälischen Polizei und recke das rechte Vorderbein zum Hitlergruß.

Hintergrund der Aktion ist das in der vergangenen Woche aufgeflogene, mutmaßlich rechtsextremistische Netzwerk, über das 30 Polizistinnen und Polizisten regelmäßig Chatnachrichten ausgetauscht haben sollen. Die meisten der vom Dienst suspendierten Beamtinnen und Beamten stammen aus der Polizeiwache Mülheim, die zum Polizeipräsidium Essen gehört.

Der in Brandenburg lebende Opolka erscheine mit seinen Wolfsskulpturen immer dort, wo Menschenrechte und Demokratie gefährdet seien, hieß es. Bislang war er den Angaben zufolge an etwa 20 Orten, etwa in München zum NSU-Prozess oder in Chemnitz nach rechten Unruhen im vergangenen Herbst. Zuletzt standen seine Wölfe in Halle (Saale) nach dem Anschlag auf die jüdische Synagoge und vor der AfD-Bundesgeschäftsstelle in Berlin. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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