Interview mit Christian Pfeiffer

„Ist ein Ausländer dabei, wird die Polizei eher gerufen“

Der Kriminologe Christian Pfeiffer hält in Deutschland ein solches Ausmaß von Gewalt und Rassismus bei der Polizei wie in den USA für undenkbar. Im Gespräch fordert er aber unabhängige Beschwerdestellen für Anzeigen gegen Polizisten.

Von Freitag, 05.06.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.06.2020, 23:37 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Herr Pfeiffer, hat Ihrer Ansicht nach auch die deutsche Polizei ein Problem mit rassistischer Diskriminierung und rassistisch motivierter Gewalt?

Christian Pfeiffer: Wir sind weit entfernt von amerikanischen Verhältnissen. So hat sich die Situation bei der Polizei in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren auch deshalb deutlich verbessert, weil unter den Neuzugängen mittlerweile rund 50 Prozent Frauen sind. Polizistinnen sind kommunikativer und in speziellen Konfliktsituationen auch souveräner. Wenn sie etwa zu Fällen häuslicher Gewalt gerufen werden, setzen sie den Schlagstock nur halb so oft ein wie ihre männlichen Kollegen. Stattdessen tragen sie zur Deeskalation des Geschehens bei und verringern das Risiko schwer verletzt zu werden. Die schrittweise Feminisierung der Polizei hat dazu beigetragen, dass die Polizei insgesamt besser darauf vorbereitet ist, im Konfliktfall klug zu kommunizieren.

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Und in den USA ist das nicht so?

Christian Pfeiffer: Der Frauenanteil in den USA ist viel niedriger. Zudem ist die amerikanische Polizei ein Auffangbecken für Veteranen. Das ist seit jeher eine richtige Belastung. Viele haben mit der Waffe in der Hand in Vietnam, dem Irak oder in Afghanistan für die USA gedient und werden danach in einem Schnellkursus zu Polizisten umgeschult. Sie sind aber erfahrene Frontkämpfer, die oft Feindbilder brauchen, um ihre Kriegermentalität ausleben zu können. Das ist Gift für jede gute Polizei.

Ist das das einzige Merkmal, das die deutsche von der US-amerikanischen Polizei unterscheidet?

„Doch, auch bei der deutschen Polizei entwickeln sich Vorurteile. So werden die Beamten mit ausländischen Tätern häufiger konfrontiert, als es deren realem Anteil entspricht. Das resultiert daraus, dass Taten von Ausländern häufiger angezeigt werden. „

Christian Pfeiffer: Der wichtigste Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist die Erziehung der Kinder mit Gewalt. Noch 2014 bejahten drei Viertel der unter 40-jährigen amerikanischen Eltern den Satz: „Jedes Kind braucht ab und zu eine Tracht Prügel.“ Eltern dürfen ihre Kinder auch heute noch schlagen. In 19 US-Bundesstaaten ist die Prügelstrafe durch Lehrer noch erlaubt. Als die heutigen gestandenen Polizisten Kinder waren, wurden sie regelmäßig gezüchtigt, ganz nach dem Motto „Viele Hiebe, wenig Liebe“. Daraus entstehen Rassismus und die Begeisterung für die Todesstrafe und für Waffen. Die Waffenbegeisterung der Amerikaner ist auch herbeigeprügelt.

Können Sie das näher erläutern?

Christian Pfeiffer: Wer in seiner Kindheit in ständiger Angst und Ohnmacht aufwächst, giert später danach mächtig zu sein. Waffen verleihen ihm das Gefühl von Macht. Und wer sich nicht geliebt fühlt, der entwickelt kein Urvertrauen. Er gerät vor jeder potenziellen Bedrohung in eine innere Habacht-Stellung. In Deutschland hat dagegen in den letzten 50 Jahren unsere Gesellschaft nichts so stark verändert wie der ausgeprägte Wandel der Erziehung in Richtung von mehr Liebe und weniger Hiebe. Das hat bei den jungen Menschen Rassismus und Rechtsextremismus reduziert. Wir konnten ferner in einer großen Studie aufzeigen, dass vor allem Evangelikale ihre Kinder massiv züchtigen. In den Südstaaten der USA prägen sie das politische Klima des Landes und die Fokussierung eines großen Teils der Gesellschaft auf ein rigides Law-and-order-Prinzip. Darauf setzt nun Donald Trump, weil er hofft, damit die Wahlen zu gewinnen.

Hat die Polizei in Deutschland ein Rassismusproblem?
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    Zurück zur Situation in Deutschland. Gibt es bei der deutschen Polizei also kein Problem mit Rassismus und Gewalt?

    Christian Pfeiffer: Doch, auch bei der deutschen Polizei entwickeln sich Vorurteile. So werden die Beamten mit ausländischen Tätern häufiger konfrontiert, als es deren realem Anteil entspricht. Das resultiert daraus, dass Taten von Ausländern häufiger angezeigt werden. Wenn sich zwei Bayern in ihrer Stammkneipe prügeln, regeln die das möglichst untereinander. Ist ein Ausländer dabei, wird die Polizei eher gerufen und bekommt so ein verzerrtes Bild von deren Gefährlichkeit.

    Macht die Polizei sich das klar und tut sie etwas dagegen?

    „Es müsste eine Grundsatzdebatte darüber geben, wie mit Anzeigen von Bürgern gegen Polizeibeamte verfahren werden sollte. In Deutschland ermitteln in einem solchen Fall Kollegen gegen Kollegen. In England etwa existiert eine Sondereinheit, die nicht der regulären Polizei angehört.“

    Christian Pfeiffer: Die deutsche Polizei ist sich zunehmend des Problems bewusst. Und wir versuchen zudem, sie dafür zu sensibilisieren. So werden wir mit Unterstützung unserer Landesregierung demnächst 2.500 Frauen befragen, die in Niedersachsen eine Vergewaltigung angezeigt haben. Ein Thema wird sein, ob ausländische Frauen oder solche aus sozialen Randgruppen fair und respektvoll behandelt werden, wenn sie ihre Anzeige abgeben.

    Ist in Deutschland also alles gut? Oder gibt es etwas, das verbessert werden könnte?

    Christian Pfeiffer: Es müsste eine Grundsatzdebatte darüber geben, wie mit Anzeigen von Bürgern gegen Polizeibeamte verfahren werden sollte. In Deutschland ermitteln in einem solchen Fall Kollegen gegen Kollegen. In England etwa existiert eine Sondereinheit, die nicht der regulären Polizei angehört. Deren Beamte geraten dadurch weniger unter Druck, als Verräter zu gelten, wenn sie in solchen Fällen gründlich ermitteln. Bei uns fällt auf, dass Polizeibeamte relativ selten wegen aggressiver Übergriffe verurteilt werden. Das allein beweist noch nichts. Aber es würde in der Gesellschaft gut ankommen, wenn die Innenministerkonferenz unter Einbeziehung ausländischer Erfahrungen nach Lösungen schaut. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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