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Zentrale Trauerfeier für die Opfer des rechtsextremistisch motivierten Terroranschlags in Hanau

Hanau

Nach der Anteilnahme die „Politik der Intransparenz“

Nach dem rassistischen Hanau-Attentat waren das Entsetzen und die Anteilnahme mit den Opfern und ihren Familien groß. Zwei Monate später fühlen sich die Familien alleine gelassen. Opfer-Anwältin Antonia von der Behrens erklärt im Gespräch mit MiGAZIN, welche Rolle die Ermittlungsbehörden dabei spielen.

Von Donnerstag, 30.04.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.05.2020, 17:44 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Bei einem rassistischen Attentat wurden am 19. Februar 2020 in der südhessischen Stadt Hanau neun Menschen in drei Bars, eine davon eine Shishabar, und in deren Umgebung ermordet. Wenig später erschoss der Täter Tobias Rathjen auch seine Mutter und sich selbst. In einer gemeinsamen Erklärung bemängeln die Rechtsanwälte von vier betroffenen Familien eine „Politik der Intransparenz“ seitens der Ermittlungsbehörden. Demnach haben die Verletzten und Angehörigen der Ermordeten bis heute keine Antworten auf wichtige Fragen erhalten, die sie seit der Tat quälen. Die Rechtsanwältin Antonia von der Behrens hat mit MiGAZIN über die Versäumnisse der Polizei und zentrale Forderungen der Familien gesprochen. Sie vertritt die Familie Kurtović, deren Sohn und Bruder Hamza erschossen wurde.

MiGAZIN: Bis heute wissen die betroffenen Familien des Attentats von Hanau nicht genau, wie ihre Angehörigen ums Leben gekommen sind. Woran liegt das?

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„Die Ermittlungsbehörden haben die betroffenen Familien von Beginn an schlecht informiert. Es hat zum Beispiel nie einen Hinweis an die Verletzten gegeben, welche Rechte sie haben, obwohl solch eine Belehrung seit ein paar Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist.“

Antonia von der Behrens: Die Ermittlungsbehörden haben die betroffenen Familien von Beginn an schlecht informiert. Es hat zum Beispiel nie einen Hinweis an die Verletzten gegeben, welche Rechte sie haben, obwohl solch eine Belehrung seit ein paar Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist. Deswegen wussten die Betroffenen anfangs nicht, dass sie sich einen Anwalt nehmen können, der für sie Akteneinsicht beantragen kann. Diese Information haben Sie erst von der Opferberatungsstelle response erhalten, welche die Betroffenen über ihre juristischen Möglichkeiten aufgeklärt hat.

Die Angehörigen von Hamza Kurtović treibt um, ob es im Vorfeld nicht bereits einen Punkt gegeben hätte, an dem Tobias Rathjen wenigstens der Waffenschein hätte entzogen werden können, ob er schon vorher mit rassistischen Taten oder Handlungen in Erscheinung getreten ist und was die Behörden über ihn wussten. Ebenso fragen sie sich, warum sie bis heute nicht das Mobiltelefon von Hamza erhalten haben. Warum wird das Telefon eines Opfers zwei Monate lang ausgewertet?

Welche Informationen haben die Betroffenen von den Behörden zu den Hintergründen des Anschlags erhalten?

„Und zumindest meine Mandanten haben den Eindruck, dass die Polizei nicht mit Nachdruck ermitteln…“

Antonia von der Behrens: Die einzelnen Familien haben von den Behörden unterschiedliche Informationen bekommen. Familie Kurtović hat nur Einsicht in Dokumente erhalten, die unmittelbar den ermordeten Sohn Hamza Kurtović betreffen. Bis heute wissen wir nicht, was der aktuelle Stand der Ermittlungen ist. Wir wissen noch nicht einmal, ob auch gegen den Vater von Tobias Rathjen ermittelt wird. Genauso ist uns unbekannt, ob Rathjen schon im Vorfeld Kontakt mit der Polizei hatte, weil er beispielsweise mit Bedrohungstaten in Erscheinung getreten ist. Bei all diesen Punkten wissen wir nicht, wie intensiv von der Polizei ermittelt wird.

Teilweise geht es uns um ganz konkrete Vorfälle: Es gibt im Hanauer Stadtteil Kesselstadt ein Jugendzentrum, das in unmittelbarer Nähe zu einem der Tatorte und direkt an der Wohnung der Rathjens liegt. Bei diesem Jugendzentrum, in das viele Jugendliche aus dem Viertel gehen, gab es im Mai 2018 bereits einen Vorfall. Damals ist ein Unbekannter mit einem Sturmgewehr aufgetaucht und hat die Jugendlichen rassistisch bedroht, die daraufhin die Polizei gerufen haben. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob das vielleicht Rathjen war. Man weiß es nicht, aber natürlich sprechen alle in der Gegend über diesen Verdacht. Und zumindest meine Mandanten haben den Eindruck, dass die Polizei nicht mit Nachdruck ermitteln, ob es sich bei dieser Situation um den späteren Attentäter gehandelt hat.

Welche Folgen hat die intransparente Informationspolitik für die Überlebenden und für die Angehörigen?

„Die Sicherheitsbehörden sehen ihre Aufgabe jedoch nicht darin, die Verletzten zu informieren und viele Polizeibeamte scheinen nicht zu wissen, was diese Form von Intransparenz bei den Betroffenen auslöst.“

Antonia von der Behrens: Neben dem ganzen Schmerz und der Trauer und dem Verlust steht aufgrund dieser Informationspolitik immer die Fragen im Raum, ob man den Täter irgendwann hätte stoppen können. Viele Angehörige versuchen aus den wenigen Informationen, die in der Presse verfügbar sind, das Tatgeschehen zu rekonstruieren. Sie fragen sich, an welchen Punkten die Ermittler genauer hinschauen müssten. Vieles davon bleibt notwendigerweise Spekulation, weil die Familien leider nicht wissen, was der Stand der Ermittlungen ist. Und vielleicht ließen sich ganz viele dieser Fragen der Angehörigen schnell klären, wenn wir weitere Informationen vorliegen hätten. Die Sicherheitsbehörden sehen ihre Aufgabe jedoch nicht darin, die Verletzten zu informieren und viele Polizeibeamte scheinen nicht zu wissen, was diese Form von Intransparenz bei den Betroffenen auslöst.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Antonia von der Behrens: Ich kann da die Berichterstattung von Ende März über einen Ermittlungsbericht des Bundeskriminalamtes nennen. Nach diesem Bericht sollen die Opfer zwar nach rassistischen Kriterien ausgesucht worden sein, aber der Täter selber kein Rechter oder Rassist gewesen sein. Das hat natürlich bei meinen Mandanten für großes Unverständnis gesorgt. Zwei Tage später kam zwar ein Dementi des Präsidenten des Bundeskriminalamtes. Er sagte, solch einen Bericht würde es nicht geben und solche Ergebnisse hätte die Polizei gar nicht, jedoch hat er nicht gesagt, dass die Journalisten falsch zitiert hätten. Diese hatten nämlich sehr konkret aus dem Bericht, der wahrscheinlich nur ein Entwurf war, zitiert und die Argumentationslinie wiedergeben. Jetzt wollen meine Mandanten natürlich wissen, was steht dort und welche Ermittlungsrichtung hat das Bundeskriminalamt eingeschlagen. Der Generalbundesanwalt teilt mir aber auf meinen Antrag nur mit, dass es solch einen Bericht nicht gäbe und ich deshalb keine Akteneinsicht in diesen erhalten könne.

Auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau erklärte ein Sprecher des Generalbundesanwalts, dass die Betroffenen „nach dem Abschluss der Ermittlungen in geeigneter Form informiert“ würden. Wie verstehen Sie diese Aussage?

„Ob man wirklich einen mangelnden Aufklärungswillen konstatieren muss, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht einschätzen. Ich glaube jedoch, dass wir als Anwälte im NSU-Komplex viel über den Umgang von Behörden mit rassistischen Attentaten gelernt haben.“

Antonia von der Behrens: In anderen Verfahren ist es durchaus üblich, dass die Betroffenen nicht erst nach Abschluss der Ermittlungen informiert werden und Akteneinsicht erhalten. Nach dem, was die Ermittlungsbehörden bisher verlautbaren lassen, wird im Kontext des Attentats von Hanau gar nicht gegen eine oder mehrere konkrete Personen ermittelt, sondern gegen unbekannt. Wenn dies richtig ist, erscheint es nicht plausibel, wenn der Generalbundesanwalt meint, dass durch eine Akteneinsicht der „Untersuchungszweck gefährdet“ würde. Was der Generalbundesanwalt mit der Formulierung meint, dass die Angehörigen nach Abschluss in „geeigneter Form“ informiert werden, weiß ich nicht. Ich gehe einfach davon aus, dass auch der Generalbundesanwalt damit den Anspruch auf Akteneinsicht nicht in Abrede stellt und diese dann auch gewähren wird.

Einige Beobachter scheint das Vorgehen der Polizei bereits an den institutionellen Rassismus im NSU-Komplex zu erinnern. Ist dieser Vergleich gerechtfertigt?

Antonia von der Behrens: Ich wäre im Augenblick noch vorsichtig mit einer solchen Einschätzung. Das Vorgehen der Polizei fügt sich derzeit noch in ein Bild mit ähnlichem Vorgehen, das wir auch gegenüber anderen Betroffenen beobachten können. Ich werte das eher als eine generell abwehrende Haltung der Ermittlungsbehörden gegenüber Menschen, die aus ihrer Betroffenenperspektive die Frage stellen, ob man die Straftat eines Rechten hätte verhindern können. Allein diese Frage wird auf Seiten der Ermittlungsbehörden häufig schon als eine unberechtigte Kritik oder als Angriff empfunden. Ob man wirklich einen mangelnden Aufklärungswillen konstatieren muss, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht einschätzen. Ich glaube jedoch, dass wir als Anwälte im NSU-Komplex viel über den Umgang von Behörden mit rassistischen Attentaten gelernt haben. Dieses Wissen nehmen wir jetzt mit in unsere Arbeit zum Attentat von Hanau. Auch unter diesem Blickpunkt werden wir das weitere Vorgehen der Ermittlungsbehörden sehr genau beobachten.

Gibt es denn in jenem Teil der Akte, der Ihnen vorliegt, Hinweise darauf, dass die Ermittlungen von rassistischen Stereotypen beeinflusst wurden?

„Im Bericht der sogenannten kriminalpolizeilichen Leichenschau zu Hamza Kurtović wird angegeben, er hätte ein ‚orientalisch/südländisches Aussehen‘. Er hatte blonde Haare, blaue Augen. Kein Mensch hätte aufgrund seines Aussehens jemals angenommen, dass seine Großeltern woanders hergekommen sind… Den Polizeibeamten lag bei der Anfertigung ihres Berichts nur die Information vor, dass der Tote Hamza Kurtović heißt.“

Antonia von der Behrens: Dazu kann ich nur am Beispiel meines Klienten eine Einschätzung abgeben. Im Bericht der sogenannten kriminalpolizeilichen Leichenschau zu Hamza Kurtović wird angegeben, er hätte ein „orientalisch/südländisches Aussehen“. Er hatte blonde Haare, blaue Augen. Kein Mensch hätte aufgrund seines Aussehens jemals angenommen, dass seine Großeltern woanders hergekommen sind, als die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland. Das würde keiner denken. Den Polizeibeamten lag bei der Anfertigung ihres Berichts nur die Information vor, dass der Tote Hamza Kurtović heißt. Allein aufgrund des Namens haben die Beamten eine falsche Beschreibung in den Bericht aufgenommen, die nichts mit seinem Äußeren zu tun hat. Das sind natürlich Vorgänge, die meine Mandanten fassungslos machen. Angesichts solcher Details fragen sie sich, welche Auswirkungen ihre Herkunft an anderer Stelle auf die polizeilichen Ermittlungen haben könnte, wenn offensichtlich schon der Name ihres Sohnes die Beschreibung in dem Bericht massiv beeinflusst hat.

Interview Leitartikel Panorama

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