Ärzte ohne Grenzen in Libyen

Christoph Hey: „Zwei Jahre auf weniger als zwei Quadratmetern“

Christoph Hey von "Ärzte ohne Grenzen" ist vor wenigen Tagen aus Libyen zurückgekehrt. Der 43-jährige Ökonom war Projektleiter der Hilfsorganisation im Internierungslager für Migranten und Flüchtlinge in Sintan, etwa zweieinhalb Autostunden südlich der Hauptstadt Tripolis. Im Gespräch bezeichnet er die dortigen Zustände als "absolut unmenschlich".

Von Bettina Rühl Freitag, 13.09.2019, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 16.09.2019, 16:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Herr Hey, wie sind die Haftbedingungen in Sintan?

Christoph Hey: Die 600 Migranten und Flüchtlinge, die dort interniert sind, sind auf fünf Gebäude aufgeteilt. Einige davon haben einen Innenhof, andere nicht.

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Ist das Lager für 600 Leute ausgelegt?

Christoph Hey: In einigen dieser Gebäude leben Menschen mitunter seit zwei Jahren – auf weniger als zwei Quadratmetern Platz. Gerade genug, um sich hinzulegen. Besonders schlimm ist die Situation in einem Gebäude, in dem 45 Menschen zusammenleben. Sie können nie raus, sehen die Sonne nicht, haben keine Frischluftzufuhr. Es gibt nur eine Dusche, die an etwa 10 von 30 Tagen im Monat kaputt ist. Dann läuft Wasser aus, in dem Raum ist eine unheimlich hohe Luftfeuchtigkeit. Die Klärgrube, die an dieses Gebäude anschließt, ist alle paar Tage überflutet. Dann drückt der Inhalt der Klärgrube zurück, in die Toilette, in diesen Raum hinein. Die Situation in diesem Raum ist absolut unmenschlich. Aber das betrifft die Internierung insgesamt in Libyen – die Zustände sind entsetzlich.

Kriegen die Menschen genug zu essen?

Christoph Hey: Die Menge ist ausreichend, aber es gibt keinerlei Vitamine, keine Proteine – es ist eine absolute Mangelernährung. Morgens gibt es ein Stück Brot, zwei Mal am Tag Makkaroni mit einem Klecks Tomatensoße. Ein Mal in der Woche Reise oder Couscous – und das über mehrere Monate hinweg. Weil die Menschen aufgrund dieser Ernährung sehr, sehr geschwächt sind, breiten sich Krankheiten aus, und Infektionen nehmen zu. In Sintan hat das zwischen September 2018 und Mai zu 22 Todesfällen geführt. Sie können sich vorstellen, was für Zustände das sein müssen, wenn Tuberkulose im Jahr 2019 zum Tode führt.

Was haben die Menschen für Erfahrungen hinter sich?

Christoph Hey: In der Regel sind die Menschen zwei oder drei Jahre unterwegs, viele sind von Schleusern aufgegriffen worden, sind teilweise gefoltert worden, sind zur Arbeit gezwungen worden, haben dann schon mal versucht, das Mittelmeer zu überqueren, sind in Seenot geraten, sind also wieder zurückgekommen und sitzen nun seit vielen, vielen Monaten in solchen Internierungslagern fest.

Wie ist die psychische Situation der Menschen?

Christoph Hey: Es gibt in dem Internierungslager in Sintan auch 130 Minderjährige, also junge Menschen im Alter von 14 bis 17 Jahre – 130! Die meisten von denen, die in Sintan festgehalten werden, sind aus Somalia oder Eritrea geflohen. Viele von ihnen haben unterwegs Familienmitglieder verloren, haben enorme Entbehrungen in Kauf nehmen müssen, haben die schlimmsten persönlichen Erfahrungen gemacht. Und leben heute in einem System, aus dem es keinen Ausweg gibt – nach vorne nicht, und nicht zurück. Das ist das Hauptproblem.

Kommt es aufgrund dieser verzweifelten Situation häufig zu Gewalt – gegen andere oder gegen sich selbst?

Christoph Hey: Es gibt einige, die Suizidgedanken haben aufgrund der Hilflosigkeit, aufgrund der Hoffnungslosigkeit. Jeder Tag dort ist eigentlich gleich. Jeder Tag hat den gleichen Ausblick. Jeder Tag hat die gleiche Verzweiflung. Jeder Tag hat die gleiche Hoffnungslosigkeit. Als ich diesen Raum zum ersten Mal betreten habe, habe ich die Welt tatsächlich nicht verstanden.

Es wäre gar nicht so schwer, die Zustände in den Internierungslagern zu verbessern – wenigstens, bis es eine Lösung auf politischer Ebene gibt und man die Menschen aus den Internierungslagern evakuiert. Es muss doch möglich sein, bis dahin wenigstens die Bedingungen vor Ort so zu verbessern, dass man von menschlichen Bedingungen reden kann. Es ist wichtig in der heutigen Zeit, das Menschsein nicht zu vergessen. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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  1. Gerrit sagt:

    Diesen Bereicht sollte man allen europäischen Politikern*Innen schicken und natürlich denen aus reichen Staaten. Aber seien wir ehrlich, das kennen die ja … sie wollen es nur nicht wissen.
    Vor allem die Schlaumeier, die immer noch von „Zentren in Nordafrika träumen“.