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Lob und Kritik für Abschiebe- und Fachkräftegesetz

Gesetze zu Flucht und Migration stehen im Fokus mehrerer Bundestagsanhörungen. Seehofers Pläne für konsequentere Abschiebungen werden von Experten und Praktikern unterschiedlich beurteilt. Beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist es ähnlich.

Dienstag, 04.06.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.06.2019, 15:11 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Experten und Praktiker sind sich bei der Beurteilung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur konsequenten Abschiebung nicht einig. Der Konstanzer Jurist Daniel Thym sagte am Montag in Berlin, dass eine Mitwirkung der Betroffenen, wenn sie unzumutbar sei, auch nicht vom Gesetz verlangt werde. Er verwies ferner darauf, dass es bei der Abschiebehaft in Deutschland den konstitutiven Richtervorbehalt gebe. Somit entschieden nur ausgebildete Volljuristen über die Haft, wobei diese Beschlüsse bislang eher zugunsten der Betroffenen ausgefallen seien.

240.000 Menschen in Deutschland gelten als ausreisepflichtig, haben also keinen Status, der ihnen ein Bleiben in Deutschland erlaubt. 184.000 davon sind geduldet, meist weil Papiere fehlen, die für eine Abschiebung notwendig sind. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ dafür sorgen, dass Ausländer künftig bei der Beschaffung der Papiere helfen – zur Not, indem sie weniger Sozialleistungen bekommen oder in Haft genommen werden. Abschiebehäftlinge können laut Entwurf dabei vorübergehend auch in normalen Gefängnissen untergebracht werden – wenn auch räumlich getrennt von regulären Strafgefangenen.

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Nach Einschätzung des Konstanzer Verfassungsrechtlers Marcel Kau ist der Entwurf zum großen Teil rechtlich zulässig. Bedenken äußerte er aber zu Artikel 6, der am 1. Juli 2022 in Kraft treten und dann noch in Ausnahmefällen die Inhaftierung von Abschiebungshäftlingen in regulären Strafanstalten möglich machen soll. Vertreter von Städten, Landkreisen und Kommunen sowie einiger für Abschiebungen zuständigen Behörden begrüßten den Entwurf weitgehend. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag hielt es darüber hinaus für vorstellbar, dass Abschiebungen künftig zur Bundesaufgabe werden.

Lob und Kritik auch für Fachkräftegesetz

Ablehnung äußerte indes die Referentin für Flüchtlingspolitik im Paritätischen Gesamtverband, Kerstin Becker. Sie kritisierte eine „maßlose Ausweitung“ der Abschiebehaft und die Einführung einer „prekären Duldung“ angesichts möglicher Leistungskürzungen. Rolf Stahmann vom Deutschen Anwaltverein wies darauf hin, dass Ausländer, die Asyl in Deutschland beantragt hätten, manchmal nicht die Unterstützung ihrer Botschaften hätten. Einige würden dort gar als Landesverräter beschimpft, und auch Korruption sei ein großes Problem.

Zuvor hatte es auch eine Anhörung zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz gegeben. Die meisten Experten bewerteten das Regelwerk als Schritt in die richtige Richtung. Angesichts der notwendigen Nettozuwanderung sei dies aber nur ein kleiner Fortschritt und nicht der große Wurf, gab Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg zu bedenken. Mehrere Experten kritisierten zudem, dass die Visastellen an den deutschen Konsulaten weltweit sich zunehmend zum „Flaschenhals“ entwickelten. Häufig gebe es keine freien Termine, weshalb interessierte Fachkräfte keine Chance hätten, zeitnah Visumsanträge zu stellen.

Kritik am Schnellverfahren

Die Diakonie kritisierte derweil, dass die asyl- und migrationspolitischen Gesetzentwürfe im Schnelldurchgang beraten würden. „Die Eile dieser Gesetzgebungsverfahren ist unnötig und erschreckend, denn sie erlaubt keine fundierte Auseinandersetzung mit den geplanten Regelungen und deren Auswirkungen auf die Betroffenen und die Gesellschaft“, erklärte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Mit einigen der geplanten Änderungen werde „an den Menschenrechten gezerrt“.

Caritas-Präsident Peter Neher sprach in einer Mitteilung ebenfalls von „spürbarer Hektik“ beim Gesetzgebungsverfahren. Er hob mit Blick auf das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ hervor, dass „sehr oft gravierende Hindernisse wie beispielsweise schwere Krankheiten, familiäre Bindungen in Deutschland, aber auch die erschwerte Passbeschaffung bei der Botschaft des Herkunftslands“ eine Ausreise verhinderten und nicht die Asylbewerber selbst.

Acht Gesetzentwürfe

Grünen-Politikerin Filiz Polat fasst den Anhörungsmarathon wie folgt zusammen: „Nach vier Anhörungen am Montag ist es unmöglich, diese und die eine Minute nach Ende des Anhörungsmarathons eingegangen 32 Seiten Änderungsanträge bis zur Innenausschusssitzung am Mittwochvormittag auszuwerten. Dies ist der komplexen Materie der Gesetzesentwürfe nicht angemessen und wäre darüber hinaus auch gegenüber den Sachverständigen eine grobe Missachtung ihrer fachlichen Kompetenz.  Das hat nichts mit einem geordneten und der Sache adäquaten Gesetzgebungsverfahren zu tun.“ Derzeit liegen den Abgeordneten acht Gesetzentwürfe im Bereich des Asyl- und des Aufenthaltsrechts vor.

„Die heutigen Anhörungen haben eines deutlich gemacht: es gibt noch erheblichen Änderungs- und Korrekturbedarf an den vier Gesetzen. Trotz der umfangreichen Kritik auf Seiten der Sachverständigen bleibt zu befürchten, dass die Koalitionsfraktionen die unsägliche Tradition in der Migrationsgesetzgebung fortsetzt und die Gesetzentwürfe mit am Montagabend eingegangen weitreichenden Änderungen noch in dieser Woche durch den Bundestag durchpeitscht“, erklärt Polat. Der Linke-Politikerin Ulla Jelpke zufolge ist das Gesetz „nichts anderes als ein Paket geschnürt aus Menschenverachtung und Anbiederung an die Rassisten von der AfD.“ (epd/mig)
Leitartikel Politik

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