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Nebenan

Notre-Dame

Einer der größten Kulturschätze des alten Europas ist verbrannt. Die Flammen haben die Cathédrale de Notre-Dame de Paris verschlungen und kein Gott der Welt hat es verhindern können.

Von Sven Bensmann Dienstag, 23.04.2019, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.04.2019, 16:01 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Kathedrale war einzigartig, der Verlust ist immens. Der Bau, begonnen vom Kreuzfahrerkönig Louis XIV, nachdem er von den revolutionären Aufklärern entweiht und zum Tempel der Vernunft – praktisch dem Gegenteil seiner früheren Verwendung – erklärt worden war, um dann später als schlichtes Weindepot – eine Art Kompromiss aus beidem – zu dienen, war mit dem Ende des Zeitalters der Vernunft wieder in eine Kirche umgewandelt worden und noch in diesem Jahrtausend theologische Heimat von Kinderschändern im Messgewand. Wie viele es insgesamt waren, werden wohl nicht einmal mehr die wissen, die diesen Tätern durch Versetzungen immer neue Opfer zugespielt haben. Was wir mittlerweile wissen, deutet jedoch nicht darauf hin, dass Priester, die Kinder missbrauchen, „Einzelfälle“ sind – dafür bräuchte man kein komplexes System der Vertuschung.

Dass um diese toten Mauern nun mehr getrauert wird, als um zahllose Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge, die elendig im Mittelmeer und auf anderen Fluchtrouten verrecken – weil wir mit unserer christlichen Lebensart und unserer Politik erst die Lebensgrundlagen dieser Menschen zerstören, um ihnen dann jeden legalen, sicheren Weg in eine Region zu verwehren, in der Leben noch möglich ist – fasst den ganzen moralischen Verfall, all die sittliche Degeneration des “christlichen Abendlands” perfekt zusammen, in der der Nächste, den man zu lieben hat, gar nicht nah genug sein kann und schon der Übernächste viel zu weit ist. Dass die Plünderer des Sozialstaats in kürzester Zeit 100e Millionen für den Wiederaufbau locker machten, die sie zuvor kunstvoll – legal wie illegal – vor der Finanzierung von Schulen, Straßen, Feuerwehren in Sicherheit gebracht hatten, übertrifft jedoch alle Erwartungen: Waren in den letzten Jahren noch ein paar Hunderttausend Euro für Sprachkurse für Migranten noch eine allzu große Anstrengung, die wir ganz einfach nicht packen konnten, ist nun plötzlich Geld im Überfluss vorhanden. “Man muss es sich nur nehmen” will man unwillkürlich anfügen.

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Wenn Paris nicht mehr zu bieten hat, als einen Vogelkäfig, den man einem Gott gebaut hat, der von überhaupt nur zehn Regeln, die er seinen Anhängern auferlegt hat, gleich 30% auf manische Selbstbefriedigung verwendet, um anschließend bloß 40% auf wirklich sinnvolle Gesetze zu verwenden – garniert mit ein bisschen Neiddebatte und gottgegebenem Land; wenn Paris nicht seine Menschen, sondern nur seine Bauwerke ist; dann ist dieses Abendland – das ein paar unterbelichtete und gewaltbereite Dresdner noch immer einmal die Woche retten wollen, dass eine Partei, die nicht einmal an Macht gelangen musste, um korrupt zu werden, verteidigen will – bereits mit der erneuten Weihung und der Krönung jenes Mannes untergegangen, der in der Folge die jungen Sprossen der jungen Demokratie in Europa stutzte und sich selbst zum Kaiser ernannte.

Die Ideen der Aufklärung haben zwar sowohl Napoleon, als auch – zumindest in Teilen der Bevölkerung – die Kirche überlebt; die Reaktionen auf den Brand von Notre-Dame zeigen aber, dass sich der europäische Mensch dabei nicht nur aus seiner eigenen Unmündigkeit befreit hat, sondern – in 30 Jahren Migrationsdebatte zwischen dem Hitlergruß in der vollgepissten Jogginghose und dessen Relativierer mit der vogelbeschissenen Hundekrawatte – längst auch von jeder Moral und jedem Verantwortungsgefühl: Der Mensch selbst ist nichts wert, Bauwerke klerikaler Macht alles – so wirkt die Lehre nach dem Brand der Pariser Kathedrale. Damit hat sich der Christ von heute eben auch der behaupteten Grundsätze seines Christentums befreit – wobei es sich natürlich ohnehin eher um einen Grundpfeiler der Theologie ihres Schöpfers handelt, als derer, die nach ihm kamen. Nietzsche fasste das seinerzeit schon treffend zusammen, als er sagte: Das Wort schon „Christentum“ ist ein Missverständnis -, im Grunde gab es nur einen Christen, und der starb am Kreuz.

Was bleibt uns danach noch, außer auf notre dame de Berlin, unsere Klodame von der traurigen Gestalt und Bundeskanzlerin in spe, zu schauen, die sich statt ertrinkender Kinder oder Steuervermeidung durch Superreiche lieber der wirklich heißen Fragen unserer Zeit annimmt: Brauchen Sitzpisser eine dritte Toilette?

Natürlich: Die Springerpresse und die ihr angeschlossenen Sturmgeschütze der Oligarchie, die im Auftrag einer unanständig Reichen gegen die Armen hetzen, wollen die Diskussion jetzt natürlich von den Füßen auf den Kopf stellen. Sie nehmen dabei die unanständig Reichen gegen den Verdacht in Schutz, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu entziehen, um anschließend als großer Mäzen aufzutreten und Brotkrumen ihres Reichtums dorthin zu verteilen, wo es ihnen persönlich genehm ist. Denn wenn Menschen kritisieren, dass unanständig Reiche ihr Geld, dass sie vor der gesellschaftspolitischen Verantwortung verborgen haben, nicht etwa in die Rettung von Leben, sondern in den Wiederaufbau eines Kinderschändertempels stecken, dann ist das keine Frage von Art. 14 GG, sondern bloß eine Neiddebatte:

Was jetzt, die syrischen Kinder, die im Mittelmeer treiben, weil ihr überladenes Boot gesunken und niemand mehr da ist, um sie aus dem Wasser zu fischen, sind nur neidisch auf das Geld der Firmenerben, die in ihrem Wohlstand mit Milliarden jonglieren können, ohne je etwas dafür geleistet zu haben, außer aus einer wohlhabenden Gebärmutter gekrochen zu sein?

Darauf muss man erst einmal kommen! Aktuell Meinung

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