Filiz Polat, Die Grünen, Politikerin, Filiz, Polat
Bundestagsabgeordnete Filiz Polat (Die Grünen), Foto: Stefan Kaminski

Gastbeitrag von Filiz Polat

Es ist ein „Menschen-ohne-Rechte-Gesetz“

Das sogenannte "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" ist ein Tiefpunkt für unseren Rechtsstaat. Der Gesetzesentwurf entrechtet Betroffene quasi komplett. Begründet wird es mit dem Bild der Notlage, die es nicht gibt. - Ein Gastbeitrag von Filiz Polat

Von Mittwoch, 17.04.2019, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.04.2019, 17:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Am Mittwoch berät das Kabinett das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“. Dieser Gesetzentwurf wird in der aktuellen Form ein Katalog an Inhumanität und Entrechtung. Er enthält unverhältnismäßige gesetzliche Verschärfungen, die gegen unsere Grundrechte und gegen Europarecht verstoßen. Die Verfassungskonformität weiter Teile dieses Gesetzentwurfs ist fraglich. Es scheint fast so, als wolle Bundesinnenminister Seehofer auf Biegen und Brechen austesten, wie weit er den Rechtsstaat beugen kann und ignoriert dabei selbst das Nein der CDU-, SPD und Grünen-Landesjustizminister. Das ist ein Tiefpunkt für unseren Rechtsstaat.

Auch das bisherige Verfahren selbst ist an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, die anstehenden umfangreichen und besonders grundrechtsrelevanten Gesetzesänderungen mit ihren zahlreichen Wechselwirkungen in einem derart beschleunigten Verfahren durchzuführen, als befände sich Deutschland im Notstandsmodus. Dass die Bundesregierung das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ jetzt auch noch mit Leistungskürzungen des Asylbewerberleistungsgesetzes überfrachtet, nur um für diese Verschärfungen die Zustimmungspflicht der Bundesländer zu umgehen, ist beschämend. Parallel liegt ein zustimmungspflichtiger Gesetzentwurf zum Asylbewerberleistungsgesetz vor, es wäre also ein Leichtes, alle Änderungen, die das AsylbLG betreffen, zusammenzufassen. Das entstandene Chaos durch die vielen Gesetzesentwürfe ist verantwortungslos. Die SPD darf sich nicht weiter auf dieses Geschachere einlassen.

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Entrechtungskurs des Bundesinnenministeriums

Die neuen Eingriffe und Tatbestandsmerkmale werden weiter die Rechte von Geflüchteten und Geduldeten einschränken. Wenn nach dem Willen von Seehofer Geflüchtete von jeglichen existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen werden, wird damit nicht nur gegen das Verfassungsgebot zur Sicherstellung der Menschenwürde, sondern auch gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Diese Sanktionen treffen faktisch in besonderem Maße vulnerable Gruppen, wie Kinder, Schwangere, Alleinerziehende, Kranke und Menschen mit Behinderung. Dabei ist das menschenwürdige Existenzminimum migrationspolitisch nicht relativierbar, auch nicht für diese Bundesregierung. Das hat das Bundesverfassungsgericht klar festgestellt, doch die Bundesregierung ignoriert dies seit Jahren.

Auch bei der Abschiebungshaft ergibt sich ein ähnliches Bild: Die Bundesregierung beharrt auf dem Bild der Notlage in Deutschland, die es so nicht gibt. Seehofer muss endlich mit dieser Notstandsrhetorik brechen. Unser Grundgesetz erlaubt es nicht, das Grundrecht auf Freiheit einzuschränken, nur um der Verwaltung die Arbeit zu erleichtern. Haft ist das höchste Strafmaß in unserem Rechtsstaat, denn es greift in fundamentale Grundrechte eines Menschen ein. Anders als bei der Strafhaft hat ein Abschiebehäftling keine Straftat begangen.

Und damit nicht genug: Mit der so genannten „Duldung-light“, die jetzt „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ heißt, werden die Betroffenen quasi komplett entrechtet. Statt Geduldeten, die bereits seit Jahren in Deutschland leben, endlich den Spurwechsel zu ermöglichen, möchte das Bundesinnenministerium schnell Fakten schaffen und abschieben, bevor das ohnehin viel zu kurz greifende Gesetz zur Beschäftigungsduldung womöglich doch noch dem ein oder anderen Geduldeten den Weg in ein Bleiberecht eröffnet. Es ist perfide, dass mit diesem Gesetzentwurf selbst die minimalen Verbesserungen, die durch das im Beschäftigungsduldungsgesetz angekündigt wurden, wieder rückgängig gemacht werden sollen.

Keine Idee zur Gestaltung einer Einwanderungsgesellschaft

Statt Perspektiven für 100.000 erwerbsfähige Geduldete in Deutschland zu schaffen, werden Auszubildende von der Werkbank abgeschoben. Der Gesetzentwurf würde eine eklatante Verschlechterung des Status quo zur Folge haben und wäre ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Geflüchteten sowie der Ausbildungsbetriebe. Statt endlich unsere Einwanderungsgesellschaft aktiv zu gestalten, verhält sich die Bundesregierung wie ein Spaltpilz, allen voran das Bundesinneninnenministerium.

Horst Seehofers Ziel scheint Integrationsverhinderung um jeden Preis zu sein. Die Devise scheint klar zu sein: Seehofers Innenministerium treibt lieber ein „Menschen-ohne-Rechte-Gesetz“ voran als sich die Frage zu stellen, wie wir unsere Einwanderungsgesellschaft gestalten können. Dafür bräuchte es angebotsorientierte Einwanderungskanäle mit verlässlichen Regelungen, eine Integrationsoffensive sowie politische Teilhaberechte und Bleiberechtsperspektiven, um Deutschland als Einwanderungsland attraktiv zu gestalten. Für all das hat diese Bundesregierung keine Ideen. Aktuell Meinung

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  1. keisner sagt:

    Bereits 1 Woche nach Öffnung der Grenzen im J.2015 hat Seehofer mit seiner unsäglichen Kampagne gegen das Asylrecht begonnen. Seitdem ist er eine Gefahr nicht nur für die Grund- und Menschenrechte, sondern betätigt sich unentwegt als Stichwortgeber und Erfüllungsgehilfe für die Schreihälse von Rechtsaussen. Ja, mehr noch: Mit der Einladung von Victor Orban aus Ungarn zum CSU-Parteitag hat er deutlich gemacht, daß er das politische Spektrum hin zum Rassismus und zur Fremdenfeindlichkeit verschieben will. Daß er von Seiten der CDU und der FDP nie gebremst worden ist, sondern seine Ziele stets Stück für Stück umsetzen konnte, ist der eigentliche politische Skandal. H.S.ist nicht nur der oberste Pate der AFD, er braucht sie gar nicht mehr zum Koalieren mit ihm einladen, er erfüllt ihre Forderungen, solange er Innenminster ist. Elend und Tod der Leidtragenden sind ihm offenbar egal. Und das Gerüst der verfassungsmäßigen Grundrechte erodiert weiter.
    Wer stoppt diese moralisch-ethisch-politische Abwärtsspirale ?

  2. Irmela Mensah-Schramm sagt:

    @keisner
    Ganz herzlichen Dank für diesen großartigen und deutlichen Kommentar!

    Dass nun Seehofer Orban eingeladen hat, spricht für seine menschen verachtende Gesinnung!
    Wer schützt nun endlich die Schutzbedürftigen vor Seehofer & Co. ?
    Seehofer ist für mich ein Verfassungsfeind, denn er tritt unsere Verfassung und die Grundrechte mit seinen Füßen!
    Ich frage mich schon lange, wie lange der Koalitionspartner SPD dieses Spielchen noch mitmacht ?

  3. Ute Plass sagt:

    Kanzlerin Merkel 2015: „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

    Das ‚freundliche Gesicht‘ der Kanzlerin scheint in Masterplänen à la Seehofer
    und Despoten-Deals untergegangen zu sein.