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Verteidigung fordert im Chemnitz-Prozess Einstellung des Verfahrens
Eine Gewalttat hat Chemnitz erschüttert. Am 26. August 2018 wurde Daniel H. mit mehreren Messerstichen getötet. Seit Montag steht ein Verdächtiger in Dresden vor Gericht. Seine Verteidiger kritisieren die Anklage und stellt die Unbefangenheit der Richter in Frage.
Dienstag, 19.03.2019, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.03.2019, 16:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im Prozess um die tödliche Messerattacke von Chemnitz hat die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens gefordert. Die Anklage gegen seinen Mandanten Alaa S. (23) sei zu mangelhaft, sie folge Vorurteilen und habe Widersprüche, sagte Verteidiger Frank Wilhelm Drücke am Montag in Dresden. Der Sachverhalt sei zu unklar dargestellt. Unter anderem gebe es widersprüchliche Zeugenaussagen zu Stichbewegungen gegen das Opfer. Dem Verfahren mangele es an handfesten Beweisen. Drücke forderte die Einstellung der Verfahrens, hilfsweise die Aussetzung. Der Haftbefehl gegen seinen Mandanten sei aufzuheben.
In Chemnitz wurde vor fast sieben Monaten der Deutschkubaner Daniel H. (35) erstochen. Die beiden Beschuldigten sollen zuvor in eine verbale Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen verwickelt gewesen sein. Der tödliche Vorfall hatte eine Reihe ausländerfeindliche Proteste ausgelöst.
Seit Montag muss sich der 23-jährige Syrer Alaa S. vor Gericht verantworten. Ihm werden laut Anklage gemeinschaftlicher Totschlag an Daniel H., versuchter gemeinschaftlicher Totschlag an Dimitri M. sowie gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er soll die Taten am 26. August 2018 in Chemnitz gemeinsam mit dem noch immer flüchtigen Iraker Farhad A. (22) begangen haben. Der mutmaßliche Komplize von Alaa S. wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Das Verfahren wurde daher abgetrennt.
Erhöhte Sicherheitsanforderungen
Der Prozess vor dem Landgericht Chemnitz findet wegen erhöhter Sicherheitsanforderungen und des großen öffentlichen Interesses im Gebäude des Oberlandesgerichtes in Dresden statt. Der Hochsicherheitssaal wurde für den Prozess gegen die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ in der Kantine einer geplanten Asylunterkunft gebaut. Zuschauerraum und Verhandlungssaal sind durch eine Sicherheitsglaswand getrennt.
Der Angeklagte, der zum Prozess in weißem Hemd, hellem Jacket und dunkler Hose erschien, bestreitet die Tat. Bis zum Mittag hatte sich der gelernte Friseur weder zu seiner Person noch zur Sache geäußert. Am Nachmittag sollte der erste Zeuge, der bei der Auseinandersetzung verletzte Dimitri M., gehört werden. Er tritt wie auch die Mutter und die Schwester des Getöteten zudem als Nebenkläger auf.
Befangenheit des Gerichts umstritten
Laut Anklage, die am Montag in aller Kürze verlesen wurde, geht die Staatsanwaltschaft von fünf Messerstrichen aus. Vier Stiche gingen laut Staatsanwaltschaft in den Brustkorb des getöteten Daniel H., wobei das Herz und die Lunge getroffen wurden, und einer in den Oberarm. Zudem sei der Geschädigte Dimitri M. in den Rücken gestochen worden. Er lag einige Tage im Krankenhaus.
Noch vor Verlesung der Anklage hatte die Münchner Rechtsanwältin Ricarda Lang einen Antrag gestellt, der nach ihren Aussagen prüfen soll, „ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt ist“. Es müsse geklärt werden, ob die anwesenden Richter dem Angeklagten unbefangen gegenübertreten könnten. Mit einem von Lang verfassten Fragenkatalog soll zum Beispiel festgestellt werden, ob die Richter und Laienrichter an asylfeindlichen Demonstrationen teilgenommen haben, wie sie zu Flüchtlingen stehen oder AfD-Mitglieder sind. Der Angeklagte habe ein Recht auf ein faires Verfahren, sagte die Verteidigerin.
Verteidigung kritisiert politischen Einfluss
Lang kritisierte die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) für ihre Äußerungen zum Verfahren. Ludwig hatte im Vorfeld erklärt, dass sie für die Angehörigen hoffe, dass der Angeklagte verurteilt wird. Falls dieser freigesprochen werde, wäre das für Chemnitz „schwierig“. Es werde so versucht, von politischer Seite Einfluss zu nehmen, kritisierte Lang.
Die Verhandlung wurde dennoch mit dem Verlesen der Anklage fortgesetzt. Staatsanwalt Stephan Butzkies erklärte, der Haftbefehl werde auf Basis der Faktenlage aufrechterhalten. Die von der Verteidigung geforderte Aufhebung könne er nicht nachvollziehen. In dem Verfahren sind bis Ende Mai Dutzende Zeugen geladen. Bis Ende Oktober sind 24 Verhandlungstage terminiert. Ob diese alle benötigt werden, ist offen. (epd/mig) Aktuell Panorama
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Der Gerechtigkeitsforscher Markus Schollmeyer :
„Die Äußerung der Bürgermeisterin sei ein „massiver Eingriff in den Rechtsstaat“, sagt Schollmeyer. Solche prominenten Verhandlungen sollten im Internet gestreamt werden, fordert Schollmeyer, damit „die Menschen sich ein eigenes Bild machen können und sich nicht nur auf Aussagen Dritter“ verlassen müssten. Die Menschen sollten wieder an das Thema Justiz herangeführt werden, damit sie verstehen, was da passiert. Nur dann könne das Gerechtigkeitsempfinden befriedigt werden. Heute würde ein Urteil gesprochen und man habe es hinterher mit Meinungen zu tun, weil nicht transparent sei, was im Gerichtssaal gesprochen würde. Gäbe es Übertragungen, hätte man hingegen die Chance, sich mit Fakten auseinander zu setzen, meint er.“
https://www.deutschlandfunkkultur.de/gerechtigkeitsforscher-ueber-chemnitz-prozess-mehr-fakten.1008.de.html?dram:article_id=443964