Chemnitz, Neonazis, Rechtsextremismus, Demonstration
Neonazis demonstrieren in Chemnitz

Kunst oder Spaltung?

Heftiger Streit um Online-Pranger von rechten Gewalttätern

Ein "Online-Pranger" mutmaßlich rechter Gewalttäter sorgt für heftigen Streit. Neun Strafanzeigen wurden laut Polizei erstattet. Der Kulturrat spricht von einer "problematischen Kunstaktion".

Mittwoch, 05.12.2018, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.12.2018, 21:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Gegen die umstrittene „Fahndung“ einer Künstlergruppe nach mutmaßlich Beteiligten an den rechten Ausschreitungen Ende August in Chemnitz sind bislang neun Strafanzeigen gestellt worden. Drei Strafanzeigen seien bislang an die Staatsanwaltschaft Chemnitz übermittelt worden, teilte die Polizeidirektion Chemnitz am Dienstag mit.

Die Künstler- und Aktivistengruppe „Zentrum für politische Schönheit“ hatte am Montag unter www.soko-chemnitz.de eine Internetseite freigeschaltet, auf der Fotos von mutmaßlichen Teilnehmern der rechten Demonstrationen sowie der Ausschreitungen in Chemnitz zu sehen sind. Sie rief dazu auf, die Beteiligten zu identifizieren und deren Arbeitgeber zu informieren. Für die Aktion wurden nach eigenen Angaben drei Millionen Bilder von 7.000 Verdächtigen ausgewertet, die unter anderem über Facebook frei zugänglich sind.

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Bislang seien mehr als 3.000 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen, teilte die Künstlergruppe am Dienstag auf der Internetseite mit. Auf der Website wurden erste Namen von mutmaßlichen rechten Gewalttätern genannt. Laut Polizei gibt es den Verdacht einer Straftat nach dem Kunsturhebergesetz und den Anfangsverdacht einer Beleidigung, weil die abgebildeten Personen höchstwahrscheinlich keine Einwilligung zur Veröffentlichung gegeben haben und als Straftäter bezeichnet werden.

Schlagabtausch im Netz

Befürworter und Gegner der Aktion liefern sich in den sozialen Netzwerken einen heftigen Schlagabtausch. Kritiker sprechen von einem „Online-Pranger“. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sprach am Dienstag von einer problematische Kunstaktion, die nicht zur Aufklärung beitrage, sondern nur der Spaltung der Gesellschaft weiter Vorschub leiste. „Es spielt keine Rolle, ob der Pranger real oder Fake ist und schon gar nicht rechtfertigt das Ziel dieses Mittel“, erklärte Zimmermann und warnte: „Wie wird unsere Gesellschaft in fünf Jahren aussehen, wenn solche Pranger-Aktionen im Netz weiter Schule machen? Kunst ist frei, hat aber Verantwortung.“

Ein Recycling-Unternehmen, dessen Mitarbeiter an den rechten Ausschreitungen beteiligt gewesen sein soll, sprach in einem offenen Brief von einer Herausforderung für „sicher auch viele andere Arbeitgeber in der Region“: „Dafür sind wir dankbar. Denn Sie veranlassen uns, öffentlich Haltung zu zeigen, öffentlich die Frage zu beantworten: Wie gehen wir mit Kollegen um, die sich als Fremdenfeinde verstehen und eine von Hass gegen Andersartige und Andersdenkende durchsetzte Gesinnung kultivieren“. Zugleich erklärte der aus Israel stammende Firmenchef der Cabka Group GmbH, Gat Ramon mit Blick auf die umstrittene Fahndungsaktion, er erwarte, diese Art der Hetze und Denunziation zu unterlassen: „Eine öffentliche Denunziation ist für mich persönlich und auch für unser Unternehmen nicht die geeignete Antwort.“

Landesregierung mahnt ab

Sachsens Landesregierung ging mit einer Abmahnung juristisch gegen die Künstlergruppe vor, weil sie das offizielle Logo „So geht sächsisch“ verwendet hatte. Am Montagnachmittag entfernte die Polizei in Chemnitz Fahndungsfotos aus dem Schaufenster eines eigens von den Politkünstlern angemieteten Ladengeschäftes. Auch das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus kündigte rechtliche Schritte gegen die Künstlergruppe an, weil sie unerlaubter Weise Film- und Fotomaterial des Forums verwendet habe.

Vor rund einem Jahr hatte das „Zentrum für politische Schönheit“ mit dem Nachbau des Holocaust-Mahnmals in Thüringen bundesweit Schlagzeilen gemacht. Damit sollte gegen eine Rede von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke vom Januar 2017 in Dresden protestiert werden. Darin hatte der Politiker mit Bezug auf das Berliner Mahnmal von einem „Denkmal der Schande“ gesprochen. (epd/mig) Aktuell Panorama

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