Chemnitz-Köthen-Chemnitz
Wo sind die Betroffenen? Wo ist der Staat?
Die Gefährdung des Rechtsstaats und der Demokratie liegt darin, dass sich der Staat unfähig oder unwillig zeigt, Minderheiten zu schützen. Und hier mangelt es auch in der Zivilgesellschaft und linken Kreisen eindeutig an Solidarität.
Von Laura Gey Mittwoch, 17.10.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.10.2018, 17:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es ist eine Nachricht, die schon kaum mehr überrascht: Sechs festgenommen Neonazis aus Chemnitz und Umgebung, die scheinbar recht konkret Angriffe auf „Ausländer“, Politiker und linke Aktivisten planten. Festgenommen wurden sie schon vor mehreren Wochen als Teil einer selbst ernannten „Bürgerwehr“, die Menschen schikanierte und tätlich angriff, die ihrer Auffassung nach ausländisch wirkten.
In den Tagen nach der Großdemonstration und den Hetzjagden in Chemnitz ging diese eine Nachricht beinahe unter, nicht zuletzt da sich die Öffentlichkeit auch mit der Karriereplanung des Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen auseinandersetzen musste. Definitiv untergegangen ist in der öffentlichen Diskussion aber die Perspektive der von Bedrohung und Gewalt primär Betroffenen. Sie findet immer noch keinen angemessenen Platz. Und das ist unerträglich.
Der eigentliche Skandal
Als es zuletzt in Köthen zu rechtsextremen „Trauermärschen“ kam, empfahl der Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, das Haus nicht zu verlassen. Er betonte auch, diese Empfehlung habe nichts mit der Sicherheitslage zu tun, sondern sei symbolischer Natur. Das muss wie ein Schlag ins Gesicht der Menschen sein, die wenige Tage zuvor in Chemnitz erlebt haben, wie ihre Sicherheit eben nicht garantiert wurde und ihre Erlebnisse anschließend bagatellisiert und geleugnet wurden.
Die aktive Zivilgesellschaft nicht zu unterstützen, wenn sie sich – wie auch in Köthen – sichtbar gegen rechts stellt, ist eine Sache. Die andere Sache ist das Gewaltmonopol des Staates, das sich vor allem dadurch rechtfertigt, dem Schutz seiner Bürger zu dienen. Dass es derzeit Menschen gibt, die allein aufgrund ihrer Existenz in Deutschland in ihrer Freiheit und Sicherheit eingeschränkt werden – nicht etwa bei der Teilnahme an einer Demonstration, sondern auf dem Weg zur Arbeit oder beim Einkaufen – ist der eigentliche Skandal. Weder Bund noch Länder haben dafür bisher eine Lösung gefunden oder auch nur angemessene Bemühungen gezeigt.
Der Staat ist gefordert
Das Bewusstsein dafür ist auch in linken Kreisen eher marginal. Seit den Vorfällen in Chemnitz geht es vermehrt um den Aktivismus gegen rechts in den neuen Bundesländern. Es kommt zu Aufrufen, die Kleinstädte und Dörfer mit starken Neonazi-Strukturen nicht zu verlassen, dortzubleiben und den politischen Kampf nicht aufzugeben. Der Staat wird aufgefordert, dieses zivilgesellschaftliche Engagement zu fördern, anstatt es zu kriminalisieren.
Das alles ist richtig und muss gesagt werden. Doch ungesagt bleibt, dass es Menschen gibt, die gar nicht erst die Möglichkeit haben, ihren Lebensmittelpunkt innerhalb Deutschlands zu wählen, und gleichzeitig besonders von rechter Gewalt bedroht sind (bspw. Geflüchtete mit Residenzpflicht). Menschen, die nicht aufgrund ihrer Kleidung oder ihres Aktivismus Zielscheibe von Rechten sind, sondern schlicht und ergreifend aufgrund ihres Aussehens.
Das ist kein Kampf „links gegen rechts“
Was in Chemnitz und anderswo passiert, ist kein Kampf „links gegen rechts“. Es geht um Menschen, die anderen Menschen ihre Daseinsberechtigung in Deutschland absprechen und die sich versammeln, um diese Menschen spüren zu lassen, dass sie nicht sicher sind.
Es geht um einen Staat, der nicht willens oder nicht fähig ist, diese Menschen zu schützen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Existenzberechtigung zurückzugeben. Einen Rechtsstaat, der oft genug zeigt, wie hart er durchgreifen kann, sich aber nicht bereit zeigt, Neonazis und Rechtsradikalen deutlich zu machen, dass nicht sie es sind, die entscheiden, wer in Deutschland leben darf. Aktuell Meinung
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