Rechtswidrige Abschiebung
NRW-Landesregierung im Fall Sami A. unter Druck
Die Abschiebung des Tunesiers Sami A. war laut dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster rechtswidrig. Politiker verlangen nun Aufklärung, wie es dazu kommen konnte. Konsequenzen werden angemahnt. Auch Innenminister Reul steht wegen seinen umstrittenen Belehrungen in Richtung Rechtsprechung in der Kritik.
Freitag, 17.08.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.08.2018, 19:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster zum Fall des nach Tunesien abgeschobenen Sami A. ist eine Debatte über die Folgen der rechtswidrigen Abschiebung entbrannt. Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki sieht durch eine Missachtung der Gerichte den Rechtsstaat bedroht. Der Vorsitzende der NRW-SPD, Thomas Kutschaty, warf dem nordrhein-westfälischen Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) Täuschung der Justiz vor. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen forderten den Rücktritt des Ministers. Unterdessen stellte sich Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hinter Stamp. Der Integrationsminister räumte unterdessen Versäumnisse in der Abstimmung zwischen Verwaltung und Justiz ein. Vorwürfe, sein Ministerium habe Gerichte getäuscht, wies er jedoch am Donnerstag in Düsseldorf zurück.
Stamp erklärte, er akzeptiere die jüngste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) NRW in Münster, das eine Rückführung des abgeschobenen Tunesiers nach Deutschland fordert, auch wenn er sie nicht teile. Sein Ministerium habe nicht die Abschiebung von Sami A. gegenüber dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verschleiern wollen. Forderungen nach einem Rücktritt wies der Minister zurück. Die Anwälte von Sami A. hätten vielmehr nicht alle rechtliche Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Abschiebung von Sami A. zu verhindern, erklärte der FDP-Politiker. Gleichwohl räumte der Minister ein, dass es offenbar „Informationsdefizite“ zwischen der Verwaltung und der Justiz gegeben habe. Er habe jedoch erst am Tag des Abschiebefluges von dem Gerichtsurteil aus Gelsenkirchen erfahren, wonach Sami A. nicht hätte abgeschoben werden dürfen. Um mögliche diplomatische Verwicklungen mit Tunesien zu verhindern, habe er nicht darauf gedrungen, Sami A. nach Deutschland zurückzuholen.
Eine solche rechtswidrige Abschiebung dürfe in einem Rechtsstaat eigentlich nicht passieren, sagte Kubicki am Donnerstag dem Inforadio des rbb. Damit werde eine tragende Säule des Gemeinwesens gefährdet. „Auch ich würde Sami A. lieber in Tunesien wissen“, sagte der Jurist und FDP-Politiker. „Aber bitte auf rechtsstaatlicher ordentlicher Grundlage und mit einem Verfahren, das nicht zu rügen ist.“ In diesem Fall sei das bisherige Vertrauensverhältnis zwischen Behörden und Gerichten stark erschüttert.
OVG Münster: Ministerium hätte Abschiebung vermeiden können
Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte am Mittwochabend entschieden, dass die Abschiebung des als Gefährders eingestuften Tunesiers rechtswidrig gewesen ist. (AZ: 17 B 1029/18) Die Stadt Bochum soll den Tunesier nach Deutschland zurückholen. Ein Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, dass der Mann wegen möglicher Foltergefahr nicht in das nordafrikanische Land zurückgeschickt werden dürfe, wurde erst übermittelt, als das Flugzeug mit A. bereits unterwegs war.
Scharfe Kritik hatte das Gericht am nordrhein-westfälischen Integrationsministerium geübt. Die Abschiebung hätte vermieden werden können, wenn das Ministerium der Bitte des Verwaltungsgerichts entsprochen hätte, den Abschiebetermin rechtzeitig zu übermitteln. Das Ministerium hatte zwar die Stornierung des Abschiebefluges am 12. Juli mitgeteilt, nicht jedoch die Flugbuchung bereits für den folgenden Tag. Der Mann war am 13. Juli nach Tunesien abgeschoben worden.
Kutschaty: Stamp hat Justiz belogen und getäuscht
Der frühere nordrhein-westfälische Justizminister Kutschaty erklärte, Integrationsminister Stamp habe die Justiz belogen und getäuscht. Er forderte eine öffentliche Erklärung des Ministers. Die NRW-Grünen forderten den Rücktritt des Integrationsministers. Angesichts der schweren Vorwürfe müsse auch Ministerpräsident Laschet Stellung beziehen, sagte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag, Monika Düker.
Laschet stellte sich hinter den Integrationsminister. „Nach meiner Auffassung und nach der Auffassung des Ministers hat er damals nach Recht und Gesetz entschieden“, sagte Laschet am Donnerstag im Deutschlandfunk. Es müsse jedoch das schriftliche Urteil abgewartet werden, um die Begründung zu analysieren. „Und dann wird der zuständige Minister genau erklären, was er gemacht hat in dem Moment.“ Das Land werde sich an das Gerichtsurteil halten, unterstrich Laschet.
Reul: Urteile sollen Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen
Kritisiert wurde auch Landes-Innenminister Herbert Reul (CDU), der zu dem Urteil erklärt hatte, dass Gerichtsentscheidungen auch dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen sollten. „Wenn das der Maßstab für rechtsstaatliches Handeln sein soll, wie gehen wir dann mit Kinderschändern oder Mördern um?“ fragte der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Ulla Jelpke (Linke) zufolge sind Reuls Äußerungen „in hohem Maße bedenklich“. Mit so einer Rechtsauffassung werde „staatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet.“ Reul hatte erklärt, wenn Bürger die Entscheidungen nicht verstünden, sei das Wasser auf die Mühlen der Extremen.
Die Stadt Bochum will nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Sami A. wieder zurückholen. Dem mutmaßlichen ehemaligen Leibwächter von Osama Bin Laden droht in Tunesien eine Anklage wegen Terrorismus. Derzeit ist er auf freiem Fuß, hat aber keinen gültigen Reisepass. Das Untersuchungsverfahren gegen den Islamisten läuft nach Angaben der tunesischen Behörden weiter. (epd/mig) Aktuell Politik
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