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Hauptangeklagte Beate Zschäpe vor dem OLG München © Cevat Kara, bearb. MiG

NSU-Prozess

Lebenslang für Beate Zschäpe

Nach 438 Verhandlungstagen stand am Ende eine lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe im als jetzt schon als historisch geltenden NSU-Prozess. Ein "gerechtes" Strafmaß, finden viele. Der Kampf gegen Rechtsextremismus müsse aber weitergehen. Von Christiane Ried

Donnerstag, 12.07.2018, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 18.07.2018, 1:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der NSU-Prozess ist am Mittwoch mit einer lebenslangen Haftstrafe für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zu Ende gegangen. Politik, Religionsgemeinschaften und Verbände zeigten sich trotz aller Erleichterung über das Urteil einig, dass die NSU-Aufklärungsarbeit und der Kampf gegen den Terror von rechts weiter gehen muss. Die NSU-Verbrechen müssten „Lehre und Auftrag“ sein, den Rechtsextremismus auch künftig entschieden zu bekämpfen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch nach der Urteilsverkündung des Münchner Oberlandesgerichts. Islamverbände betonten, das juristische Ergebnis sei vor allem für die Angehörigen der Opfer unbefriedigend und forderten eine weitere Aufklärung der Hintergründe.

Seehofer erklärte, das Gericht habe in insgesamt 438 Verhandlungstagen intensiv an der Aufklärung der NSU-Verbrechen gearbeitet. Mit dem Urteil vom Mittwoch habe die Justiz ihre Arbeit abgeschlossen, das Ende des Prozesses sei aber nicht der Schlusspunkt für die Gesellschaft und die Sicherheitsbehörden. Sein ganzer Respekt gelte den Angehörigen der Opfer: „Nach Jahren der Ungewissheit und zum Teil falschen Verdächtigungen durch die Strafverfolgungsbehörden wurden sie bei der gerichtlichen Aufarbeitung mit den Details der menschenverachtenden Taten konfrontiert“, sagte der Minister.

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Das Münchner Oberlandesgericht verurteilte Zschäpe zu lebenslanger Haft. Die 43-jährige Hauptangeklagte wurde laut Gerichtsmitteilung wegen Mordes in zehn Fällen schuldig gesprochen. Dabei sei auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden. Dazu kämen mehrfacher versuchter Mord und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht verurteilte zudem die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger G., André E. und Carsten S. zu mehrjährigen Haftstrafen.

„Triorisierung beenden“

Vertreter von Religionsgemeinschaften und Verbänden forderten weitere Aufklärungsarbeit: Der Zentralrat der Muslime kritisierte, dass der mehr als fünf Jahre dauernde NSU-Prozess nicht ausreichend habe aufklären können, inwieweit weitere Verantwortliche in die Mordserie verwickelt waren. „Dieses Versäumnis ist eine große Belastung für die Familienangehörigen der Opfer und den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland“, erklärte der Verband in Köln.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland forderte weitere Strafverfahren gegen das NSU-Unterstützernetzwerk. Das Ende des Prozesses gegen die Rechtsterroristen dürfe keinesfalls der Schlussstrich der Aufklärung sein, erklärte der Vorsitzende Gökay Sofuoğlu in Berlin. Der türkische Islamverband Ditib erklärte in Köln, das juristische Ergebnis sei vor allem für die Angehörigen der Opfer „unbefriedigend und enttäuschend“. Ungeklärt sei nach wie vor, „wie es zu dem massiven Behördenversagen, den schlampigen Ermittlungen und Verstrickungen der Geheimdienste kommen konnte“. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş forderte in Anspielung darauf, dass nach offizieller Darstellung der NSU aus drei Personen besteht, ein Ende der „Triorisierung“.

Urteil nur eine Etappe

Der rechtsextremistische Terrorismus dürfe mit dem Ende des Prozesses nicht als erledigt betrachtet werden, warnte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Mit dem Urteil setze der Rechtsstaat ein „deutliches Signal gegen Rechtsextremismus“. Die frühere Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch sagte, das Urteil könne nur eine Etappe auf dem Weg zu vollständiger Aufarbeitung und Aufklärung sein. Noch immer seien viele Fragen offen.

Dieser Auffssung ist auch der türkische Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu (Ak Partei). „Sowohl die Verurteilung als auch das Strafmaß sind zur Makulatur geworden, denn 5 Jahre Verhandlung haben im Ergebnis mehr Fragen hervorgebracht, als welche beantwortet“, erklärte Yeneroğlu. Durch die Verunmöglichung einer wirklichen Aufklärung hätten Sicherheitsbehörden den Betroffenen des NSU-Terrors Gerechtigkeit verweigert. „Stattdessen haben sie getrickst, Akten geschreddert und Spuren systematisch verwischt“, so Yeneroğlu weiter.

Die Regierung in Berlin hingegen zeigte sich zufrieden mit dem Prozessausgang. Eine Regierungssprecherin bezeichnete die „große Gründlichkeit“ des NSU-Prozesses als „richtig und wichtig“. Mitgefühl und Betroffenheit der Regierung gelte den Angehörigen der Opfer. Ein Sprecher des Justizministeriums sprach von „einem der größten und aufwendigsten Strafprozesse der Nachkriegsgeschichte“, allenfalls noch Vergleichbar mit RAF-Prozessen.

Amnesty beklagt Rolle der Behörden

Amnesty International begrüßte die juristische Aufarbeitung. Es bleibe aber weiter unklar, wie es zu einem erschreckenden Versagen der Behörden bei den Ermittlungen gekommen sei und inwieweit „institutioneller Rassismus“ dafür verantwortlich sei.

Die rechtsextrem motivierte Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) war 2011 aufgedeckt worden. Den Taten von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe fielen zwischen 2000 und 2007 nach Behördenerkenntnissen in acht Städten neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin zum Opfer. Zschäpe stand als einzige Überlebende des Trios vor Gericht, ebenso wie vier Helfer der Gruppe. Böhnhardt und Mundlos hatten sich 2011 auf der Flucht vor der Polizei das Leben genommen. (epd/mig) Leitartikel Recht

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