Interview mit Barabara John
NSU-Aufarbeitung mit Prozessende nicht abgeschlossen
Nach über fünf Prozessjahren wird für Mittwoch das Urteil im NSU-Prozess erwartet. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, im Gespräch über die Aufarbeitung der Mordserie sowie die Gefühle und Erwartungen der Angehörigen. Von Jens Büttner
Dienstag, 10.07.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.07.2018, 21:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Wie haben die Hinterbliebenen der Opfer den mehrjährigen NSU-Prozess erlebt?
Barabara John: Einerseits als ein sehr gründliches Verfahren, um vor allem Beate Zschäpe, die geschwiegen hat, die Mittäterschaft an den Morden und Bombenattentaten nachzuweisen. Das wird von den Hinterbliebenenfamilien anerkannt und gewürdigt. Enttäuschung machte sich breit, als im Laufe der fünf Prozessjahre klar wurde, dass neben den fünf Angeklagten nicht weitere Helferkreise in den Blick genommen wurden, die in den acht Tatortstädten an der Vorbereitung mit hoher Wahrscheinlichkeit mitgewirkt haben.
Auch das Beharren der Ermittlungsbehörden, bis zur Enttarnung der NSU die Opferfamilien mit den unbekannten Tätern fälschlicherweise in Verbindung zu bringen, war im Prozess kein Thema. In den zahlreichen Untersuchungsausschüssen war das zwar anders, aber Konsequenzen wurden nicht gezogen. Nicht in einem einzigen Fall ist bei der Polizei, bei der Justiz und bei den Verfassungsschutzbehörden ein Dienstverfahren eröffnet worden wegen Strafvereitelung im Amt. Wer soll das verstehen und was ist das für ein Signal in die Sicherheitsbehörden, das haben sich die Familien oft gefragt.
Welches Urteil erhoffen Sie sich als Ombudsfrau und erhoffen sich die Angehörigen der NSU-Opfer?
„Nicht in einem einzigen Fall ist bei der Polizei, bei der Justiz und bei den Verfassungsschutzbehör- den ein Dienstverfahren eröffnet worden wegen Strafvereitelung im Amt. Wer soll das verstehen und was ist das für ein Signal in die Sicherheitsbehörden?“
Barabara John: In vielen Gesprächen bei den Gedenkstättenfahrten, die ich gemeinsam mit den Familien unternommen habe, wurde die Höchststrafe genannt, also lebenslänglich, unter Berücksichtigung der besonderen Schwere der Tat. Auch eine sich anschließende Sicherheitsverwahrung spielte eine Rolle.
Bei den Gesprächen wurde auch deutlich, dass das zwar übliche, aber im Vergleich mit anderen Ländern eher geringe Strafmaß für Mord gerade in diesem Fall das Gerechtigkeitsempfinden vieler Hinterbliebenen und Opfer verletzt. Denn die Täter haben zehn Menschenleben ausgelöscht. Neun Männer wurden hingerichtet, weil ihr Leben von den Tätern als lebensunwert angesehen wurde. Die Täter selbst können wieder freikommen, dann geht das Leben in Freiheit für sie weiter und sie sind überzeugt, nun sei alles gut.
Ist mit dem Ende des Gerichtsprozesses die Aufarbeitung abgeschlossen oder welche weiteren Hilfen benötigen die Angehörigen?
Barabara John: Nur der juristische Teil, jedenfalls vorläufig. Es könnten ja noch aus den Helferkreisen Straftatbestände ans Licht kommen. Doch wie wir politisch-gesellschaftlich mit den NSU-Verbrechen umgehen und welche tiefgreifenden Änderungen bei Polizei, Justiz und Verfassungsschutz einsetzen müssen, dass bleibt offen und sollte uns alle weiter beschäftigen.
Diese in Europa einmaligen Serienmorde und Attentate wurden ja begangen, weil die Täter alle Opfer, die Ermordeten und die Verletzten als Menschen angesehen haben, die in Deutschland kein Lebens- und Heimatrecht haben sollen. Ein Gedanke, den während der Nazizeit viele Deutsche auch mit Blick auf die eigene Bevölkerung teilten. Dass eine solche megabösartige Vorstellung in diesem Jahrhundert wieder aktiviert werden konnte in den Köpfen junger Deutscher, ist bedrohlich. Eine aktuelle und ernste Warnung, jedem Feindbilddenken und der Feinbildpropaganda unerschrocken und unnachgiebig entgegenzutreten, ob es gelegen oder ungelegen ist. (epd/mig) Interview Leitartikel Panorama
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