Buchtipp zum Wochenende
Der Andere Prophet. Jesus im Koran.
Jesus ist im Koran ein besonderer Prophet - und das Christentum wird dort positiver und weniger polemisch gesehen als bisher gedacht, ist ein christlich-islamisches Autorenduo nach sechsjähriger Forschung überzeugt. Von Judith Kubitscheck
Freitag, 20.04.2018, 6:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 22.04.2018, 19:08 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Jesus spielt im Koran eine bedeutsame Rolle: In insgesamt 108 Versen in 15 verschiedenen Suren wird er direkt erwähnt. Im Buch „Der Andere Prophet. Jesus im Koran“, das am 18. April im Herder-Verlag (Freiburg) erschienen ist, kommt der christliche Theologe Klaus von Stosch (Paderborn) gemeinsam mit seinem muslimischen Kollegen Mouhanad Khorchide (Münster) zu interessanten Ergebnissen: Beispielsweise beinhaltet der Koran den Wissenschaftlern zufolge viel weniger Polemik gegen das Christentum als bisher angenommen.
Sechs Jahre lang haben die beiden Theologen dieses Buch in einem gemeinsamen Prozess geschrieben, und verantworten bis auf die jeweils persönlichen Reflexionen am Schluss beide den Inhalt gemeinsam. Von einem christlich-muslimischen Forscher-Team wurden sie in ihrer Arbeit unterstützt.
Appell an die Christen?
In einem ersten Kapitel setzen sie sich intensiv mit den Christusvorstellungen auseinander, die auf der arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert zur Zeit der Entstehung des Islams existierten. Damals befand sich das Christentum noch in einem erbitterten Streit um die rechte Christologie, auch in Mekka und Medina dürften diese innerchristlichen Auseinandersetzungen bekannt gewesen sein.
Selbstkritisch fragt sich der katholische Professor für Systematische Theologie, Klaus von Stosch, in seiner Reflexion, ob die koranische Irritation über die christologischen Streitigkeiten nicht auch als Appell an die Christen heute verstanden werden könnte noch mehr als Einheit aufzutreten und „nach einer sichtbaren Ökumene der Kirche zu streben“.
Entstehung der Jesusverse
Kernstück des Buches ist die Auslegung der Suren 19 sowie 3 und 5, wobei die Reihenfolge der historischen Entstehung der Jesusverse beachtet wird. Hier zeigen die Ergebnisse den Forschern zufolge, dass die koranische Kritik am Christentum ausdrücklich nur bestimmten Gruppierungen, nicht aber dem Christentum insgesamt gilt. Beispielsweise wird kritisiert, wenn etwa Mönche vergöttlicht werden, weil das Gottes Allmacht infrage stellt. In anderen Versen aber würden die Mönche als Vorbilder gelobt (vgl. z. B. Koran 5,82).
Auch der Vers 5,51, der es Muslimen nahezulegen scheint, keine Freundschaften mit Juden und Christen einzugehen, interpretieren die Theologen anders als beispielsweise in salafistischen Kreisen üblich: Ein paar Verse später, in Vers 57, werde klar, dass die Aufforderung, sich von Freundschaften mit Christen und Juden fernzuhalten, sich nur an diejenigen richte, die mit der islamischen Religion Spott und Scherz treiben.
Besondere Rolle Jesu im Koran
Wenn der Koran davon spricht, dass Gott keinen „Sohn“ hat, kann dies als Angriff auf das Christentum verstanden werden. Allerdings wird meist nicht der christlich-arabische Begriff „ibn“ für Sohn verwendet, sondern „walad“.
Auch die besondere Rolle Jesu im Koran wird herausgearbeitet: seine besondere Geburt, seine Wundertaten. Jesus wird als einziger Prophet als „Gott Nahestehender“, sowie als Wort und Geist Gottes bezeichnet. Der Koran und Jesus gelten beide als Zeichen, die Gott den Menschen gibt, um ihnen Barmherzigkeit zu erweisen.
Jesus, ein Mensch
Trotz aller Wertschätzung Jesu im Koran bleibt er allerdings nur eines unter mehreren Zeichen Gottes, und ist nicht wie im christlichen Sinne die Offenbarung Gottes schlechthin. Er bleibt ein Mensch und wird in die Reihe der Propheten gestellt. Diese eigene Prophetologie erlaube es, Jesu „Rolle zu relativieren, zugleich aber auch seine Besonderheit genauer zu konturieren“.
In dem Buch wird auch von den „Leerstellen des Korans“ gesprochen: Die Passion Jesu, sowie sein Leiden am Kreuz und die damit verbundene Erlösung der Menschen von den Sünden werden im Koran nicht erwähnt. Es bleiben also Unterschiede. Ob diese ein unversöhnbarer Gegensatz sind, oder „eine produktive Verschiedenheit beider Religionen“ (Khorchide) muss jeder selbst entscheiden. Das Buch will ein erster Schritt sein zu einer „lernbereiten, dialogischen und friedensfördernden Neubestimmung des Verhältnisses von Islam und Christentum“, heißt es im letzten Satz von „Der andere Prophet“. (epd/mig) Aktuell Rezension
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- United4Rescue-Vereinsgründer Furchtbare Grundsituation im Mittelmeer
- AfD lobt Grüne Bekämpfung von „importiertem“ Antisemitismus…
- Thüringen Polizist darf nicht für AfD-Fraktion arbeiten und klagt
- Der trauernde Prophet Wie Muslime mit dem Tod umgehen
- Kürzungen in der Kritik Wenn das Warten auf den Integrationskurs noch länger dauert
- 14. November 2024 „No Other Land“: Aufreger bei der Berlinale kommt ins Kino
Zu der Aussage: „Auch der Vers 5,51, der es Muslimen nahezulegen scheint, keine Freundschaften mit Juden und Christen einzugehen, interpretieren die Theologen anders als beispielsweise in salafistischen Kreisen üblich“:
Das in diesem Vers verwendete arabische Wort „auliyāʾ“ mit „Freunde“ zu übersetzen, ist schlecht oder sogar falsch, da hier nicht Freunde im üblichen Sinn, sondern Schutzherren oder Vertraute gemeint sind. Für den meist individuellen Freund gebraucht der Koran das Wort „ṣadīq“ (24,61). Gemeint ist somit, daß die Muslime ihre relevanten Angelegenheiten und sensiblen Geheimnisse nicht Nichtmuslimen anvertrauen sollen. Nicht gemeint ist damit, daß Muslime zu ihren nichtmuslimischen Nachbarn, Kollegen usw. keine freundschaftlichen Beziehungen pflegen sollen.
Dieses Beispiel zeigt, wir problematisch es ist, den Koran nicht im arabischen Original zu lesen und zu verstehen, sondern sich einer Übersetzung (und dazu noch einer schlechten) seiner Bedeutungen in eine andere Sprache zu bedienen. Mit „Salafismus“ oder Nicht-„Salafismus“ hat das nichts zu tun.