Pro und Kontra

Sollen Kirchenglocken mit Nazi-Symbolen weiterläuten?

In der Herxheimer Jakobskirche wird seit über 80 Jahren eine Glocke geläutet, die ein Hakenkreuz trägt. Das hat jetzt eine kontroverse Diskussion ausgelöst. In vielen Kirchengemeinden Deutschlands wird darüber gestritten, ob Glocken aus der NS-Zeit ersetzt werden sollen.

Von Martina Schwager Donnerstag, 23.11.2017, 6:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 23.11.2017, 17:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Eine Kirchenglocke mit Nazisymbolen in einem pfälzischen 750-Einwohner-Dorf hat den Stein ins Rollen gebracht: In Herxheim am Berg wird seit mehr als 80 Jahren in der evangelischen Jakobskirche eine Glocke geläutet, die ein Hakenkreuz trägt. Sie trägt die Inschrift „Alles fuer’s Vaterland – Adolf Hitler“. Obwohl viele Gemeindemitglieder von ihr wussten, wird erst seit einigen Monaten kontrovers diskutiert. Die Medien wurden aufmerksam. Der Bürgermeister trat nach zumindest missverständlichen Äußerungen in einer Fernsehsendung zurück.

In der Folge begannen immer mehr Landeskirchen nach Relikten aus der NS-Zeit in den Glockentürmen ihrer Kirchen zu fahnden. Ergebnis: Es sind nur wenige, aber es gibt sie noch, unter anderem in Niedersachsen – in Schweringen bei Nienburg und in Faßberg bei Celle – sowie im saarländischen Hanweiler. Die betreffenden Kirchenvorstände oder wie in Herxheim die politische Gemeinde haben die Glocken vorerst stillgelegt. Pro und Kontra zum Weiterläuten der Glocken mit Nazisymbolen:

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Pro

Der renommierte Glockenexperte Sebastian Wamsiedler plädiert dafür, Kirchenglocken mit Nazisymbolen aus den 1930er in ihren Gemeinden weiterläuten zu lassen. Ihre Geschichten müssten aufgearbeitet und gut sichtbar in der jeweiligen Kirche präsentiert werden, sagt Wamsiedler: „Dann können sie als Mahnglocken weitergenutzt werden. Gerade ein unbequemes historisches Erbe sollte nicht versteckt werden. Sonst wird es in der nächsten Generation wieder zu einem Aufreger.“

Dieser Weg sei in jedem Fall eine denkbare Alternative zum Abhängen solcher Glocken mit anschließender Präsentation in einem Museum. Dort würden sie oft weit weg von ihrem eigentlichen historischen Ort einem eher kleinen Publikum zugänglich gemacht, sagte der Glockensachverständige aus Salzgitter. Wamsiedler ist zugleich im Vorstand des Deutschen Glockenmuseums in Gescher in Nordrhein-Westfalen.

Wamsiedler regt an, dass die Gemeinde nur zu bestimmten Anlässen die betreffende Glocke läuten könne. Vorstellbar sei auch, dass eine kleinere Glocke als Ergänzung gegossen werde. Diese könnte als Weltfriedensglocke etwa ein Wort des von den Nazis verfolgten Theologen Dietrich Bonhoeffer tragen.

Es sei aber in jedem Fall wichtig, diese Glocken als Mahnmal und Zeitzeugnis zu erhalten, betont Wamsiedler. Bundesweit existierten nur noch wenige, weil die meisten zu Rüstungszwecken eingeschmolzen worden seien.

Kontra

Der evangelische Theologe Arend de Vries hatte unmittelbar nach Bekanntwerden der Glocke in Schweringen gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass solche Glocken weiterhin zu Gottesdiensten oder zu Friedensgebeten einlüden. Er sehe das nach Gesprächen mit Kirchenvorständen und Sachverständigen mittlerweile zwar differenzierter, betont der Geistliche Vizepräsident des hannoverschen Landeskirchenamtes. Im Fall einer Glocke wie in Schweringen, von deren Problematik die meisten Menschen erst jetzt erfahren hätten, halte er ein Stilllegen und Abhängen aber nach wie vor für richtig. Die Menschen hörten deren Geläut jetzt mit anderen Ohren. „Viele denken jetzt das Hakenkreuz und die Inschrift mit.“

Bei Glocken wie in Faßberg, deren Geschichte bereits seit langem bekannt sei, halte er einen Weiterbetrieb unter bestimmten Bedingungen dennoch für möglich, sagt de Vries. Derzeit schweigt die Glocke wegen Sanierungsarbeiten im Turm. Der Kirchenvorstand berate über ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur weiteren Aufarbeitung der Geschichte, sagt de Vries.

Die Michaelkirche in Faßberg war 1938 als Garnisonskirche gebaut und erst in den 1960er Jahren von der hannoverschen Landeskirche übernommen worden. Sie war ursprünglich für die Luftwaffensiedlung gedacht, die 1933/34 in der bis dato unbesiedelten Heidelandschaft errichtet worden war. Die Stahlglocke trägt die Jahreszahl 1938 sowie einen Luftwaffenadler mit Hakenkreuz.

De Vries betont, ein Einschmelzen dieser oder anderer Glocken mit NS-Symbolen halte er für falsch: „Man kann sich der Geschichte nicht entledigen.“

Auch der Zentralrat der Juden und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) plädieren dafür, zumindest die Glocke in Herxheim abzuhängen. Der Ort dürfe nicht zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextreme werden, sagte Dreyer. Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, sagte, die Glocke gehöre in ein Museum. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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