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Gagbelung © shutterstock/aopsan

Studie zu gemischten Wanderungen

Flucht und Einwanderung besser entflechten

Flucht- und Migrationsströme müssen besser getrennt werden. Aber was bedeutet das eigentlich? Eine heute veröffentlichte Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung gibt Antworten. Von Dr. Matthias M. Mayer

Von Freitag, 28.04.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:43 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Migration nach Europa und Deutschland hat in den letzten beiden Jahren stark zugenommen. Vor allem der Umgang mit der hohen Fluchtzuwanderung bedeutet für viele europäische Länder große Herausforderungen. Die zunehmende Vermischung von Flucht- und Migrationsströmen bereitet dabei besondere Schwierigkeiten. Denn viele Migranten versuchen, über Asylgesuche einen Aufenthalt in den Zielländern zu erreichen. Eine Folge davon ist die zusätzliche Belastung der Asylsysteme in den Aufnahmestaaten. Wanderungsmotive und Wanderungswege von Flüchtlingen und Migranten überlappen sich zunehmend. Das erschwert den Schutz von Flüchtlingen und die Entwicklung einer nachhaltigen Migrationspolitik.

Eine von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebenen Studie von Steffen Angenendt, David Kipp und Amrei Meier (Stiftung Wissenschaft und Politik – SWP) zeigt Ansätze auf, wie die Politik diesen sogenannten gemischten Wanderungen besser begegnen kann.

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Veränderte Fluchturstachen und unzureichende legalen Zuwanderungsmöglichkeiten

Die Vermischung von Flucht und Migration ist vor allem zwei Entwicklungen geschuldet: Zum einen haben sich seit der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention im Jahr 1951 die Fluchtursachen gewandelt. Während damals Menschen überwiegend versuchten, einer individuellen oder gruppenspezifischen Verfolgung zu entkommen, steht heute die Flucht vor allgemeiner oder geschlechterspezifischer Gewalt und vor der Zerstörung wirtschaftlicher und natürlicher Lebensgrundlagen im Vordergrund.

Zum anderen sind Flüchtlinge und Migranten immer öfter auf die gleichen (irregulären) Wanderungsrouten und die Hilfe von Schleusern angewiesen. Hauptsächlich ist dies der Fall, weil die meisten Industrie- und Schwellenländer keine ausreichenden legalen Zuwanderungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Migranten anbieten. Die hohe Flüchtlingszuwanderung der Jahre 2015 und 2016 hat diesen Trend noch verstärkt.

Migranten passen sich in ihrem Verhalten der Rechtslage an und nehmen die vorhandenen Wege in Anspruch. Es ist also wichtig, die legalen Zuwanderungskanäle den Motiven der Migranten besser anzupassen. Dafür müssen klare politische und rechtliche Signale gesendet werden.

Können die gemischten Wanderungen quantifiziert werden?

Mit den bestehenden Daten lassen sich die gemischten Wanderungen nur unzureichend erfassen. Einen Anhaltspunkt bieten jedoch die Anerkennungsquoten der Aufnahmeländer. Die 173.846 von Deutschland im Jahr 2016 abgelehnten Asylerstanträge machten 25 Prozent der gesamten Erstanträge aus. Das legt zumindest die Vermutung nahe, dass 2016 der maximal mögliche Anteil der Migranten an den gemischten Wanderungen, bei denen es sich primär um Erwerbszuwanderung handeln kann, ein Viertel betrug. Diese Zahlen veranschaulichen die quantitative Bedeutung der gemischten Wanderungen und unterstreichen die Notwendigkeit, mit diesem Phänomen besser umzugehen.

Die neuen Zuwanderungsmöglichkeiten für den Westbalkan sind ein erster Ansatz

Erste Ansätze zur besseren Entflechtung von Flucht und Migration gibt es bereits. Insbesondere ist hier die im Oktober 2015 in der Beschäftigungsverordnung (§ 26 Abs. 2) geschaffene Möglichkeit zu nennen, für in die Heimat zurückgekehrte Zuwanderer aus den Westbalkan-Staaten, sich von dort aus um eine Beschäftigung in Deutschland zu bewerben. Diese Regelung war eine Reaktion der Bundesregierung darauf, dass die Asylanträge aus den Westbalkanstaaten stark gestiegen waren, die Anerkennungsquoten jedoch bei weniger als 1 Prozent lagen. Somit sollte zumindest ein Teil der Asylanträge in legale Erwerbsmigration überführt werden. Die Erwerbszuwanderung aus dem Westbalkan hat sich seitdem etwa verdoppelt von rund 12.000 in 2015 auf fast 23.000 (davon rund 12.000 über die Westbalkan-Regelung) Arbeitsaufnahmen 2016. Diese Maßnahme zeigt also durchaus Wirkung (zumindest rein zahlenmäßig). Für einen effektiven Umgang mit gemischten Wanderungen sind jedoch weitere Bemühungen angezeigt.

Mehr legale Zuwanderungsrouten für Flüchtlinge und Migranten

Die Studie zeigt, dass das Schaffen legaler und sicherer Wanderungswege für Flüchtlinge von großer Bedeutung ist, unter anderem in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Neben der Unterstützung von Erstaufnahmeländern sind hier insbesondere Resettlement-Programme zu nennen, das heißt die Übernahme von Flüchtlingskontingenten aus Erstaufnahmeländern. Da der politische Wille für ein schlagkräftiges Resettlement-Programm auf europäischer Ebene im Moment fehlt, könnte die Bundesregierung, zusätzlich zu den Empfehlungen der Studie, auch mit einem eigenen – quantitativ bedeutsamen – nationalem Programm voranschreiten, gegebenenfalls mit einigen Partnerstaaten. Solch eine Initiative könnte bei Erfolg später in ein europäisches Programm überführt werden.

Als einen weiteren Beitrag zur Entflechtung gemischter Wanderungen identifizieren die Studienautoren transparentere Zugangsmöglichkeiten für Erwerbszuwanderer. Gegenwärtig gibt es über 50 verschiedene Zuwanderungsmöglichkeiten zum Zweck der Erwerbstätigkeit. Das ist weder zuwanderungsinteressierten Drittstaatsangehörigen noch Unternehmen im Inland zu vermitteln. Ein Punktesystem, wie von den Studienautoren vorgeschlagen, oder alternativ eine Reform innerhalb der bestehenden Systematik mit der Blauen Karte EU als zentrale Säule, wäre ein Schritt in die richtige Richtung, um das deutsche Einwanderungssystem überschaubarer zu gestalten.

Auf institutioneller Ebene würde laut der Studie die Schaffung eines eigenständigen Bundesministeriums für Migration, Flucht und Integration Sinn machen. Ein derartiges Ministerium, in dem alle mit Einwanderung verbundenen Fragen von Asyl bis Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern gebündelt und koordiniert würden, hätte mehr Handlungsfreiheit, kohärente Konzepte zu erarbeiten und diese auch zu implementieren.

Die Autoren identifizieren auch den Übergang zwischen Asyl und Migration als Hebel, um gemischte Wanderungen zu entwirren. So muss eruiert werden, ob Asylbewerber unter bestimmten Bedingungen während des Asylverfahrens oder nach Ablehnung des Asylantrags in einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit oder zur Ausbildung wechseln könnten. In diesem Zusammenhang spricht sich die Studie dafür aus, dass der Rückkehr von Ausreisepflichtigen eine größere Bedeutung zukommt. So ist eine effektive und an menschenrechtliche Standards gebundene Rückkehrpolitik – mit einem Fokus auf Programme zur freiwilligen Rückkehr – ein komplementäres Element einer ganzheitlich gedachten Asylpolitik. Auch weist die Studie darauf hin, dass die Datengrundlage zur Erfassung der gemischten Wanderungen verbessert werden muss.

Damit Asyl und Migration vorrausschauend und nachhaltig gestaltet werden können, ist es von Bedeutung, Migrationsmotive und Zuwanderungskanäle so weit wie möglich in Einklang zu bringen. Nur so kann die Politik den Modus des kurzfristigen Krisenmanagements hinter sich lassen, das Vertrauen der Bevölkerung in die erfolgreiche Gestaltung von Migration stärken und dem Rechtspopulismus seine Grundlage der Agitation nehmen. Aktuell Meinung Studien

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  1. Gerd Brodowski sagt:

    Die „Guten“ ins Töpfchen, die „Schlechten“ ins Kröpfchen…