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Türkei-Referendum

Deutschtürken fühlen sich ausgegrenzt

Nach der Abstimmung zur Verfassungsänderung in der Türkei warnen Experten vor Schuldzuweisungen an Deutschtürken. Die Türkische Gemeinde mahnt mehr Willkommenskultur an. Der Konfliktforscher Andreas Zick empfiehlt politische Bildung für Migranten.

Donnerstag, 20.04.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 21.04.2017, 14:36 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Türkische Gemeinde kritisiert Forderungen nach strengeren Regelungen für den Doppelpass. Deutschtürken müssten viel mehr das Gefühl erhalten, zur deutschen Gesellschaft dazuzugehören, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu. Der Konfliktforscher Andreas Zick mahnte ein Integrationskonzept mit einem politischem Bildungsangebot an. Für eine Mäßigung in der Debatte sprach sich die Chefin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Jutta Cordt, aus.

Die Zustimmung vieler Deutschtürken zur Verfassungsreform in der Türkei ist nach Ansicht von Sofuoğlu auf Defizite bei der Integration zurückzuführen. „Viele Menschen fühlen sich hier ausgegrenzt und diskriminiert“, sagte Sofuoğlu am Mittwoch im WDR-Radio. Sie sähen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als „ihren Kümmerer“, und hätten für ihn gestimmt, ohne sich mit der Verfassungsänderung auseinandergesetzt zu haben.

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Forderungen der Union nach strengeren Regelungen zum Doppelpass erteilte Sofuoğlu eine Absage. Die doppelte Staatsbürgerschaft sei kein Hindernis für eine Integration, sondern könne vielmehr Menschen motivieren, sich in Deutschland zu beteiligen, erklärte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Entscheidend sei es, Migranten das Gefühl zu vermitteln dazuzugehören, betonte Sofuoglu.

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Zick warnt vor Schuldzuweisungen

Der Konfliktforscher Andreas Zick warnte vor Schuldzuweisungen. „Wenn wir jetzt wieder anfangen, den deutsch-türkischen Bürgern vorzuhalten, sie wären für den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verantwortlich, dann ist das Wasser auf die Mühlen des Opferkultes“, sagte Zick dem Evangelischen Pressedienst. Aus dem Kreislauf von Minderwertigkeit und gegenseitigen Beschuldigungen müsse man heraus. Nötig sei ein Integrationskonzept, zu dem ein politisches Bildungsangebot und der Abbau von Minderwertigkeitsgefühlen gehören.

Wichtig sei nun die Frage, „wie man jene, die für ein autoritäres Regime votiert haben, überzeugen kann, dass die langfristigen Folgen problematisch sind“, sagte Zick, der das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld leitet. Junge deutsch-türkische Menschen hätten in Schulen und Betrieben nur wenig Gelegenheit, sich über die Situation in der Türkei politisch zu bilden, erklärte der Wissenschaftler. In der Debatte sei „viel Patriotismus und aufgeblasener Selbstwert über die Türkei unter Erdoğan dabei“. Die Folgen von autoritären Systemen würden jedoch kaum verstanden.

Bürger zweiter Klasse

Das Abstimmungsverhalten unter türkischen Bürgern in Deutschland sei eine Warnung, die Versäumnisse bei der Integration aufzuarbeiten, mahnte Zick. Bei den älteren deutsch-türkische Bürgern, die früher Gastarbeiter waren, wirke sich aus, dass von ihnen Assimilation gefordert worden sei. Menschen würden sich dann in einer Heimat stärker einrichten, wenn sie sich in der anderen Heimat assimilieren sollten. „Sie haben sich in zwei Welten eingerichtet: Arbeit in Deutschland, politische Teilhabe in der Türkei.“ Bei der jüngeren Generation habe sich das Gefühl eingeschlichen, Bürger zweiter Klasse in Deutschland zu sein.

Wenn die Mehrheit die deutsch-türkischen Bürger in erster Linie als Muslime und erst dann als Bürger mit politischen Interessen sehe, helfe das nur türkischen populistischen Gruppen, warnte Zick. Nötig seien realistischere Angebote für Menschen, die in modernen Welten mehr als eine Identität hätten.

BAMF-Chefin mahnt zur Mäßigung der Debatte

Die Chefin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Jutta Cordt, mahnte eine Mäßigung in der Debatte nach dem Referendum an. Gerade jetzt sollten Deutsche und türkischstämmige Bürger „nicht in Polemik abdriften oder pauschale Urteile übereinander fällen“, sagte Cordt der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post.

Der Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), warnte vor einem Abbruch der politischen Beziehungen. Die Türkei bleibe „für Deutschland ein schwieriger Partner, für Europa ein wichtiger Nachbar und für die Nato unser Flugzeugträger im Nahen Osten“, sagte Lambsdorff der Rheinischen Post. Eine radikale Abkehr von der Türkei, wie sie unter anderem von den Grünen gefordert werde, halte er für falsch. Grünen-Chef Cem Özdemir hatte sich für eine Neubewertung der deutsch-türkischen Beziehungen ausgesprochen. Unter dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan könne die Türkei kein Mitglied der EU werden.

In dem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei hatten am Sonntag rund 51 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt. Unter den türkischen Wählern in Deutschland votierten rund 63 Prozent für die Vorlage, mit der Präsident Erdoğan seine Macht ausbauen will. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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  1. Bernd M sagt:

    Ich kann dem Artikel grundsätzlich zustimmen. Wir müssen einen Weg finden, dass wir die Deutschtürken in Deutschland für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft gewinnen. Trotzdem würde ich auch gerne sehen, dass der Doppelpass zumindest ab der dritten Generation eingestellt werden sollte. Es kann keine grundsätzliche Option für immer bleiben. Mein Wunsch wäre aber auch, dass der Staat gegen die nationalistischen Teile der türkischen Migranten entschiedener vorgeht. Man kann nicht von der Mehrheitsbevölkerung verlangen, dass sie ihre Integrationsbemühungen erhöht und Teile der Mitbürger in Institutionen zu dem Gegenteil aufrufen und fordern, sich nicht dem demokratischen Weltbild zu verschreiben und Abstand von Deutschen zu nehmen. Das wird dann nicht klappen. Wünschen würde ich mir auch eine Unterstützung der türkischen Gemeinde, wie und was wir tun können, um dieses Verhältnis zu verbessern.

  2. Jörg sagt:

    Der obige Artikel verkennt völlig die Fakten. Erdogan bekommt durch das Referendum mehr Machtbefugnisse. Wer im Besitz eines deutschen Passes ist, muss auch wirksam durch den deutschen Staat vor Übergriffen anderer Staaten geschützt werden können.

    Der Fall Deniz Yücel hat klar gezeigt, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft genau hier zur Achillesverse wird. Deutschland kann hier nur mit „halber Kraft“ auf diplomatischem Weg für die Freilassung dieses Journalisten aktiv werden. Hätte Yücel keinen türkischen Pass, hätten wir den klaren Fall, dass ein deutscher Staatsbürger unrechtmäßig in einem Staat gefangen gehalten wird, der die Pressefreiheit missachtet.

    Eine restriktivere Handhabung der doppelten Staatsbürgerschaft sollte davon abgesehen nicht darin münden, dass hier lebende Deutschtürken ihren deutschen Pass abgeben, sondern den türkischen. Ich kann verstehen, dass es aus emotionalen Gründen für viele schwer sein wird den Pass ihres Heimatlandes abzugeben, aber Deutschland kann gerade jetzt nach dem Referendum diesen Menschen mehr Sicherheit und bessere Perspektive bieten als die Türkei, die sich aktuell sowohl wirtschaftlich wie auch politisch auf einer rasanten Talfahrt befindet.