Differenz
Der Feind heißt Gewalt
Nach Terroranschlägen sind Migranten besonders besorgt. Sie fürchten politische und soziale Auswirkungen. Die Beispiele Berlin-Breitscheidplatz und Köln-Silvester 2.0 zeigen, dass es um viel mehr geht, als um Sicherheitspolitik. Von Maria Alexopoulou
Von Maria Alexopoulou Donnerstag, 12.01.2017, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.01.2017, 20:14 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Wir Migranten sind immer besonders betroffen, wenn solche Dinge wie auf dem City-Weihnachtsmarkt in Berlin passieren. Wir bedauern nicht nur die Opfer, wir haben nicht nur um uns selbst oder um unsere Kinder in Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Plätzen Angst. Nein, in unseren Köpfen kommt auch gleich der Gedanke auf, welche rassistische Hasswelle in den sozialen Medien losbrechen wird, welche politischen Auswirkungen das haben wird und welche Folgen für das gesellschaftliche Klima mal wieder zu befürchten sind.
Nach der Silvesternacht in Köln 2015/16 war die Verschärfung des Asylrechts ein Einfaches, Political Correctness gilt inzwischen als Todsünde, racial profiling ist gang und gäbe, der rechtspopulistisch vergiftete politische Diskurs feiert Urstände. Meilensteine wie die doppelte Staatsbürgerschaft werden wieder offen infrage gestellt, Symbolpolitik wie das Burka-Verbot als substanzielle Politik verkauft.
Diesmal ging es besonders schnell: Bereits am Morgen nach dem Anschlag in Berlin, als noch unklar war, was eigentlich passiert ist, hieß es aus Bayern, dass die Zuwanderungs- und Asylpolitik geändert werden müsse. Die AfD erklärte das Staatsversagen in der Migrationspolitik. Die Diskussion begab sich dann relativ bald auf die sicherheitspolitische Schiene und es werden nun konkrete Maßnahmen gegen „Gefährder“ erlassen, so etwa die Fußfesseln, die den verängstigten Bürger beruhigen sollen.
Aber wird es bei Sicherheitspolitik bleiben? Und was wird uns bei dieser Gelegenheit alles als Sicherheitspolitik verkauft? Im Windschatten von Berlin-Breitscheidplatz und Köln-Silvester 2.0 scheint zumindest racial profiling eine gesellschaftlich vollkommen akzeptierte Praxis geworden zu sein, jede diesbezügliche Kritik höchst verdächtig. Mir als Migrantin macht das Angst.
Der Attentäter, der den aktuellen sicherheitspolitischen Aktionismus auslöste hat das deutsche Asylrecht missbraucht, hat im Namen des IS gehandelt. Und wenn die Sicherheitsbehörden und das gesamte System besser funktioniert hätten, wäre er schneller nach Tunesien abgeschoben worden, um vielleicht dort seinen Anschlag auszuüben.
Aber ändert der Fall Amri wirklich etwas am globalen Phänomen Flucht und Migration? Ändert dieser Fall etwas an der Tatsache, dass ein Teil dieser Fliehenden und Schutzsuchenden nach Deutschland und Europa kam und kommt? Ändert er etwas daran, dass viele dieser „Anderen“ seit Jahrzehnten in Deutschland leben? Denkt man außerdem wirklich, dass der IS unabhängig von den Fluchtbewegungen keine Möglichkeit finden würde, um gefährliche Psychopaten nach Europa zu schleusen oder einheimische zu radikalisieren?
Sollen nun etwa, ganz nach „Trump-Manier“, keine Muslime mehr nach Deutschland einreisen dürfen und alle Muslime unter Generalverdacht stehen? Und was ist mit uns restlichen Migrant*innen, die wir schon ein Leben lang hier sind? Sind wir auch irgendwie suspekt? Wo wird da genau die Grenze gezogen? Eine alternative, ebenso unsinnige Idee: Warum werden denn nicht einfach alle Männer abgeschoben oder eingesperrt? Die allermeisten Terroranschläge, auch die der rechten Rassisten, gehen doch auf ihr Konto.
So ist das eben mit der Differenz: welche ist wegen was wann relevant?
Gewalt kennt weder Nationalität noch Herkunft. Der IS hat kein Patent auf Terror und Gewalt in Europa. Europa und auch deutscher Boden waren im 20. Jahrhundert Schauplatz unvorstellbaren Terrors und Gewalt. Der Holocaust bleibt weiterhin ihre grausamste Ausprägung. Immer war irgendeine Differenz, die so wesenhaft, essenziell, unauslöschlich zu sein schien, zumindest die vorgebliche Ursache dieser kollektiven Gewalt. Auch der IS legitimiert seine Gewalt auf Grundlage einer essenzialisierten Differenz, der gemäß Menschen nach religiöser Ausrichtung in lebenswerte und jene, die nicht leben sollen, bzw. die zu töten gar eine edle Tat ist, zu unterscheiden sind. Aktuell Meinung
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