Krank und abgeschoben
„Im Kosovo wäre der Kleine gestorben“
Selbst schwer erkrankte abgelehnte Asylbewerber haben kaum noch eine Chance auf ein humanitäres Bleiberecht. Was mit den Menschen nach einer Abschiebung geschieht, ist für die deutschen Behörden kaum von Interesse. Von Karsten Packeiser
Von Karsten Packeiser Freitag, 25.11.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.11.2016, 16:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das Gesicht von Bajram Neziri (Name geändert) ist schmerzverzerrt, als er zur Tür gehumpelt kommt, um den Besuch zu begrüßen. Der 43-jährige Kosovare muss sich auf einen seiner Söhne stützen, wenn der Rollator nicht in der Nähe steht. Was der vierfache Vater über sich und seine Familie erzählt, geht unter die Haut: Er selbst kann kaum laufen. Seine Frau hat Krebs. Der vierjährige jüngste Sohn hat eine lebensbedrohliche Form von Epilepsie, er ist zu 100 Prozent schwerbehindert. Um das Leben des Jungen zu retten, flüchtete die sechsköpfige Familie, die im Kosovo von 60 Euro Sozialhilfe im Monat lebte, 2014 nach Deutschland. Nun droht ihr die Abschiebung.
„Im Krankenhaus von Pristina haben sie uns gesagt, sie können ihn nicht behandeln, und er müsse ins Ausland“, erzählt Neziri, der zur Volksgruppe der Haschkali gehört und einen Arztbrief hervorholt, der seine Worte bestätigt. In der Heimat besaß die Familie – wie viele Angehörige der diskriminierten Minderheit – keine Krankenversicherung. „Im Kosovo wäre der Kleine gestorben“, sagt der Vater. Tatsächlich konnten die Beschwerden des Jungen in Deutschland nach mehreren aufwendigen Operationen unter Kontrolle gebracht werden, während sich gleichzeitig der Gesundheitszustand der Eltern verschlechterte.
Existenzielle Not reicht nicht
Existenzielle Not ist freilich kein Grund für politisches Asyl in der Bundesrepublik. So brauchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach einer Anhörung der Familie im Herbst nur noch wenige Tage, bis es Ablehnungsbescheid und Abschiebeandrohung zur Post gab. In dem 18-seitigen Papier werden die gesundheitliche Situation der Eltern mit einigen knappen Absätzen abgehandelt und angezweifelt. Und die „Kopfschmerzen“ des Jungen könnten auch im Kosovo behandelt werden, so der Entscheider. Der albanische Dolmetscher habe viele wichtige Details über ihren Gesundheitszustand einfach nicht übersetzt, klagen die verzweifelten Eltern.
„Ich sehe es so, dass diese Familie absolut schutzbedürftig ist“, empört sich auch Aleksandar Ceh, der sich durch einen ganzen Berg medizinischer Unterlagen gewühlt hat. Der gebürtige Kroate ist Vorsitzender eines örtlichen Integrationsbeirats und in Rheinland-Pfalz zurzeit die letzte Hoffnung für viele Schutzsuchende aus den Balkanstaaten. Denn um in humanitären Notlagen zu helfen, scheut er auch den Konflikt mit Behörden nicht.
Abschiebungen entgegen ärztlicher Warnungen
Ceh kennt inzwischen mehrere Fälle, in denen Ausländerämter Abschiebungen entgegen ärztlicher Warnungen durchsetzten, so zuletzt bei einer akut suizidgefährdeten Frau aus dem Norden des Bundeslandes. Bei Familie Neziri zweifelt er nicht nur deren Reisefähigkeit an. Ebenso treibt ihn die Sorge um, dass nach einer Abschiebung die beiden älteren, 16 und 14 Jahre Söhne für den Unterhalt der gesamten Familie aufkommen müssten.
Schon vor der Ausreise nach Deutschland mussten die Jungen mithelfen, die Familie über Wasser zu halten statt in die Schule zu gehen: Mit dem Einsammeln von Schrott und Altpapier konnten sie einige Cent verdienen. Außerdem warteten sie oft auf dem örtlichen Lebensmittelmarkt auf Kunden. „Denen haben wir die Einkäufe mit der Schubkarre nach Hause gefahren“, erinnert sich Nderim, der älteste Sohn.
Atteste werden ignoriert
„Viele Atteste von Menschen aus Balkan-Staaten werden ignoriert“, sagt Bernd Mesovic, rechtspolitischer Sprecher von „Pro Asyl“. Seit die Länder der Region als sichere Herkunftsstaaten eingestuft wurden, sei die Chance auf einen Abschiebeschutz aus Gesundheitsgründen noch geringer geworden: „Das verstellt den meisten Entscheidern den Blick“. Asylsuchende mit gravierenden, in der Heimat nicht behandelbaren Gesundheitsproblemen bräuchten erstens hieb- und stichfeste detaillierte Atteste und zweitens die Unterstützung eines wirklich fachkundigen Anwalts, rät er.
Die Familie Neziri kann sich einen Anwalt nicht leisten, sie hat schon ein Problem damit, die Busfahrkarten für den nächsten Arztbesuch zu bezahlen. Ob das Wormser Ausländeramt derzeit tatsächlich eine Abschiebung vorbereitet, ist nicht zu klären. Mehrere Anfragen zu dem Fall an das Rathaus bleiben unbeantwortet. (epd/mig) Ausland Leitartikel
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