Entwicklungsminister Müller
„Ein afrikanischer Flüchtling verlässt nicht freiwillig sein Land“
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat den Senegal, Niger und Ruanda besucht. Schwerpunkt der Reise war die Migrationsbewegung nach Europa. Die EU will die gefährliche Flucht übers Mittelmeer eindämmen. Müller im Gespräch über die Möglichkeit von Migrationspartnerschaften und die Chancen der Entwicklungshilfe.
Von Corinna Buschow Dienstag, 16.08.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.08.2016, 17:42 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Minister Müller, die EU strebt zur Eindämmung der Fluchtbewegung über das Mittelmeer Migrationspartnerschaften mit afrikanischen Ländern an. Sie haben Senegal und Niger – zwei Länder auf der Liste – gerade besucht. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Gerd Müller: Ich begrüße den Vorschlag von EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Das Konzept der Migrationspartnerschaft muss jetzt konkretisiert werden. Deutschland ist umsetzender Partner der EU für Niger und Mali. Wir werden unsere nationale Entwicklungszusammenarbeit mit den EU-Vorschlägen vernetzen und ergänzen. Das kann auch ein Modell dafür sein, künftig stärker koordiniert als Europäer aufzutreten.
Wie können diese Partnerschaften konkret aussehen?
Gerd Müller: Entscheidender Punkt ist die Verstärkung der wirtschaftlichen Kooperation und Stärkung der Länder in der Möglichkeit, den Menschen vor Ort Perspektiven zu bieten. Nehmen wir Ruanda als Beispiel, das in den vergangenen 20 Jahren einen starken Aufschwung erfahren hat: Es gibt praktisch keine Flüchtlinge aus Ruanda in Deutschland. Auch ein afrikanischer Flüchtling verlässt nicht freiwillig sein Land. Er ist auf der Suche nach Ausbildung, Perspektiven, Zukunft. Schaffen wir es, in den am wenigsten entwickelten Ländern Strukturen für Ausbildung und Arbeit zu schaffen, bleiben die Menschen in ihrer Heimat.
Wir müssen den Menschenschmuggel stärker bekämpfen und die Migrationszentren ausbauen, die Migranten beraten. Ein Großteil weiß nicht, dass er kaum Chancen auf Asyl-Anerkennung in Europa hat und welche Verbrechen ihn unterwegs bedrohen. Die Flüchtlinge werden per Smartphone nach Europa gelockt. Wir werden sie künftig besser informieren, welchen Gefahren sie sich aussetzen. Wir brauchen außerdem Rückführungsprogramme und Wege legaler Migration nach Europa. Der Austausch qualifizierter Fachkräfte muss möglich sein und eröffnet auch Chancen.
In der teilweise sehr erhitzen innerpolitischen Flüchtlingsdebatte werden die EU-Migrationspartnerschaften bereits mit dem EU-Türkei-Abkommen verglichen. Halten sie Vereinbarungen nach diesem Beispiel mit afrikanischen Ländern für möglich?
Gerd Müller: Nein, denn in Afrika herrscht eine ganz andere Situation. Syrien als Nachbarland der Türkei ist Kriegsgebiet. Zudem wird in Europa die Dimension der Migration aus Afrika nicht differenziert betrachtet: Die europäische Asylstatistik zeigt, dass kein einziges afrikanisches Land unter den zehn Hauptherkunftsländern ist. Die Migration aus den 54 afrikanischen Ländern macht in Europa derzeit weniger als zehn Prozent der Zuwanderung aus.
Zum Vorschlag der EU-Kommission zu den Migrationspartnerschaften gehört auch, mit mehr oder weniger Entwicklungshilfe die Migrationspartnerschaften zu forcieren. Ist das ein geeignetes Druckmittel?
Gerd Müller: Eindeutig nein. Daran sieht man, dass die EU-Kommission immer die kritische Begleitung der Mitgliedstaaten braucht. Es macht doch keinen Sinn, zum Beispiel laufende Bildungsprogramme für die Jugend Afrikas zu stoppen.
Dennoch haben Sie nichts gegen eine Verzahnung beider Themen. Haben sie bei Ihrem Besuch in Niger schon konkrete Zusagen gemacht?
Gerd Müller: Zusätzlich zu dem, was wir dort ohnehin leisten, wollen wir zwei Millionen Euro für die migrationspolitische Beratung und zusätzlich vier Millionen Euro für berufliche Bildung und Beschäftigung investieren. Zudem wollen wir Niger einbeziehen in das Programm „Migration und Entwicklung“. Wir brauchen zudem Brückenkooperation zwischen in Deutschland lebenden Menschen aus diesen Staaten und ihrer Heimat.
Halten Sie die Finanzen, die die EU-Kommission für die Partnerschaften in Aussicht gestellt hat, für ausreichend?
Gerd Müller: Es freut mich, dass Kommissar Avramopoulos acht Milliarden Euro für die Migrationspartnerschaften angekündigt hat. Es muss gelingen, diese acht Milliarden bis 2020 zu verdoppeln. Dies muss einer der Schwerpunkte des EU-Haushalts werden. Auch die bislang in den Blick genommenen neun Länder können nur ein erster Schritt sein. Es müssen weitere dazukommen, darunter Guinea und – das sage ich bewusst – auch Eritrea.
Bei den angestrebten Partnerschaften muss man einander bei der Umsetzung vertrauen. Für Regionen wie Agadez in Nordniger haben sich die Migranten zum Wirtschaftsfaktor entwickelt, nicht zuletzt für die Transportunternehmen, die die Menschen zur Grenze nach Libyen fahren. Wie optimistisch sind Sie, dass Verantwortliche vor Ort tatsächlich kooperieren?
Gerd Müller: Niger hat ein Gesetz zur Bekämpfung des Schleusertums erlassen und stuft diese Transporte als organisierte Kriminalität ein. Der Staat ist zur vollen Kooperation mit Deutschland und den europäischen Behörden zur Bekämpfung der illegalen Migration und zur Rückführung bereit. Agadez leidet auch unter der Migration. Der Tourismus ist dort zusammengebrochen. Arbeitsplätze fallen weg. Die illegale Migration darf dort jetzt nicht zur Alternative werden. (epd/mig) Aktuell Interview Politik
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