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Cem Karaca, der türkische Kult-Musiker

Wie Deutsch-Türken empfinden

Ein 30 Jahre alter Integration-Song wird plötzlich zum Internet-Hit

Unions-Fraktionschef Volker Kauder fordert von Türken ein Loyalitätsbekenntnis zu Deutschland. Derweil erwacht ein über 30 Jahre altes Integrations-Lied zum neuen Leben. Es zeigt, warum Deutschland es nicht schafft, Türken an sich zu binden.

Dienstag, 02.08.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.08.2016, 21:32 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Ein Lied wird nach über 30 Jahren zum Internet-Hit unter Deutsch-Türken. Komponiert und gesungen wurde es erstmals 1984 vom türkischen Kult-Musiker Cem Karaca. Seine Mutter war Armenierin, sein Vater stammte aus Aserbaidschan. Er galt als Systemkritiker und musste nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei bis 1987 in Deutschland im Exil leben.

In seiner Zeit in Deutschland schrieb und komponierte er eine Vielzahl an Liedern in deutscher Sprache. Darunter auch „Willkommen“ aus seinem Album „Die Kanaken“. Erstaunlich ist, dass Karaca schon vor 32 Jahren ein Lied über Integration und Willkommenskultur geschrieben hat. Darin beschreibt der türkische Kult-Musiker, wie er das Leben in Deutschland empfunden hat:

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Komm Türke – trinke deutsches Bier,
dann bist du auch willkommen hier.
Mit „Prost“ wird Allah abserviert,
und du ein Stückchen integriert.

Ihr stinkt nach Knoblauch – lasst den weg,
eßt Sauerkraut mit Schweinespeck.
Und wer statt Kinder Dackel dressiert,
der ist fast schon integriert

Die Pluderhosen stören nur,
tragt Bein und Kopf – doch bitte pur.
Politisch seid nicht interessiert
dann seid ihr endlich integriert.

Als Müllmann mögen wir euch schon,
steht hinten an – gehts um den Lohn,
steht vorn an wenn man abserviert,
dann seid ihr überintegriert.

Heute, nach 32 Jahren, zieht der Song im Internet weite Kreise und die deutsch-türkische Community ist sich einig: das Lied hat kaum an Aktualität eingebüßt.

„Tragt Bein und Kopf – doch bitte pur“ beschreibe die heutige Kopftuchdebatte. Die Diskriminierung von Ausländern auf dem Arbetismarkt finde seinen Niederschlag in der vierten Strophe. Und Debatten über muslimische Ess- und Trinkgewohnheiten seien ebenfalls kein Schnee von Gestern – etwa wenn sich deutsche Politiker aufregten über Kantinenessen ohne Schweinefleisch.

Seine plötzliche Popularität verdankt das Lied aber auch dem Lebensweg von Karaca. Der kürzlich niedergeschlagene Staatsstreich in der Türkei hat Werke von Künstlern in Erinnerung gerufen, die in früheren Putsch-Kontexten entstanden sind.

„Und da fragen sich deutsche Politiker, warum am Wochenende in Köln so viele Türken demonstriert haben“, schreibt ein Facebook-User über das Lied. „Natürlich gehen wir hin. So lange dieses Lied aktuell bleibt, wird sich daran auch nichts ändern“, ist er sich sicher. Sein Kommentar endet mit einem „Leider“. (bk/zk) Feuilleton Leitartikel Videos

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  1. Peter sagt:

    Cem Karaka war ein toller Künstler mit Weitblick und sehr gutem Verständnis der Vorgänge in den Gesellschaften. Sein angesprochenes deutschsprachiges Album „Die Kanaken“ gibt da einen guten Einblick. Es lohnt sich hinein zu hören, die Lieder sind allesamt auf Youtube leicht zu finden. Empfehlenswert sind auch die Titel „Mein deutscher Freund“ und „Es kamen Menschen an“. Oder der Titel „Beim Kaffee“, bei welchem es um polnische Einwanderer in Deutschland geht – in Analogie auf türkische Einwanderer. Auch „Was Sagst Du?“ hat viel aktuelles, wie z.B.: „Du sagst: Du hast nichts gegen uns, aber ….“
    Einfach reinhören, es lohnt sich.

  2. aloo masala sagt:

    Kauders Forderung zeigt, dass er besser als Gesinnungsschnüffler für die SED geeignet gewesen wäre, denn als Politiker einer demokratischen Partei. Fehlt nur noch eine Jugendweihe für junge Türken, in denen sie sich zu den demokratischen Werten und gegen Antisemitismus bekennen sollen.

  3. Ana sagt:

    Bier, Sauerkraut und Schweinespeck ist Deutschland? Interessante Reduzierung von gesellschaftlicher Komplexität in 2016….

  4. Rudi Rakete sagt:

    Hallo Ana,
    wie im Artikel beschrieben wurde das Lied Mitte der 80er Jahre veröffentlicht. Auch damals waren Bier und Schweinespeck nicht die einzigen Lebensmittel, aber schaut man sich diese Nahrung vor dem religiösen Hintergrund vieler Türk_innen an, so wird klar, was thematisiert werden soll.
    Viele Grüße

  5. Wladislaw Wasilewski sagt:

    Zitat: „Und da fragen sich deutsche Politiker, warum am Wochenende in Köln so viele Türken demonstriert haben“, schreibt ein Facebook-User über das Lied. „Natürlich gehen wir hin. So lange dieses Lied aktuell bleibt, wird sich daran auch nichts ändern“, ist er sich sicher. Sein Kommentar endet mit einem „Leider“. Zitatende.
    Und leider, es tut mir leid, so lange es Menschen gibt, die in Deutschland für einen Diktator und Unterdrücker demonstrieren, der ihnen ganz offensichtlich wesentlich näher steht als unsere demokratisch-westliche Gesellschaft, so lange dürfen diese sich nicht wundern, dass die große Mehrheit in diesem Lande, und zwar diejenige jenseits von AfD und Pegida, und auch diejenige der anderen Migrantengruppen, diesem Ansinnen keinerlei Verständnis entgegenbringt.
    „Eine wirkliche Schande ist es, dass in Deutschland wieder für die Todesstrafe demonstriert wird und sei es auch nur für in der Türkei.“ Hendryk Broder in N-24!
    Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, und deshalb sind die innertürkischen Zustände derzeit ja so skandalös, dort wird es mit Füßen getreten! Aber hier diese Freiheit zu nutzen, um dort einem Diktator zu zu jubeln, ist für die allermeisten hier zu Recht völlig unverständlich. Und ich sage das als polnischer Migrant, der nicht halb so schlimme Zustände in seinem Herkunftsland schon für unerträglich hält!

  6. Christoph sagt:

    Man fordert immer Integration von den Türken und viele Menschen glauben auch tatsächlich, dass sich Türken in schlechte Gegenden freiwillig zurückziehen und schlechte Jobs annehmen und bewusst Integration verweigern.

    Allerdings darf man nicht vergessen, dass der Türke immer Türke bleiben wird, sofern er wie einer aussieht.

    Und das zeigen auch Diskirminierung und Ablehnung von Türken bei Bewerbungen

  7. Christoph sagt:

    Mich stören die RELATIVIEREr wie Herr Wasilewsi

    auf die kann man hier getrost verzichten. Das sind Menschen, die vieles relativeren und im Grunde ein falsches Weltbild haben.

    Und dass Sie Broder zitieren, sagt schon viel über Sie aus. EIN mensch der gegen Muslime hetzt […] und umstritten war und ist

    Und ich finde es eine Schande, dass Rassismus hierzulande wieder pseudowissenschaftlich und pseudointellektuell relativiert wird.

    TODESSTRAFE IN DER TÜRKEI ist schlimm, aber was haben die vielen Türken hier damit zu tun ?

    Und seltsam, dass i solchen Kommentaren immer mit Freiheit und Demokratie begründet wird!

    Das ist fatal und erinnert mich an Rassisten im Netz die sich im Geiste von SOPHIE SCHOLL und STAUFFENBERG sehen

    So kann man auch Geschichte umschreiben

  8. Der Keks sagt:

    „TODESSTRAFE IN DER TÜRKEI ist schlimm, aber was haben die vielen Türken hier damit zu tun ?“

    Ähem… sie demonstrieren dafür? Sie demonstrieren für einen Diktator, der auf Demokratie spuckt, der Minderheiten unterdrückt (alles was nicht männlich, Türke und sunnitischer Muslim ist). Und der relative Anteil der AKP-Wähler in Deutschland ist weit höher als in der Türkei.
    Wenn Sie da Parellelen zum Dritten Reich sehen, dann sehen Sie die offensichtlich auf der falschen Seite. Nicht Deutschland ist anzuklagen, wenn es sich über diese Zustände und die dahinter stehende empört – genausowenig wie man es dem Rest Europas 1933 anlasten konnte, dass die ein Problem mit den politischen Zuständen in Deutschland hatten. Was ist das für eine kaputte Denkweise, die die Abneigung gegenüber und das Warnen vor Faschismus selbst zum Faschismus erklärt – und das nur weil die Faschisten hier die mit der dunkleren Hautfarbe sind?

  9. Dietmar Jezior sagt:

    @Der Keks Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland, hier gilt das Grundgesetz für alle. Natürlich dürfen Menschen für Erdogan demonstrieren! Und Du musst dich auch nicht wundern wenn es immer mehr werden. Versuch doch mal mit einem türkisch klingendem Nachnamen eine Wohnung oder einen Job zu finden. Da ist man immer zweite Wahl. Die Wahlergebnisse der AFD zeigen doch deutlich das es in Deutschland einen Rassismus gibt. Schlechte Türkenwitze hör ich hier auch fast täglich. Darum gilt: Liebe Ausländer lasst uns mit diesen „Deutschen „nicht allein!