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Bundespräsident Joachim Gauck während seiner Rede in Rostock-Lichtenhagen © Fernsehbilder des ard, bearb. MiG

Gauck hört auf

Bundespräsident will aus Altersgründen nicht erneut kandidieren

Joachim Gauck erklärt seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident. In Erinnerung bleiben wird Gauck unter anderem wegen seinen Aussagen zu Muslimen in Deutschland und zur deutschen Flüchtlingspolitik. Der neue Präsident soll im 2017 gewählt werden.

Von Karsten Frerichs, Marlene Petermann, Birol Kocaman Dienstag, 07.06.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.06.2016, 18:17 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Deutschland bekommt im nächsten Frühjahr einen neuen Bundespräsidenten. Aus Altersgründen erklärte Amtsinhaber Joachim Gauck am Montag seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“, sagte der 76-Jährige im Berliner Schloss Bellevue. Parteiübergreifend zollten Spitzenpolitiker dem scheidenden Staatsoberhaupt Respekt und äußerten zugleich Bedauern wie Verständnis für Gaucks Entscheidung.

Sichtlich gelöst war Gauck am Mittag in seinem Amtssitz in Berlin vor die Presse getreten. Sein Gesicht strahlte Erleichterung statt Wehmut aus. Mehrfach sprach er in seiner knapp vierminütigen Erklärung von Freude im Amt und Vorfreude auf die Zeit bis zum 17. März 2017. An diesem Tag wird Gauck Schloss Bellevue verlassen und an einen Nachfolger übergeben.

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Gehören Muslime zu Deutschland?

„Was für ein schöner Sonntag“, hatte Gauck schon am 18. März 2012 nach seiner Wahl zum 11. Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vor der Bundesversammlung ausgerufen. Dass ihm auch die nachfolgenden Jahre im Amt mehr Lust als Last waren, führte er am Montag noch einmal so knapp wie eindrücklich aus. Regelmäßig begegne er Menschen, „die durch ihr beharrliches, oft selbstloses Engagement dafür sorgen, dass unser Land täglich stärker und schöner wird“. Für ihn sei es eine große Ehre, der Bundesrepublik zu dienen.

Gleich zu seinem Amtsantritt stand er vor seiner ersten Bewährungsprobe. Mit Spannung wurde erwartet, wie er sich zum Satz seines Vorgängers Christian Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland“ positionieren würde. „Nein“, er übernehme den Satz nicht, antwortete Gauck Ende Mai 2012 auf eine entsprechende Frage in Zeitungsinterview. „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland“, so Gauck. Damit gewann er die Herzen der Muslime zwar nicht, nahm Kritikern des Wulff-Zitates aber auch den Wind aus den Segeln.

Begrenzte Aufnahmekapazität

Viel zitiert und deshalb in Erinnerung bleiben wird auch die Reaktion Gaucks auf fremdenfeindliche Ausschreitungen vor Flüchtlingsunterkünften. „Es gibt ein helles Deutschland, das sich hier leuchtend darstellt, gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören“, sagte er Mitte 2015. Nur wenige Wochen später kritisierte Gauck mit deutlichen Worten die offene Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Er warnte, die Aufnahmekapazität Deutschlands sei begrenzt, die Mittel endlich. Die Menschen schwor er auf schwierige Zeiten ein.

Der frühere Rostocker Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler Gauck war eine der Führungsfiguren der friedlichen Revolution. Von 1991 bis 2000 leitete er die Stasi-Unterlagen-Behörde.

Merkel bedauert Rücktritt

Über Wochen hatte Gauck mit sich gerungen, ob er als Bundespräsident weitermachen soll. So ließen es zumindest seine wenigen öffentlichen Äußerungen zu dem Thema erahnen. „Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen“, räumte er nun ein. Er sei dankbar, dass ihm gut geht. Doch sei ihm bewusst, dass die vor ihm liegende Lebensspanne zwischen dem 77. und 82. Lebensjahr eine andere sei als die, in der er sich derzeit befinde. „Wie man das eigene Alter betrachtet, das ist eine ganz individuelle, ganz persönliche Frage. Ich habe sie für mich nun so beantwortet“, sagte der scheidende Präsident.

Bundeskanzlerin Merkel sagte, sie hätte sich eine zweite Amtszeit Gaucks gewünscht. Nichtsdestotrotz respektiere sie seine Entscheidung und danke ihm für seine bisherige Arbeit. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel äußerte Bedauern, dass Gauck nach fünf Jahren aus dem Amt scheiden will. Er sei ein „Präsident des ganzen deutschen Volkes“, der das Amt mit „Klarheit und absoluter persönlicher Integrität“ ausübt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte, mit seinem Rückzug vom Amt dokumentiere Gauck, „dass er die Freiheit, für die er Zeit seines Lebens gestritten hat, nun für sich selbst in Anspruch nehmen möchte“.

Nächste Präsidentenwahl im Februar 2017

Der parteilose Gauck war 2012 zum Nachfolger des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff gewählt worden. Der erst Ostdeutsche an der Spitze der Bundesrepublik war der gemeinsame Präsidentschaftskandidat von Union, FDP, SPD und Grünen. Die Bundesversammlung wählt das Staatsoberhaupt für fünf Jahre. Nur eine einmalige Wiederwahl ist zulässig.

Die nächste Präsidentenwahl ist für den 12. Februar 2017 geplant. Welche Kandidaten die Parteien ins Rennen schicken, ist noch unklar. Eine Verständigung auf einen gemeinsamen Bewerber von Union und SPD gilt als schwierig, weil im Herbst nächsten Jahres auch der Bundestag neu gewählt wird und die politischen Lager auf eine Schärfung ihres eigenen Profils bedacht sind.

Suche nach Nachfolger haben begonnen

Merkel sagte, „glücklicherweise“ sei Gauck noch einige Monate im Amt. Diese Zeit sollte für die Suche eines Nachfolgers genutzt werden, eine Entscheidung aber erst nach den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im September fallen, wenn die Zusammensetzung der Bundesversammlung geklärt ist. Gespräche über einen Kandidaten würden nicht nur zwischen CDU und CSU geführt, sondern auch darüber hinaus.

Gauck wischte am Montag vorsorglich Bedenken beiseite, sein Auszug aus Schloss Bellevue könnte die Republik erschüttern. Ein Wechsel im Amt des Bundespräsidenten sei „kein Grund zur Sorge“: „Er ist vielmehr demokratische Normalität, auch in fordernden, auch in schwierigen Zeiten.“ (epd/mig) Leitartikel Politik

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