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Flüchtlinge auf Piräus © Maria Ullrich

Flüchtende in Griechenland

„Niemand ist verantwortlich“

Am griechischen Hafen von Piräus nahe Athen leben noch immer ca. 1.500 Geflüchtete. In einem Zustand zwischen vor und zurück, zwischen Warten und Aufgeben. Sie sind unsicher darüber, welche Folgen Entscheidungen über einen Eintritt ins griechische Asylsystem, über eine Rückkehr in ihre Heimatregion oder über ein Warten auf die noch so kleine Chance einer Weiterreise mit sich bringen würden. Freiwillige Helfer aus ganz Europa zeigen Aufmerksamkeit und Interesse für die unklare Situation der Piräus-Geflüchteten.

Von Mittwoch, 01.06.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.06.2016, 19:49 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Hafenanlage E1 befindet sich am hinteren Ende des Piräus. Dort leben die Geflüchteten in vielen bunten Iglu-Zelten, die auf dem Betonboden stehen. Einige wenige hatten das Glück, in den zwei kleinen Hallen unterzukommen, wo sie sich auf Matten und Decken dicht aneinander reihen. Es geht ein starker Wind und viele haben Mühe, ihre Zelte auf dem Boden zu halten. In unmittelbarer Nähe legen Kreuzfahrtschiffe ab, die nationale Grenzen mühelos überqueren.

Osman aus Syrien wohnt seit über 60 Tagen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern am Piräus. Er spricht etwas Deutsch, da er als Jugendlicher in Deutschland gelebt hat. Vor seinem Zelt lädt er zum Tee ein. Osman erzählt, dass seine Schwester noch immer in Deutschland lebe, seit über 20 Jahren. Osman war mit seiner Familie auf dem Weg zu seiner Schwester, als die Balkanroute geschlossen wurde. Er habe lange Zeit in Istanbul verbracht, aber seine Familie kaum versorgen können. Lediglich sein sehr junger Sohn habe etwas Geld verdient. Osman hofft auf eine bessere Zukunft in Deutschland. Seine Mutter sei von seiner Schwester bereits nach Deutschland geholt werden. Er und seine Familie sind in Griechenland hängen geblieben. Ob und wenn ja, wie er nach Deutschland kommen könnte, ist völlig unklar. Also wartet Osman.

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Auch alle anderen warten. Es geht nicht nach vorn und kaum zurück. Das sympathische Pärchen Amir und Aylin aus dem Libanon möchte ebenfalls nach Deutschland. Amir spricht fließend Deutsch, da er in Paderborn aufgewachsen ist. Einige Zeit nach seiner Rückkehr in den Libanon habe er Probleme mit der Hisbollah bekommen, da er Freunde vor ihr gewarnt hätte. Daher musste er mit seiner Frau sowie seiner kleinen Tochter fliehen. Er will zurück nach Deutschland, wo er noch immer Familie hat. Doch nachdem die Familie in Griechenland keine Chancen mehr sieht, überlegen Aylin und Amir, ob sie zunächst mittels eines Touristenvisum nach Deutschland einreisen könnten. Um dies zu beantragen, sagen sie, müssten sie in den Libanon zurückkehren. „Vielleicht in eine Gegend, die weniger gefährlich für uns ist“.

Wie lange das Camp am Piräus bestehen bleiben wird, ist unklar. Es gibt seit Langem Gerüchte, dass man den Hafen für die Touristensaison räumen möchte. Zuletzt äußerte sich die Regierung Mitte Mai, dass man die Geflüchteten bis Mitte Juni in offizielle Lager verlegen wird. Eine erste Räumungsaktion hatte Mitte April stattgefunden, die mit sich brachte, dass das Camp von Hafenanlage E2 auf E1 verschoben wurde. Es entstehen neue Flüchtlingslager in und um Athen und regelmäßig kommen Busse, um Personen mitzunehmen, die dort unterkommen würden. Viele der Menschen sind aber skeptisch, sie möchten keinen Asylantrag in Griechenland stellen. Oder sie haben Angst, schlecht untergebracht oder gar abgeschoben zu werden. Es kämen auch neue Geflüchtete ins Camp, die vorher unter widrigen Umständen in offiziellen griechischen Lagern untergebracht worden wären, so Filip.

Filip koordiniert eine Gruppe Freiwilliger der norwegischen Initiative „A drop in the ocean“. Die meist sehr jungen, engagierten Helfer verteilen Tee, unterstützen die Essensausgabe, verschenken Hygieneartikel, halten die wenigen sanitären Anlagen sauber und spielen, hüpfen und basteln mit den vielen Kindern. Ähnlich engagieren sich andere Gruppierungen und einzelne Volunteers aus ganz Europa. Diese jungen Menschen, mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Kapazitäten, aus Norwegen, Schweden, der Schweiz, Griechenland oder England zeigen die Präsenz eines zivilgesellschaftlichen Europas, das als politische Gemeinschaft in der Flüchtlingssituation kaum zu sehen ist. Wo viel weggeschaut wird aus Angst, Anreize für die Einreise weiterer Geflüchteter zu schaffen, bemühen sich die Volunteers, europäische Verantwortung zu zeigen. Damit sind sie weiter als all die Mitgliedstaaten, die sich auf eine geteilte Verantwortung und gemeinsame Gesamtstrategie im Umgang mit den ankommenden Geflüchteten nicht einigen können.

Doch für die Freiwilligen ist die Arbeit nicht leicht. Man merkt Filip seine Ernüchterung im Gespräch an. „Ich verstehe das System nicht. Niemand ist verantwortlich“, äußert sich der Student. Immerhin werde seit wenigen Wochen die Nahrungsmittelversorgung der Geflüchteten am Piräus von der Regierung gestellt. Aber es fehlt in der Flüchtlingsfrage noch immer an einer auf Langfristigkeit angesetzten politischen Auseinandersetzung zur Verantwortung Europas und seiner Mitgliedstaaten gegenüber den ankommenden Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben sind und deren Anzahl in den nächsten Jahren und Jahrzehnten kaum sinken wird. Es bedarf einer Anerkennung der Herausforderung mit all den Schwierigkeiten, die sie bringen mag. Wegsehen und Wegschieben – genau dieses Verhalten widerspricht dem Verständnis von Politik und Staatlichkeit. Die vielen Ehrenamtlichen bieten durch ihre „Integrationsarbeit“ der politischen Ebene eine Chance, zu reagieren, die die Europäische Gemeinschaft unbedingt nutzen sollte. Aktuell Meinung

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