Ankommen und bleiben
Menschenwürdige Architektur für Flüchtlinge und Einheimische
Für viele Kommunen sind schnelle Provisorien der Ausweg bei der problematischen Unterbringung von Flüchtlingen. Doch Experten zeigen andere Wege auf. Sie wollen den Städtebau effektiver machen und zugleich Geld sparen.
Von Jutta Geray Dienstag, 19.04.2016, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.07.2017, 15:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Viele Kommunen verharren im Krisenmodus. Sie bauen zur Unterbringung von Flüchtlingen immer neue provisorische Erst- und Notunterkünfte, nicht selten mit fragwürdigen Standards. In Berlin will der Senat auf 60 Grundstücken neue sogenannte „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“ hochziehen. Die Berliner Architektenkammer sieht darin nicht weniger als eine Bausünde.
Der Amtsentwurf für die geplanten Bauten zeigt einen massiven Kasten aus vorgefertigten Betonteilen. Die Fassaden wirken eintönig, die Fenster sind klein. Der Berliner Architekt Philipp Kuebart kritisiert, dass überhaupt neue Gemeinschaftsunterkünfte gebaut werden – in diesem Fall auch noch Immobilien, die für einen späteren Umbau in Sozialwohnungen ungeeignet seien.
Die Bruttobaukosten liegen den offiziellen Angaben zufolge bei 2.000 Euro pro Quadratmeter. „Damit könnte man ganz normalen Wohnungsbau für alle realisieren“, urteilt Kuebart. Er nennt die Pläne Geldverschwendung. Zudem würden rare freie Flächen, die es in der Stadt noch gibt, für eine Quartiersentwicklung auf Jahrzehnte verbaut. Kuebarts Alternative: Wohnungen für Flüchtlinge in Holzmodulweise. In kleineren Einheiten, die flexibel an unterschiedlichen Quartiere und wechselnde Bedürfnisse späterer Nutzer angepasst werden können.
Dafür gibt es bereits umsetzungsreife Entwürfe, etwa von der Architekturfakultät der Universität Hannover. Veröffentlicht wurden sie im Buch „Welcome – Konzepte für eine Menschenwürdige Architektur“. Darin finden sich auch modulare Holzhäuser für Erstunterkünfte, die zum Beispiel in Messehallen aufgestellt werden können – mit privatem Rückzugsraum und einem Minimum an Wohnlichkeit.
Der Entwurf „Fill the Gap“ ist auf Dauer angelegt und trotzdem flexibel. In eine einfache Tragstruktur aus Stahl werden wie in ein Regal vorgefertigte Wohnmodule aus Holz, Bodenplatten, Treppen und Begrünungsmodule eingesetzt und können ausgewechselt oder neu kombiniert werden. Die Stahlstruktur kann auch mit einer kompletten Hülle zum Beispiel als Bürogebäude umgenutzt werden. Vorgesehen ist der Entwurf für innerstädtische Baulücken.
Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt sammelt parallel zur Ausstellung „Making Heimat“ im deutschen Pavillon bei der Architektur Biennale in Venedig vom 27. Mai an Beispiele von Flüchtlingsunterkünften in Deutschland. Darunter sind auch Gemeinschaftsunterkünfte, die problemlos auch von anderen Mietern genutzt werden können.
In Königstein im Taunus werden zum Beispiel kleine Bungalows um Innenhöfe gebaut. Die Zwei- und Drei-Zimmerwohnungen haben eine eigene Wohnküche mit Balkon. Andere Mieter können ohne Umbau dort einziehen, wenn sie nicht mehr für die Flüchtlingsunterbringung gebraucht werden.
In der Ausstellung „Making Heimat“ selbst geht es auch um „Ankunftsstädte“, wie Museumsdirektor Peter Cachola Schmal erzählt. Demnach ziehen Neuankömmlinge bevorzugt in urbane Räume, in denen es Arbeitsplätze gibt, aber auch ethnische Netzwerke, die ihnen beim Ankommen und sozialen Aufstieg helfen. Unter den deutschen Beispielen der Ausstellung ist die Innenstadt von Offenbach, die mit ihrer Nähe zu Frankfurt Zugang zu einem attraktiven Arbeitsmarkt bietet, aber nur halb so hohe Mieten hat – noch. Stadtteile mit hohem Migrationsanteil können unter diesem Blickwinkel als Ankunftsstädte gesehen werden, die, wenn sie funktionieren, die Integration fördern.
Vor dem Neubau von „Ghettos“, die die Eingliederung verhindern, warnen aktuell Kritiker in Hamburg. Dort plant der Senat mehrere Großsiedlungen mit bis zu 800 Wohneinheiten und 4.500 Flüchtlingen je Standort. Zwar werden immerhin Wohnungen für Flüchtlinge gebaut, die von vornherein den Standards im sozialen Wohnungsbau entsprechen. Aber erst nach 15 Jahren sollen auch andere Mieter einziehen können.
Stadtsoziologin Birgit zur Nieden fordert, auch hier in gute Infrastruktur und Schulen zu investieren. Sie ist generell gegen eine konzentrierte Ansiedlung von Flüchtlingen auf engem Raum. Die Menschen sollten sich, wie alle anderen auch, ihre Wohnungen selbst suchen können. Wohnungsnot lässt sie als Argument dagegen nicht gelten. Wenn in Großstädten Wohnungen fehlten, dann solle schnell Wohnraum für alle geschaffen werden. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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