Anzeige

Migrationsexperte

Integration betrifft Flüchtlinge und Einheimische gleichermaßen

Das Thema Integration darf nach Überzeugung des Migrationsexperten Pott nicht nur auf Flüchtende verengt werden. Integration sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit weitreichenden Folgen. Darauf müssten sich alle einstellen.

Von Martina Schwager Dienstag, 08.03.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.03.2016, 16:31 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Der Osnabrücker Migrationsexperte Andreas Pott hat davor gewarnt, beim Thema Integration den Blick zu verengen und sich nur auf die Flüchtlinge zu konzentrieren. „Die Integrationsprozesse schließen alle Menschen der deutschen Gesellschaft mit ein“, sagte Pott dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir sollten nicht immer nur auf die jeweils Neuankommenden starren. Denn eine Migrationsgesellschaft verändert sich für alle, die in ihr leben.“

Auch die Einheimischen und die schon länger in Deutschland lebenden Migranten müssten sich unter den neuen Bedingungen am Arbeitsmarkt, in der Schule oder in der Familie neu orientieren. Die Gesellschaft werde in sprachlicher, kultureller und sozialer Hinsicht vielfältiger und komplexer, erläuterte der Direktor des Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien. Proteste von Pegida und anderen resultierten deshalb auch daher, dass manch einer diese Gesellschaft nicht mehr verstehe. „Viele fühlen sich nicht mehr integriert und nicht mehr mitgenommen in diese neue Migrationsgesellschaft.“

___STEADY_PAYWALL___

In vielen Regionen ändere sich nach den Worten Potts die Zusammensetzung der Bevölkerung deutlich. „In einigen Stadtvierteln besteht schon heute die Mehrheit aus Minderheiten.“ Der Anteil der Bevölkerung ohne familiäre Einwanderungsgeschichte liege dort unter 50 Prozent. Neben den Einheimischen entstehe aber keine neue Mehrheit, sondern es entstünden viele ethnische Minderheiten, erklärte der Professor für Sozialgeographie. In vielen Geburtskliniken, Kindergärten oder Grundschulen sei das jetzt schon deutlich sichtbar.

Anzeige

In naher Zukunft werde das in Deutschland für ganze Städte gelten, sowohl für Großstädte wie Stuttgart und Frankfurt als auch für kleinere Städte wie Sindelfingen. In Europa seien die niederländischen Städte Rotterdam und Amsterdam oder Genf in der Schweiz die ersten sogenannten „mehrheitlich Minderheitenstädte“. Auch diese Zusammenhänge müssten berücksichtigt werden beim Thema Integration, forderte Pott.

Der Migrationsexperte wies zudem darauf hin, dass Integrationsprozesse über mehrere Generationen verliefen und viel Geld kosteten. „Das ist kein einmaliger Kraftakt, sondern eine Daueraufgabe, die mit jeder Zuwanderung wieder aufs Neue beginnt.“ Frühe Investitionen zahlten sich jedoch später mehrfach aus.

Pott monierte, dass das Bildungssystem nicht gut auf die Integration von Flüchtlingen eingestellt sei. Es erlaube zu wenige Quereinstiege. Die Übergänge von der Schule in den Beruf müssten besser begleitet werden. Schulen und andere Bildungseinrichtungen bräuchten mehr entsprechend qualifiziertes Personal, das die Ressourcen der Zuwanderer erkennen und fördern könnte. „Deutschland ermöglicht zu wenig Aufsteigergeschichten. Wir sehen die Bringschuld zu sehr auf Seiten der Migranten. Damit verschenken wir ganz viel Potenzial.“ (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. C.Bokou sagt:

    Ich wünsche mir Arabisch als Wahlfach in Oberschulen.
    Nicht nur Asylbewerber sollen aufgefordert sein, Deutsch zu lernen. Wir wollen, ja müssen aufeinander zugehen, d. h. nicht nur Unterweisung in Sachen Religion(en) und Kultur, sondern auch direkt die Sprache als gemeinsames Medium. In Syrien leben Muslime und Christen seit Jahrhunderten friedlich zusammen, warum wohl?

  2. Samira Selle sagt:

    Ich möchte zu diesem Thema einen Leserbrief in der Zeit zitieren: Mit Blick auf den Altbundespräsidenten Wulff wurde dort kritisiert, dass „zwar in Deutschland Religionsfreiheit für alle gilt, aber der Islam nicht zu Deutschland gehört. Das ist historisch falsch. Die Muslime stehen in der Bringschuld sich bei uns zu integrieren.“ Dieses Argument hört man so oder ähnlich recht häufig. Ich als deutsche Muslimin (hier geboren, teilweise „bio-deutsch“) weiß oft nicht, was von mir erwartet wird. Natürlich gilt in Deutschland deutsches Recht. Ich werde (und würde das auch anderswo nicht tun wollen) nicht herumgehen und Hände und Köpfe abschlagen. Ob ich aber ein Kopftuch tragen will, lieber auf Schinken und Bier verzichte und vielleicht fremde Männer nicht mit Handschlag begrüßen möchte oder im Schwimmbad keinen Bikini trage, ist das nicht meine persönliche Freiheit? Ich schränke damit niemandes Freiheit und Rechte ein. Es gibt in Deutschland kein Anrecht auf den Schweinefleischverzehr oder Alkoholkonsum der Mitmenschen, keins auf den Anblick bestimmter Outfits. Auch neben dem Islam gibt es in Deutschland Lebensformen, die vielleicht vom Mainstream abweichen oder den Ansprüchen an Geschlechtergleichstellung nicht genügen. Die katholische Kirche erkennt zivilrechtliche Ehescheidungen nicht an und kennt keine Priesterordination für Frauen. Zeugen Jehovas werden nicht zur Bluttransfusion gezwungen. Orthodoxe Juden dürfen Kippa tragen bzw. Perücke. Veganer dürfen in der Kantine Salat bestellen und Menschen mit echter oder eingebildeter Zölialkie nach glutenfreiem Brot fragen. Rastas, bauchfreie Tops, Wave-Gothic Aufzug werden geduldet. Im Rahmen des Gesetzes dürfen Männer und Frauen fremdgehen, sich Mätressen halten und werden Frauenschläger strafrechtlich verfolgt. Was genau macht den islam zur Ausnahme, zum permanenten Anderen, zu dem, der nie dazugehören kann und wird?

  3. Pingback: Flüchtlingsforschung gegen Mythen 3 - Netzwerk Flüchtlingsforschung

  4. Anna sagt:

    „Orthodoxe Juden dürfen Kippa tragen bzw. Perücke.“

    Die Männer tragen Perücke? Nein, die orthodoxen jüdischen Frauen bedecken ihre Haare mit Kopftüchern.