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650 Wörter

Stellen Sie sich vor: Sie sind verheiratet, aber ihr Partner ist nicht bei Ihnen

650 Worte passiver und 300 Worte aktiver deutscher Wortschatz. So viel Sprachkenntnis verlangen deutsche Behörden, wenn Menschen aus der Türkei zu ihren Familienangehörigen im Land der Dichter und Denker möchten. Martina Priessners Dokumentarfilm fragt bei acht Betroffenen aus der Türkei nach.

Von Dienstag, 16.02.2016, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.02.2016, 17:01 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Fragen der Regisseurin an die vier Männer und vier Frauen sind vielfältig: Wie haben sie ihren Partner aus Deutschland kennengelernt? Was ist Deutsch für eine Sprache? Wie lernt man eine Sprache am einfachsten? Schnell erfahren wir: Elf Wochen dauert der obligatorische Sprachkurs und findet im Goethe-Institut in Istanbul statt. Für einige heißt das mehr als acht Stunden Hin– und Rückfahrt täglich. Kommen die Sprachschüler aus anderen Städten, müssen sie vielleicht mehr als drei Monate bei Verwandten in Istanbul leben. Schlechte Lernbedingungen und finanzielle Strapazen sind vorprogrammiert. Und am Ende steht noch nicht einmal fest, ob die deutsche Ausländerbehörde ein Visum ausstellt. Es kann selbst bei bestandener Sprachprüfung danebengehen. Eine Begründung gibt es nicht. So wie bei Hayriye: am Tag des Interviews erfährt sie von ihrer Absage.

Schon Priessners erster Dokumentarfilm „Wir sitzen im Süden“ widmet sich dem Thema transnationaler Lebenserfahrungen von Menschen zwischen der Türkei und Deutschland. Da dokumentierte sie Call-Center Mitarbeiter aus Istanbul, die ehemals in Deutschland gelebt haben.

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Für ihren neuen Film hat sich Priessner nicht nur einem neuen Thema gewidmet, sondern auch ein neues Verfahren genutzt: Oral History nennt man die Methode, Zeitzeugen über ihre Erfahrungen frei sprechen zu lassen. Was sie erzählen, soll dem Verlust historisch wichtiger Erfahrungen entgegenwirken. Was im Kontext zunehmend verschwindender Zeitzeugen der NS-Zeit selbstverständlich scheint, stellt sich mit Filmen wie „650 Wörter“ auch für das Thema der türkisch-deutschen Migration ein: einen Platz im kulturellen Gedächtnis zu erhalten. Was den Film von einer Praxis der Oral History allerdings unterscheidet, ist der gesellschaftskritische Unterton des Dokumentarfilms, den man permanent spürt. Priessner lässt zwar auch positive Meinungen zur deutschen Visapraxis zu Worte kommen, aber vor allem eben auch kritische.

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„Stellen Sie sich vor: Sie sind verheiratet, blicken sich um, aber ihr Partner ist nicht bei Ihnen.“

An einer Stelle merkt zum Beispiel der 38-jährige Ibrahim an, dass die Dauer der Trennung die Beziehung zu seiner Frau belastet. Gegenseitige Beschuldigungen nehmen zu. Die strengen Visaauflagen für Menschen aus der Türkei erlauben es ihm nicht mal für zwei Tage zu ihr nach Deutschland zu reisen. Die Hochzeit ist anderthalb Jahre her.

Der 25-jährige Halil erzählt, dass es ihn traurig macht, wenn er auf den türkischen Straßen die glücklichen Pärchen sieht und sich seiner eigentlich unnötigen Einsamkeit bewusst wird. Denn die Lebensgefährtin gefunden hat er ja schon. Nur 650 Wörter trennen ihn von ihr und die Willkür der Ausländerbehörde. So nehmen es die Befragten zumindest wahr.

Für die Interviews bedient sich Priessner einem einfachen, aber wirkungsvollen ästhetischen Prinzip: sie werden vor schwarzem Hintergrund geführt. Dadurch hebt sich die Präsenz der Menschen und ihre Geschichte in den Vordergrund. Es lenkt nichts ab. Wegen diesem Fokus auf die Menschen und ihre subjektive Sicht wechseln sich Großaufnahmen von Gesicht und Körper der Interviewten ab. Priessner ist ganz nah bei ihren Befragten und der Zuschauer auch.

Ganz im Gegenteil ein anderer Film, der vergangenes Jahr in den Kinos lief. Züli Aladağs „300 Worte Deutsch“ handelt vom gleichen Thema, ist aber eine seichte Ethno-Comedy. Eine Truppe türkischer Frauen muss darin den Sprachtest nachholen, sonst droht ihnen die Abschiebung. Darin wirken die Figuren manchmal wie Abziehbilder oder ihre Verkehrungen: der böse und der gute deutsche Beamte, zwangsverheiratete Musliminnen und die aufmüpfige Tochter eines traditionellen Vaters. Während Dokus wie Priessners Film immer wieder auch gesellschaftskritische Themen einfach und effizient aufgreifen, bleibt es dem deutsch-türkischen Kinofilm bis auf wenige Ausnahmen immer noch versagt, politische Agenda jenseits der immer wieder währenden Migrantenklischees komplex anzusprechen.

Deutschlandpremiere: des Films ist am 19. Februar am Maxim Gorki Theater in Berlin. Weitere Termine finden Sie hier.

Auch in Priessners Film stößt etwas an. Zwischen den Interviewfragen und den Antworten der Visapflichtigen zeigt Priessner Aufnahmen deutscher Kultur: Szenen vom deutschen Schützenfest, vom deutschen Schwimmbad, einer Schlagerparty, einem Blick auf Wohnhäuser mit Schrebergärten davor. Gerade weil man den kritischen Ton des Films durchweg spürt, hätte es das nicht gebraucht. Der Film funktioniert auch ohne. Die Schicksale der Befragten nehmen den Zuschauer mit. Im Abspann erfährt man, die Zwischenfilme sind Aufnahmen einer der Befragten, die inzwischen in Deutschland angekommen ist. Die Antizipation einer deutschen Zukunft mit den Zwischenfilmchen funktioniert dennoch eher für den türkischen Zuschauer des bi-national ausgerichteten Films.

Dann wartet da noch eine Wendung am Ende. Nur so viel sei verraten: ausgerechnet das Stereotyp weiblicher Unterdrückung, eine Dame mit Kopftuch, ist es, die mit Hilfe des EU-Rechts Deutschland für seine diskriminierende Visapraxis eins auswischt. Aktuell Feuilleton

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  1. karakal sagt:

    Eine Sprache lernt man am besten in dem Land, wo sie gesprochen wird, wo man genötigt ist, das Gelernte in der Sprachpraxis des Alltags anzuwenden. Die arabischen Staaten machen da keine solchen Problem, und in vielen gibt es westliche Ausländer, die dort seit Jahrzehnten leben und noch kein – oder kaum – Arabisch gelernt haben, sondern sich mit Englisch oder Französisch verständigen. Geht man in einem der Golfstaaten ins Restaurant, muss man Englisch können, da die indischen Kellner und philippinischen Bedienungen meist nicht Arabisch sprechen. Was die deutschen Behörden machen, ist m. E. bloße Schikane. Oder wie wär’s damit, dass die Türkei im Gegenzug von den deutschen Rentnern in Alanya und Antalya verlangen würde, mindestens 650 Wörter Türkisch zu können und eine Sprachprüfung abzulegen?

  2. Volker K. sagt:

    Na das nenne ich mal eine gute Idee. Warum sollten die ganzen Rentner die dauerhaft in der Türkei leben nicht tatsächlich gezwungen werden Türkisch zu lernen? Sie haben ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagert, also sollten sie sich auch auf der Landessprache verständigen können. Bei Amtsgängen beispielsweise ist es einfach unabdingbar sich in der jeweiligen Amtssprache auszutauschen und wenn das nicht möglich ist, dann sollen die Sprachverweigerer halt einen amtlich bestellten Übersetzer bezahlen. Geld haben sie ja genug und wem das zu teuer ist der hat ja eine realistische Altenative. Allerdings ist es mir egal was die Golfstaaten machen. Die kann man meines erachtens in Punkto Toleranz und Zugeständissen wegen Herkunft, Sprachkenntnissen usw. nicht Ernst nehmen. Sobald sie keinen einzigen Vorteil mehr von jemandem haben der nicht ihre Sprache spricht lassen sie denjenigen ohnhin am langen Arm verhungern.

  3. Ernst sagt:

    Ein Einwanderungsland ohne Sprachtest ist kein Einwanderungsland.

    „Eine Sprache lernt man am besten in dem Land, wo sie gesprochen wird, wo man genötigt ist, das Gelernte in der Sprachpraxis des Alltags anzuwenden.“

    Das würde ich auch sagen, wenn wir alle nicht eines besseren gelehrt worden wären. In der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass man in Deutschland (vorallem für Menschen aus der Türkei) sehr leich5 seinen kompletten Alltag auch in türkisch abwickeln kann und man tut es dann auch.
    Außerdem leben wir in Zeiten der digitalen Revolution. Das Internet ermöglicht jedem Erdbewohner jede Sprache auf jedem Flecken dieser Erde zu erlernen und das auch noch für wenig Geld. Paare werden nicht von Sprachtest entzweit, sondern weil einer von Beiden Partner sich ohne den anderen auf den Weg gemacht hat. Kfin deutsches Gesetz verbietet den beiden sich zu sehen.

  4. Peter sagt:

    Hallo Volker,
    auch ich lebe meistens in der Türkei. Als deutscher Rentner. Und nein, ich spreche kein Türkisch. Der Unterschied zu den Türken, die nach Deutschland kommen, ist doch klar: wir bleiben dort nicht und vermehren uns, wir sterben dort aus. Auch von Integration in das Land bzw. Gesellschaft kann man nicht sprechen. Und ich denke, alte Menschen, die sich nicht mehr vermehren, sondern nur noch irhen Lebensabend irgendwo in der Sonne genießen, sollten nirgendswo zum Sprachtest gezwungen werden. Wäre ich aber als junger Mensch in die Türkei gezogen, mit kleinen Kindern, im arbeitsfähigen Alter, sehrwohl hätten meine Frau und ich und meine Kinder die Landessprache erlernt.

    mit fruendlichen Grüßen
    Peter Weinberger

  5. Volker K. sagt:

    Hallo Peter, ich gönne Dir das schöne Leben in der Türkei und hoffe für Dich daß Du es noch lange genießen kannst. Ich sehe das Thema allerdings aus einem ganz anderen Blickwinkel als Du. Sicherlich wirst Du dort keine Familie mehr gründen und sicherlich keiner Arbeit nachgehen. Dennoch lebst Du in einem Land in dem Menschen seit Generationen genau das machen und Du bewegst Dich in deren Umfeld. Es ist ihre Heimat und ihr gewohntes Umfeld und sie haben es so gestaltet wie sie es für richtig empfinden. Es ist mehr oder weniger eine Gnade daß auch Du davon einen Teil abhaben darfst. Hast Du mal darüber nachgedacht wie es die Menschen dort empfinden wenn Du und andere Senioren dort unten wohnen? Vielleicht stört es sie ja, daß Du wie eine Art Fremdkörper (nicht zu persönlich nehmen) dort unter (oder neben) ihnen lebst, aber nicht den Mindeststandard der menschlichen Kommunikation mit ihnen teilst? Sicherlich werden Dir alle dort unten die von der Anwesenheit „reicher“ Senioren profitieren sagen, daß es halb so schlimm ist und es ihnen wenig ausmacht. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, daß der Teil der Gesellschaft, der eben keinen Vorteil davon hat sich daran stört. Und auch dieser Teil hat dort seine Heimat. Wie Du selber sagst ist von Integration nicht zu reden. Ich für meinen Teil empfinde es als ein wenig unsensibel einfach vorauszusetzen daß Du willkommen bist auch wenn Du das gesellschaftliche leben dort zum Teil ignorierst, Dich nicht verständigen kannst und es auch nicht versuchen möchtest. Ich bin mir sicher daß es mit wenig Aufwand möglich ist sich einen Sprachschatz anzueignen der es ermöglicht wenigstens grundsätzliche Gespräche zu führen. Es geht nicht um tiefgreifende philosophische Debatten oder ähnliches, es geht darum mit diesem „Werkzeug“ den dort beheimateten zu zeigen, daß man sie respektiert, vielleicht sogar wertschätzt und irgendwie dankbar ist dort bleiben zu dürfen. Es ist schließlich ihre Heimat, ihr Land. Wäret Ihr als Touristen dort unten, wäre es wohl eindeutig zu viel verlangt, aber Du schreibst selber daß Du meistens in der Türkei lebst. Dort ist also Dein Lebensmittelpunkt. Zum Lebensmittelpunkt gehört auch, daß man sich um ihn herum ohne Sprachberrieren bewegen kann. Ich persönlich kann es abolut nicht leiden wenn sich Menschen in meiner Umgebung nur in einer fremden Sprache unterhalten können, obwohl sie glauben hier zuhause zu sein. Wenn ich mich dann mitteilen möchte weil mir vielleicht etwas nicht paßt dann ist das nicht möglich. Das ist nur ein Beispiel.

    Gruß,
    Volker

  6. Peter sagt:

    Lieber Volker,

    ich persönlich bin auch nicht der Meinung, dass man unbedingt die Sprache des Landes sprechen muss, in dem man wohnt, und das man als seine Heimat sieht. Viele meiner amerikanischen Freunde, die schon seit vielen Jahren hier, in Deutschland leben, sprechen kein deutsch. Für mich ist das weder unsensibel noch zeugt es von mangelndem Interesse. Viele Chinesen in den USA sprechen kein Englisch, ebenso viele Mexicaner. Als Fremdkörper sehe ich mich nicht, und wenn einige meinen, ich sei einer, gut, dann ist das ihre Meinung. Hier meinen ja auch viele, dass Ausländer Fremdkörper sein. Allerdings ist für diese Leute, hüben wie drüben, auch ein Grundsprachschatz nun wirklich nicht ausreichend, um diese Meinung zu ändern, meinen Sie nicht? Ein Türke, der Guten Tag stammelt wird für diese Leute immer ein Fremdkörper bleiben. Da müsste er schon annähgernd perfekt Deutsch können. Türkisch ist überdies eine schwierige Sprache. Das wäre in Spanien einfacher, weil sie unserer Sprache näher kommt.

    liebe Grüße
    Peter Weinberger

  7. Niku sagt:

    Hallo, ich bin mit meine frau seit aprill 2014 verheiratet , sie lebt noch in Ausland grund sie hat den sprachtest nicht bestanden, seit 18 Monaten lernt in eine kurs , aber so bald sie in die raum wo der Prüfung ist sie bekommt eine panik,aeso schafft sie nicht, 5 mal war schön da,meine Rathaus wo ich hier in Deutschland lebe hat mehr mals an konsullat geschrieben sie sollen den fall als Härtefall nehmen ,Konsulat meine nein sie kann es schaffen aber will nicht,jetzt ist 19,02,2016

  8. Mepher sagt:

    Zitat: „Für mich ist das weder unsensibel noch zeugt es von mangelndem Interesse.“

    Na was denn sonst. Natürlich zeugt es von Ignoranz und Desinteresse.