Deutsch, bedürftig, muslimisch
Die muslimische Wohlfahrtspflege will sich professionalisieren
Erziehungsberatung oder Altenhilfe: Soziale Arbeit von Muslimen für Muslime ist in Deutschland fast ausschließlich ehrenamtliche Arbeit. Die Freiwilligen stoßen an Grenzen. "Die Zeit für eine muslimische Caritas ist reif", finden deshalb Experten.
Von Miriam Bunjes Montag, 14.12.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.12.2015, 14:12 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Auch die Erzieherinnen des Halima Kindergartens haben schon die Plätzchenrezepte herausgesucht: Weihnachten wird Thema sein – wie jedes Jahr im „unabhängigen Kindergarten von Muslimen“ in Karlsruhe. In den Geschichten, die den 22 Kindern dazu vorgelesen werden, ist Jesus ein Prophet von vielen. Im Kindergarten werden die islamischen Feste gefeiert und vor dem Essen wird Allah gedankt. Gibt es dabei Fleisch, ist das helal – entspricht also den islamischen Vorschriften.
„Wir sind ein normaler Kindergarten, in dessen Konzept auch religiöse Aspekte einfließen – so wie in evangelischen oder katholischen Kindergärten“, sagt Mesut Palanci, Vorsitzender des Elternvereins, der auch Träger ist. Die Kita ist auch offen für Nicht-Muslime: „Hier wird in erster Linie gespielt, gebastelt und die Entwicklung gefördert – natürlich auf deutsch.“
Aber klar ist auch: Der muslimische Träger stellt die Bedürfnisse von Muslimen in den Mittelpunkt. Noch ist das ungewöhnlich in Deutschland – trotz vier Millionen muslimischer Bürger und einer noch nicht absehbaren Anzahl von Flüchtlingen aus islamisch geprägten Ländern. Millionen von Menschen, die Schulen besuchen, Kinder bekommen, älter werden – und soziale Dienstleistungen nachfragen. „Das Wunsch- und Wahlrecht für soziale Leistungen wird für muslimische Bürger derzeit jedenfalls nicht erfüllt“, sagt Rolf Rosenbrock, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege, in der die fünf großen Wohlfahrtsverbände organisiert sind. „Wer zum Beispiel muslimische Seelsorge im Altersheim wünscht, wird selten vor Ort fündig.“
Das soll sich ändern. Es sollen professionelle muslimische Wohlfahrtsstrukturen entstehen – und zwar eigene, fordern die Vertreter der muslimischen Verbände, die auf der Islamkonferenz am kommenden Dienstag gemeinsame Leitlinien zur islamischen Wohlfahrt verabschieden wollen.
„Ehrenamt genügt nicht mehr“, sagt Wohlfahrtsexperte Samy Charchira, der gerade zum Thema seine Doktorarbeit schreibt. In den 2.600 Moscheegemeinden in Deutschland gebe es soziale Dienstleistungen von Krabbelgruppen bis zur Sterbebegleitung, sagt der Düsseldorfer Sozialpädagoge. „Fast 100 Prozent davon wird ehrenamtlich gemacht.“ Der Bedarf an muslimischer sozialer Arbeit sei aber viel zu groß dafür. „Alte Menschen wenden sich der Religion stärker zu und wünschten sich entsprechende Angebote in der Pflege“, sagt Charchira, der selbst in einer Einrichtung arbeitet, die vom Islamismus gefährdete Jugendliche und ihre Angehörigen berät. „An sie kommen nicht-muslimische Sozialarbeiter kaum heran.“ Und eben auch nicht Ehrenamtliche, die mal mehr oder mal weniger Zeit haben.
Um professionell zu arbeiten, müssten die vielen sozialen Angebote der Gemeinden und Organisationen vor Ort Teil der öffentlichen Wohlfahrt werden. Und sie müssten als Träger der kommunalen Jugendhilfe Sozialarbeiter oder Erzieher anstellen können. Darüber soll eines Tages ein Dachverband stehen, ein sechster deutscher – muslimischer – Wohlfahrtsverband. Auf der Islamkonferenz im Januar fand dieses Ziel etliche Fürsprecher.
Die Türkisch-Islamische Union Ditib in Niedersachsen hat 2014 bereits einen Dachverband gegründet. Der Verein Kompass soll im Auftrag von Ditib Gemeinden dabei unterstützen, eigene Trägerstrukturen aufzubauen, erklärt Geschäftsführerin Emine Oğuz. „Wir sind aber noch ganz am Anfang.“ Drei Kindergärten seien in Planung – welches Herkunftsland die künftigen Benutzer haben, wird keine Rolle spielen. „Es wird sowieso deutsch gesprochen und die Kitas sind auch für Nicht-Muslime offen.“
Mesut Palancı hat den seit 1999 bestehenden Halima Kindergarten in Karlsruhe bewusst an keine Gemeinde angedockt. „Wir wurden anfangs sehr misstrauisch beäugt“, sagt Palancı. „Man fürchtete, dass wir Extremisten sind, die Kinder schlagen oder zum Kopftuchtragen zwingen.“ Mittlerweile werde er häufig auch von christlichen Einrichtungen nach seinem pädagogischen Konzept zur Arbeit mit Muslimen befragt. „Die etablierte Wohlfahrt öffnet sich, aber die Zeit für eine eigene Struktur ist überreif.“ (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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