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Flüchtlinge in Italien (Symbolfoto) © Vito Manzari @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Fünf Euro für eine Cola

Das Geschäft mit den Flüchtlingen

Mindestens 5.000 Euro hat Momiac Allouji für Schlepper bezahlt, um bis nach Serbien zu kommen. Die Schleuser sind aber längst nicht die einzigen, die versuchen aus der Lage der Flüchtlinge Profit zu schlagen. Von Corinna Buschow

Von Corinna Buschow Mittwoch, 07.10.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 12.10.2015, 17:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Fünf Euro für eine Cola – Momiac Allouji winkt verständnislos ab. Der Händler im Flüchtlingsdurchgangslager im serbischen Presevo zieht weiter. Seit gut einer Woche ist der 51-jährige Allouji auf der Flucht aus seiner Heimatstadt Damaskus. In spätestens fünf Tagen will er mit seinem 17-jährigen Sohn und seiner 14-jährigen Tochter in Düsseldorf sein. Mindestens 5.000 Euro, erzählt er, hat er für Schlepper bezahlt, um bis hierher zu kommen. Die Schleuser sind aber längst nicht mehr die einzigen, die versuchen aus der Lage der Flüchtlinge Profit zu schlagen.

Seit Wochen kommen täglich mehrere Tausend Flüchtlinge über die Westbalkanroute ins zentrale Europa. Sie durchqueren Länder mit schwacher Wirtschaft, die in den Asylsuchenden auch eine Einnahmequelle sehen. Reeder, die Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufs Festland bringen, passen ihre Preise der Nachfrage an. Zwischen 40 und 75 Euro koste eine Überfahrt, je nach Andrang, berichten Flüchtlinge in den Durchgangslagern. In Mazedonien ist der Bahnpreis explodiert. Vier Euro kostete vor einigen Monaten die Durchfahrt von der griechischen zur mazedonischen Grenze. Dann waren es zehn, jetzt sind es 25 Euro, berichten Flüchtlingsaktivisten vor Ort.

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Hochkonjunktur haben vielerorts Busunternehmen, die Flüchtlinge bis zur jeweils nächsten Grenze bringen. Presevo mit dem Durchgangslager wirkt auf den ersten Blick wie ein großer Busbahnhof. Registrierte Asylsuchende können hier die öffentlichen Verkehrsmittel für eine begrenzte Zeit frei benutzen, erklärt ein Soldat in dem vom Militär betreuten Lager. Die davor wartenden Busfahrer, „Manger“ nennen sie sich selbst, versuchen dennoch, den Flüchtlingen die Zugfahrt auszureden, versprechen Fahrten zur kroatischen Grenze für 15 bis 25 Euro. Viele Flüchtlinge, erschöpft von wochenlanger Flucht, ohne dabei oft ein Bett gesehen zu haben, nehmen das Angebot nicht selten an.

Auch in Griechenland versuchen von der Finanzkrise geplagte Händler, den schnellen Euro zu machen, etwa indem sie an der Route kleine Snacks zum doppelten Preis anbieten. Die ehemalige Pfarrerin der Evangelischen Kirche deutscher Sprache in Thessaloniki, Dorothee Vakalis, ärgert sich darüber, spricht aber dennoch von Einzelfällen.

Neben der großen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei dies eine Randerscheinung, sagt sie. „Ich wundere mich immer wieder, wie viele Hilfsgüter von der Bevölkerung gebracht werden, obwohl die Griechen selbst derzeit nur 420 Euro pro Woche für ihren Bedarf von der Bank abheben dürfen“, sagt sie. Dennoch sagt auch Vakalis mit Sarkasmus in der Stimme: „Wer kein Geld hat, kann nicht durch Europa fliehen.“

Die Theologin, die vor Ort einen Hilfskreis mit ins Leben gerufen hat, fordert vor allem eine Legalisierung des Flüchtlingstransports. „Wenn es nur inoffiziell geht, nehmen die Leute einen Risikozuschlag, zocken auch ab“, sagt sie. Die Entscheidung, griechischen Linienbusfahrern den Transport von Flüchtlingen zu erlauben, sei daher richtig gewesen, sagt sie.

In puncto Flüchtlingsausbeutung sieht Vakalis aber auch Handlungsbedarf in einigen Branchen, die Asylsuchende als billige Arbeitskräfte sehen. Dieses Problem kennt auch der italienische Gewerkschafter Giuseppe Casucci. Für 200 bis 300 Euro im Monat ließen einige Branchen in Italien, vor allem Landwirtschafts- und Baufirmen, Flüchtlinge schuften, erzählt er. Einige Arbeitgeber nähmen Flüchtlinge die Pässe weg, wiesen ihnen Plätze zum Schlafen zu – und kassierten dort zehn Euro für eine Flasche Wasser.

Der Migrationsexperte der Gewerkschaft UIL mit Sitz in Rom schätzt, dass mehrere Zehntausend Flüchtlinge in Italien von Ausbeutung betroffen sind. Einen Mindestlohn gibt es nicht. Den Deutschen empfiehlt er gerade vor diesem Hintergrund, von ihrer Lohnuntergrenze auch für Flüchtlinge nicht abzuweichen.

Entsprechende Forderungen gab es bereits: Mehrere Unionspolitiker hatten sich für Sonderregelungen ausgesprochen. Klarer Widerspruch kommt von der SPD. Der Mindestlohn gelte für alle, egal ob hierher geflüchtet oder hier geboren, sagte die Vorsitzende des Arbeitsausschusses des Bundestages, Kerstin Griese (SPD). Er sei in der jetzigen Situation geradezu ein Glücksfall: „Denn der Mindestlohn sorgt dafür, dass niemand Angst vor Dumpinglohnkonkurrenz haben muss.“ (epd/mig) Leitartikel Politik

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