Anonymisierte Krankenscheine
Modellprojekt zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen
Schätzungsweise leben 500.000 Menschen ohne Aufenthaltspapiere in Deutschland. Diese Menschen sind vom Gesundheitswesen weitestgehend ausgeschlossen. Ein neues Modell macht nun Hoffnung auf Besserung. Die "anonymen Krankenscheine" werden bereits erprobt.
Von Reimar Paul Montag, 28.09.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.10.2015, 21:35 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Tshiana Nguya und ihre Kinder hielten sich aus Angst vor einer Abschiebung monatelang in Niedersachsen versteckt. Als die Kongolesin erneut schwanger wurde, ging sie doch zur Ausländerbehörde und beantragte einen Krankenschein. Stattdessen erhielt sie einen Haftbefehl und wurde abgeschoben. Bei der Geburt starben die Mutter und das Baby – nach Meinung von Unterstützern infolge von Vergewaltigungen und Misshandlungen, denen die Frau im Gefängnis in Kinshasa ausgesetzt war. Der Fall ist einige Jahre her, das Problem ist aber geblieben.
Flüchtlingsberater schätzen die Zahl der Menschen ohne Aufenthaltspapiere bundesweit auf rund 500.000, genaue Zahlen gibt es naturgemäß nicht. Betroffene können jetzt auf Besserung hoffen, denn in Hannover und Göttingen starten im Oktober dreijährige Modellversuche mit anonymen Krankenscheinen. In beiden Städten werden dazu Anlauf- und Vergabestellen eingerichtet.
Denn auch Flüchtlinge ohne sicheren Aufenthaltsstatus haben Zahnschmerzen oder Hautausschlag, sie bekommen Kinder oder Fieber, leiden an Infektionen oder an den Folgen erlittener Folter. Doch die sogenannten Papierlosen können meistens nicht einfach zum Arzt gehen, da sie keine Krankenversicherung haben und auch nicht das nötige Geld, um für die medizinische Behandlung selbst aufzukommen. Dazu kommt die Angst, dass ihre Daten vom Arzt an die Ausländerbehörde weitergeleitet werden. Zugleich gehen Ärzte, die ohne sichere Kostenübernahme durch das Sozialamt eine Behandlung vornehmen, ein finanzielles Risiko ein.
„Die anonymen Scheine enthalten, wenn die Patienten das wünschen, statt des Namens einen Code“, erläutert Rainer Neef von der „Medizinischen Flüchtlingshilfe Göttingen“ das Prinzip. Der Verein und das „Medinetz Hannover“ sind bei der bundesweit einzigartigen Initiative Partner des Landes Niedersachsen. Die persönlichen Daten der Kranken bleiben in den Vergabestellen unter Verschluss.
„Ein Krankenschein gilt für einen Krankheitsfall, jeder Flüchtling kann damit zum Arzt oder zur Ärztin seiner Wahl gehen“, sagt die Göttinger Kinderärztin Sophia Klehs, die sich ebenfalls bei der „Medizinischen Flüchtlingshilfe“ engagiert. Die behandelnden Ärzte rechnen ihre Leistungen mit der Flüchtlingshilfe ab. Nach einer Prüfung der Rechnung durch die kassenärztliche Vereinigung werden die Behandlungen aus einem Fonds bezahlt, den das Land Niedersachsen mit insgesamt 1,5 Millionen Euro speist. Im Herbst 2018 wird das Projekt ausgewertet. „Dann müssen wir sehen, wie es weitergeht“, sagt Klehs.
Das Modellprojekt „Anonymisierter Krankenschein“ war Ende 2014 von SPD und Grünen im niedersächsischen Landtag angeschoben worden. In ihrem Entschließungsantrag hatten die beiden Fraktionen die Landesregierung überdies aufgefordert, für registrierte Flüchtlinge im Asylverfahren oder mit einer Duldung die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte nach dem sogenannten „Bremer Modell“ zu prüfen.
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben diese Personen bislang nämlich nur Anspruch auf reduzierte medizinische Leistungen. In Bremen bekommen sie seit 2005 aber eine reguläre Krankenkassen-Chipkarte der AOK. 2012 übernahm auch Hamburg dieses Modell. Dieser zweite Teil des Antrags von SPD und Grünen sei in Niedersachsen zunächst aber nicht umgesetzt worden, bedauert Neef. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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