Modellversuch

Asylbewerber sollen in die Altenpflege

Auf der einen Seite fehlen Pflegekräfte, auf der anderen Seite gibt es immer mehr Asylbewerber, die nicht arbeiten dürfen. Diese beiden Aspekte würden Politiker gerne verknüpfen. Unproblematisch ist das aber nicht. Von Katharina Weyandt

Von Katharina Weyandt Freitag, 31.07.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 02.08.2015, 17:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Deutschland-Karte sieht nicht gut aus: Sie ist fast ganz in rot eingefärbt. Rot – das steht für jene Regionen, in denen Altenpflegekräfte fehlen. Ein Alarmsignal für eine alternde Gesellschaft, in der Angehörige immer seltener die Pflege übernehmen können. Von allen Berufen fehlen am meisten Altenpflegekräfte, wie die Arbeitsmarkt-Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit im Juni ergab. Zuwachs hat Deutschland dagegen bei Flüchtlingen. Allein aus Syrien und dem Irak stellten im Monat Juni fast 10.000 Menschen einen Asylantrag.

„Ja, da ist Potenzial“, sagte der baden-württembergische CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Walter Rüeck jüngst. Schließlich werde in den Herkunftsländern auch gepflegt, professionell und in der Familie. Prompt erntete er Kritik. Werner Schell vom „Pro Pflege“-Selbsthilfenetzwerk bezeichnete die Vorschläge als „völlig ungeeignet“ und betonte: „Der Pflegenotstand hat im Wesentlichen seine Ursache darin, dass die Rahmenbedingungen dringend verbessert werden müssen.“ Dazu zählten ein bundeseinheitliches Personalbemessungssystem und eine bessere Vergütung.

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Rüeck sagte dem Evangelischen Pressedienst, er habe da keinen konkreten Vorschlag gemacht – und schon gar nicht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Landtags-Enquetekommission Pflege. Dort sei das Thema bisher nicht behandelt worden. Es gehe nicht darum Billigkräfte einzusetzen, nach dem Motto „Pflegen kann jeder“. Aus seiner eigenen Erfahrung in der Pflege seiner Mutter wisse er, dass professionelle Kräfte gebraucht würden. Potenzial sehe er bei Flüchtlingen – wie bei jedem anderen auch.

Beruf bisher fast relevant
Bisher werden berufliche Erfahrungen im Asylverfahren nur erfragt, um die Fluchtgeschichte zu überprüfen, wie eine Sprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erläutert. Einen vielversprechenden Weg zeigen aber bereits Beispiele mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, meist jungen Männern. 10.000 von ihnen kamen 2014 nach Deutschland. Sie werden nicht in Asylbewerberheimen untergebracht, sondern im Rahmen der Jugendhilfe betreut.

Anja Zimmermann, Leiterin Europa und Migration vom Johanneswerk in Bielefeld, hat so neue Nachwuchskräfte für die Pflege gewonnen. Das Projekt „Soziale Jungs Bielefeld“ des Johanneswerks und der Universität Bielefeld vermittelte und betreute begleitend zur Schule Langzeitpraktika, etwa in einer Altentagesstätte.

Auch Ulrike Döring, verantwortlich für die Ausbildung in der EVIM Gemeinnützige Altenhilfe GmbH, einem großen Träger mit Sitz in Wiesbaden, bemüht sich erfolgreich um Migranten. Über zweiwöchige Schulpraktika, welche die AWO Südhessen für die von ihr betreuten jungen Flüchtlinge organisiert, lernen sie die Altenpflege kennen. Ein Freiwilliges Soziales Jahr oder die einjährige Altenpflegehilfeausbildung sind der nächste Schritt.

Flüchtlinge landen oft im falschen Job
„Einer brauchte anfangs Nachhilfe in der Sprache, aber jetzt macht er sich sehr gut in der dreijährigen Ausbildung“, erzählt Döring, die außerdem Vorsitzende des Evangelischen Fach- und Berufsverbands für Pflege und Gesundheit ist. Praktika sollten leichter möglich sein und Pflegeeinrichtungen müssten dabei mit festen Ansprechpartnern unterstützt werden, sagt sie. Die Meldung aus der Politik, Flüchtlinge für die Pflege anzuwerben, habe sie auch erst einmal empört: „Das kam schräg rüber. ‚Für die Altenpflege reicht’s bei allen?‘ Flüchtlinge dürfen nicht als Notnagel dienen. Wir können sie als Hilfskraft einsetzen, aber müssen sie dann auch fördern.“

Ein erstes Forschungsprojekt im Auftrag von Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Arbeitsagentur unter dem Titel „Early Intervention“ beschäftigt sich damit, auf welche Weise sich die Fähigkeiten der Flüchtlinge ermitteln lassen, um sie schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen. Im April wurden aus sechs Regionen und einer Erhebung mit 600 Teilnehmern erste Erkenntnisse veröffentlicht. Es zeigte sich, dass Flüchtlinge oft in einem fachfremden Job landen, weil der Weg über Sprachkurse und die Anerkennung ihrer Zeugnisse lang ist. Das Potenzial für eine Pflegeausbildung war bisher kein Thema. „Early Interventions“ wurde bis Ende 2015 verlängert und auf neun Regionen ausgeweitet.

Pilotprojekt zur Arbeitsvermittlung
Derweil wollen die Arbeitsagentur und das Bundesamt für Migration mit einem bundesweit einmaligen Pilotprojekt Flüchtlinge schneller in Arbeit bringen. Ab August sollen Mitarbeiter der Arbeitsagentur bereits direkt bei der Asylantragstellung Schul- und Berufsabschlüsse der Flüchtlinge klären und sie bei ausreichenden Sprachkenntnissen und Qualifikationen in ein neues Spezialteam weitervermitteln.

Beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten derzeit Asylsuchende mit Qualifikationen in Mangelberufen wie Ingenieure und Pflegekräfte. Ein hoher Bedarf an Arbeitskräften bestehe in Berlin jedoch auch in der Elektrobranche, in der Logistik und bei Busfahrern. Dort gebe es aktuell besondere Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. (epd/mig) Aktuell Wirtschaft

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