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Zwei muslimische Frauen mit und ohne Kopftuch (Symbolfoto) © anuarsalleh auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Umdenken notwendig

Warum die Kopftuchdebatte auf einer Fehlannahme beruht

Das Kopftuch ist ein Symbol für die Unterdrückung der Frau. Darauf berufen sich viele Befürworter eines Kopftuchverbots an deutschen Schulen. Was aber, wenn dies keine Wahrheit, sondern eine pauschalisierte Behauptung ist? Zwölf Jahre lang durften kopftuchtragende Frauen an deutschen Schulen nicht unterrichten – putzen aber schon. Nun wurde das Verbot vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Die negativen Assoziationen mit der Haarbedeckung in der deutschen Gesellschaft werden damit jedoch noch nicht beseitigt. Deshalb ist jetzt ein Umdenken notwendig.

Von Dienstag, 07.04.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.04.2015, 22:20 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Nonnen, orthodoxe Jüdinnen, deutsche Frauen in der Nachkriegszeit – sie alle kennt man mit Haarbedeckungen. Eine große Debatte in Deutschland löst jedoch nur das islamische Kopftuch aus. Denn mit ihm wird automatisch eine Unterdrückung der Frau assoziiert. Kleidung ist aber kein pauschales Zeichen für den Emanzipationsgrad einer Person und das Kopftuch ist kein Hindernis für ein emanzipiertes Leben.

Wenn Musliminnen tatsächlich unterdrückt werden, ist nicht der Islam oder das Kopftuch die Ursache dafür, sondern gesellschaftliche Strukturen und Menschen, die sie unterwerfen. Anzunehmen, dass eine Religion oder ein Kleidungsstil per se die Quelle solcher Ungerechtigkeiten seien, ist schlichtweg oberflächlich und falsch. Ein Kopftuch hindert weder am eigenständigen Denken und Handeln, noch am Studieren, Arbeiten oder Verfolgen der eigenen Ziele.

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Prominente Kopftuchträgerinnen machen es vor: Die Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai begann mit elf Jahren ein Blog-Tagebuch für die BBC über Gewalttaten der pakistanischen Taliban im Swat-Tal zu schreiben. Die Journalistinnen Khola Maryam Hübsch und Kübra Gümüşay schreiben und reden mit klugen Argumenten allen Kritikern und Stereotypen zum Trotz. Die britische Fashion-Bloggerin Dina Tokio hat gerade ihre erste eigene Kollektion entworfen. Poetry-Slammerin Leila Younes el-Amaire ist genauso wortgewandt wir ihre männlichen Kollegen. Junge Mädchen in Afghanistan erobern auf Skateboards die Pisten des Landes. Dies sind nur wenige prominente Beispiele. Unzählige Kopftuchträgerinnen führen weltweit ein selbstbestimmtes Leben.

Ein Vorurteil „Made in Germany“

Bereits in den 1980er Jahren haben massenmediale Geschichten wie „Nicht ohne meine Tochter“ den Stereotyp des repressiven islamischen Mannes geprägt. Der aufgeklärte Westen wird dem gegenüber als eine freie Gesellschaft, in der Frauen Gleichberechtigung genießen, präsentiert. Nicht umsonst endet die Verfilmung der Entführungsstory mit einer symbolhaften Szene, in der Mutter und Tochter ihr Happy End finden, als sie die im Wind wehende amerikanische Flagge der US-Botschaft erblicken.

Es sind solche popularisierten Negativbeispiele, die als Grundlage für die Entstehung von pauschalen Vorurteilen gegenüber dem Islam dienen. Eines davon ist die Fehlannahme, das islamische Kopftuch sei gleichbedeutend mit Geschlechterungleichheit. Auch Politiker und Journalisten haben diesen Stereotyp internalisiert und reinforcieren ihn tagtäglich. Dies zeigte sich zuletzt wieder an den Reaktionen auf das Karlsruher Kopftuchurteil.

So sagte der scheidende Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln Heinz Buschkowsky (SPD) im RBB-Inforadio, das Urteil erschwere den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kündigte an, dass die CSU alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen wolle, „damit das Christentum bei uns in Bayern privilegiert bleibt und weiterhin das prägende Wertefundament für unsere Gesellschaft ist.“ Die Vizechefin der NRW-Frauenunion und nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Ina Scharrenbach (CDU) sieht das Urteil ebenfalls kritisch: „Das Kopftuch ist für mich ganz klar ein Symbol der Geschlechtertrennung.“ CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach sagte: „Das Tragen eines Kopftuches ist nicht nur Ausdruck einer privaten religiösen Überzeugung, sondern der bewussten kulturellen Abgrenzung zur christlich-jüdischen Tradition unseres Landes. Eine islamische Tradition haben wir nicht.“

In den Zitaten wird deutlich, wie Politiker das jüngste Karlsruher Kopftuchurteil mit Geschlechtertrennung, religiösem Fundamentalismus und der Gefährdung des Privilegs des Christentums in Verbindung bringen – unberechtigte Überreaktionen, die im Zweifelsfall Ängste bei Bürgern schüren. Auch kritische Stimmen in den Medien verbreiten ganz selbstverständlich negative Assoziationen mit dem Kopftuch. So schrieb Iris Radisch in der Zeit (Nr. 12/15):

„Denn bewundernswerte Vorbilder sollen Lehrer und Lehrerinnen schließlich sein. Ganze Menschen, die mit Haut und Haar nicht nur Rahmenpläne, sondern auch menschliche Haltungen vermitteln. Und dazu kann, bei allem Respekt, kaum diejenige gehören, nach der weibliches Lehrerinnenhaar unrein und vor Männerblicken zu verbergen sei.“

„Muslimisches Leben in Deutschland“ ist eine der wenigen Studien, die der Frage nachgeht, warum Musliminnen ihre Haare verschleiern. Methodisch ist sie etwas fragwürdig, weil die befragten Frauen nur zehn vorformulierte Gründe ankreuzen konnten, anstatt selber zu artikulieren, was ihre Beweggründe für das Tragen ihres Kopftuchs sind. Dennoch bietet uns das Ergebnis des Fragebogens einen groben Überblick möglicher Gründe: „Aus religiöser Pflicht“ wurde mit über 92% am meisten angekreuzt. Darauf folgen „Vermittelt mir Sicherheit“ (43,3%) und „Um in der Öffentlichkeit als Muslima erkennbar zu sein“ (36,0%) auf Platz zwei und drei. Radischs Motiv des Versteckens unreinen Haars wird in keiner Weise genannt. Basierend auf ihrer fragwürdigen Behauptung führt Radisch fort: Aktuell Meinung

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  1. Lutz grubmüller sagt:

    Jeder Mensch hat in unserem Land das Recht, sich auch traditionell zu kleiden, wenn er bzw. Sie es selbst so möchte! Wenn Frauen ein Kopftuch tragen möchten, dann sollten sie dies tun können, ohne beschimpft oder ausgegrenzt zu werden – diese Diskussion ist eher kontraproduktiv und reduziert Frauen auf ihr Äußeres – dabei zählen doch die menschlichen Werte! Allen Frauen weltweit, ganz herzliche Grüße zum baldigen Frauentag

  2. Peter Enders sagt:

    Statt sich Kleiderordnungen wie die von „Nonnen, orthodoxe Jüdinnen, deutsche Frauen in der Nachkriegszeit“ als Vorbild zu nehmen, sollten auch solche Kleiderordnungen hinterfragt werden.

  3. karakal sagt:

    Es ist kein gutes Zeichen, wenn Politiker, die derart unqualifizierte Äußerungen von sich geben, wie Wolfgang Bosbach, von so vielen Bürgern anerkannt und gewählt werden:
    „Das Tragen eines Kopftuches ist nicht nur Ausdruck einer privaten religiösen Überzeugung, sondern der bewussten kulturellen Abgrenzung zur christlich-jüdischen Tradition unseres Landes. Eine islamische Tradition haben wir nicht.“
    Die christlich-jüdische Tradition in Deutschland kennt sehr wohl das Tragen von unterschiedlichen Kopfbedeckungen bei Frauen (Kopftuch, Haube, Hut usw.), und insgesamt ist diese Tradition viel länger als die relativ kurze Zeit, in der Angehörige dieser „Leit-„Kultur überwiegend keine Kopfbedeckung mehr tragen. In Deutschland gibt es sehr wohl eine islamische Tradition, angefangen von den muslimischen Soldaten des preußischen Soldatenkönigs im 18. Jh. und spätestens seit dem Zuzug muslimischer „Gastarbeiter“ aus der Türkei in den 60er Jahren. Letzteres macht bereits ungefähr ein halbes Jahrhundert „Tradition“.

    Die Debatte konzentriert sich fast ausschließlich auf das „Kopftuch“, wobei übersehen wird, daß das Kopftuch allein noch keine islamkonforme Kleidung ausmacht, denn wichtiger als die Bedeckung des Haupthaars ist die Verhüllung der Körperformen durch eine entsprechende Kleidung, die weit genug zu sein und die Formen darunter nicht durchschimmern zu lassen hat. Wie so manche muslimische Kopftuchträgerin erfüllt diese religiöse Forderung nicht, wenn sie enganliegende Hosen und eine enge Bluse und Makeup trägt!

  4. Jacky sagt:

    @karakal – erfreuen wir uns (und insbesonder ich als Frau) das sich die Männer hier so verhalten das „der Schutz vor allzu begierigen Blicken“ nicht notwendig erscheint und wir tragen können was wir wollen.
    Und wenn eine Muslima meint sie möge einen Rock tragen dann ist das -in Ordnung- für sie. Und andere Muslime sollten das ebenso aktzeptieren.