Massive Kritik

Minderjährige Flüchtlinge sollen anders betreut werden

Minderjährige Flüchtlinge sollen in Zukunft nicht mehr dort versorgt werden, wo sie aufgegriffen werden, sondern nach einem neuen Verteilungsschlüsses. Das Familienministerium arbeteit bereits an einer Gesetzesänderung, Sozialverbände lehnen das Ansinnen ab.

Von Dirk Baas Montag, 23.02.2015, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 23.02.2015, 17:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die steigende Zahl von minderjährigen Flüchtlingen, die ohne Begleitung nach Deutschland kommen, stellt die Jugendhilfe zunehmend vor Probleme. Vor allem Großstädte wie Hamburg, Berlin, Stuttgart und Köln schlagen Alarm. Jetzt wird diskutiert, die jungen Flüchtlinge bundesweit zu verteilen und nicht länger dort zu versorgen, wo sie aufgegriffen werden. Das Familienministerium bereitet eine Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes vor. Doch Sozialverbände lehnen das Ansinnen rigoros ab.

Eine schnelle Lösung des Problems ist ohnehin nicht in Sicht: Das Bundesfamilienministerium, das einen Gesetzentwurf zur Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge erarbeiten soll, kann derzeit noch keinen Zeitpunkt nennen, wann der Entwurf in die Ressortabstimmung gehen wird.

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Vorerst Jungendamt weiter zuständig
Bis dahin werden betroffene Jugendliche weiter an dem Ort vom Jugendamt in Obhut genommen, wo sie aufgegriffen werden. Die Behörde bringt sie meist in einer Einrichtung der Jugendhilfe unter und bestellt einen Vormund.

Nach Angaben des Fachverbands Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, der bei den Jugendämtern Daten erfragt, steigen die Inobhutnahmen von jugendlichen Flüchtlingen seit 2008 kontinuierlich an. Waren es 2009 noch 2.988, so registrierten die Ämter 2013 bereits 5.605 Personen. 2013 haben alleine Hamburg, Berlin, Stuttgart und Köln 1.248 Jugendliche in Obhut genommen: ein Fünftel aller Fälle.

Regionale Verteilung unterschiedlich
Doch die regionale Verteilung ist sehr unterschiedlich: Die fünf zugangsstärksten Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern, Berlin und Hamburg nahmen 66 Prozent der Jugendlichen auf. Dagegen nahmen Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg zusammen nur vier Prozent der jungen Flüchtlinge in Obhut.

Der Verband geht davon aus, dass die bundesweite Verteilung der Jugendlichen in Zukunft nach dem Königsteiner Schlüssel erfolgen soll. Der regelt die Aufnahmequoten für Asylbewerber in allen Bundesländern.

Das bedeute für die Minderjährigen „eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip“, die fachliche Standards der Betreuung völlig außen vor lasse, rügt der Verband. „Wir sehen eine bundesweite Verteilung sehr kritisch“, sagte Vorstand Henning Wienefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Caritas fordert Debatte
Zwar kenne er Details aus dem Gesetzentwurf, der frühestens Ostern vorliegen soll, noch nicht. Was jedoch aus dem Ministerium nach draußen dringe, gebe Anlass zur Sorge: „Die Jugendämter dürfen nicht zum Verschiebebahnhof junger Flüchtlinge werden.“ Völlig offen sei zudem, wer die Betroffenen dann künftig verteilt und wie das in der Praxis geschehen soll, betonte der Leiter der Fachstelle Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge der Hephata Diakonie Kassel.

Auch der Caritasverband Paderborn dringt darauf, das bisherige Verfahren beizubehalten. „Die durch steigende Flüchtlingszahlen bedingte Notlage in den Kommunen darf nicht dazu führen, dass erfolgreiche Verfahren nicht mehr greifen“, sagte der für die Jugendhilfe zuständige Paul Krane-Naumann. Er forderte eine intensive fachliche Debatte darüber, wie die Kosten für die Betreuung der jungen Flüchtlinge gerechter verteilt werden können. Es müsse verhindert werden, dass sie künftig in Regionen landen, deren Jugendämter weder fachlich noch personell in der Lage sind, eine ordentliche Betreuung zu gewährleisten.

Er regte er mehr Kooperationen der Gemeinden an, die Jugendlichen untereinander gerechter zu verteilen, auch über die Landesgrenzen hinweg. Das Problem: Derzeit seien die Pauschalen der Länder, die die Kommunen für die jungen Flüchtlinge erhalten, meist nicht kostendeckend.

Diakonie: Nicht vereinbar mit UN-Kinderrechtskonvention
Die Diakonie sieht ebenfalls die Standards der Jugendhilfe gefährdet: „Das billigend in Kauf zu nehmen, ist mit der UN-Kinderrechtskonvention nicht vereinbar“, sagte Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch sie warb dafür, statt die Jugendlichen umzuverteilen, dafür zu sorgen, dass aufnehmende Jugendämter genügend Geld bekommen.

Für die bundesweite Verteilung plädieren auch die Ministerpräsidenten der Länder. Dabei hat auch Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) die Qualität der Betreuung im Blick: Nach dem bestehenden System werde es auf Dauer immer schwieriger, die Standards der Jugendhilfe zu gewährleisten. (epd/mig) Aktuell Politik

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