Asylgrund Klimawandel

Lebensgrundlage nicht mehr gesichert

Seit 1992 trifft sich die Welt auf der Weltklimakonferenz - ohne Zählbares. In diesem Jahr ist es einer Familie sogar erstmals gelungen, einen Asylantrag wegen Bedrohungen durch den globalen Klimawandel durchzusetzen. Und sie werden nicht die Letzten sein.

Dienstag, 16.12.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.12.2014, 17:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die vierköpfige Familie Alesana vom kleinen Pazifikeiland Tuvalu hat es in diesem Jahr zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Denn als ersten Menschen weltweit war es den Alesanas gelungen, einen Asylantrag wegen Bedrohungen durch den globalen Klimawandel durchzusetzen. Die „zukünftige Lebensgrundlage“ der Familie sei durch den Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr gesichert, urteilte die Einwanderungsbehörde im Aufnahmeland Neuseeland.

Ihr Schicksal ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen Menschen als Opfer von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Dürren und Wassermangel oder Tsunamis ihre Heimat verlassen. Die Extremwetterereignisse haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten verdreifacht. Die Wissenschaft ist sich weitestgehend einig, dass viele dieser Katastrophen die Folgen der globalen Erwärmung durch den Klimawandel sind. Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre in Genf mussten allein im Jahr 2012 über 32 Millionen Menschen ihren Wohnort infolge von Naturkatastrophen verlassen. Dies entspricht in etwa der Einwohnerzahl Marokkos. Doch die Schätzungen zur Anzahl der weltweiten Klimaflüchtlinge variieren stark und werden in der öffentlichen Debatte teilweise kontrovers diskutiert. Sie reichen von wenigen Hundertausend bis zu hunderten von Millionen.

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Naturkatastrophen können Migration verursachen

Schwierigkeiten bei der statistischen Erfassung entstehen bereits dadurch, dass keine international einheitliche Definition für den komplizierten Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration existiert. Schon der Begriff des „Klimaflüchtlings“ selbst gilt als umstritten: Denn eine internationale Anerkennung als „Flüchtling“ ist laut Genfer Flüchtlingskonvention bisher nur aufgrund politischer und religiöser Verfolgung möglich. Weitreichende internationale Akzeptanz findet dagegen der Begriff des „Umweltmigranten“, den die Mitgliedstaaten der Internationalen Organisation für Migration 2007 festgelegt haben. Er schließt auch freiwillige, zeitlich und räumlich begrenzte Wanderungen mit ein. Damit unterscheiden sich Umweltmigranten stark von Flüchtlingen. Denn diese verlassen laut offizieller Definition niemals aus freien Stücken ihre Heimat.

Doch Veränderungen der regionalen Ökosysteme und Katastrophen ziehen oft gesellschaftliche Krisen und Konflikte um die verbleibenden nutzbaren Ressourcen nach sich. Deshalb sind viele der politischen oder wirtschaftlichen Flüchtlinge im Grunde auch Umweltflüchtlinge. Auch das Gegenteil ist der Fall: Umweltbedingte Migration wird mitunter durch politische und wirtschaftliche Missstände verursacht. Denn Politik und Gesellschaft verpassen es häufig, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Im schlimmsten Fall verstärken sie diese sogar noch.

Ignoranz verschärft Folgen

Viele Meeresanrainer etwa schützen ihre Küsten kaum vor drohenden Überschwemmungen und auch in anderen Risikogebieten wappnen sich die Regierungen nur unzureichend für den Katastrophenfall. Darüber hinaus übernutzen mancherorts Großbauern ihre Felder und veröden damit ganze Landflächen.

Quellenverzeichnis:

Biermann, Frank (2001). Umweltflüchtlinge. Ursachen und Lösungsansätze. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 12/2001, S.24-29.

Bündnis Entwicklung Hilft und United Nations University (Hrsg.) (2014). Weltrisikobericht 2014. Schwerpunkt: Risikoraum Stadt.

Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (2014). The International Disaster Database.

Endres, A. (2013). Reichtum für uns, Vertreibung für andere, In: Zeit-Online.

Gillert, S. (2014). Erstmals Asyl wegen des Klimawandels erteilt. In: Die Welt Online.

Hummitzsch, Thomas (2009). Klimawandel und Migration. In: Focus Migration Nr. 15, Dezember 2009.

UNFPA, IIED und El Colegio de México (Hrsg.) (2013). The Demography of Adaptation to Climate Change.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2007). Welt im Wandel. Sicherheitsrisiko Klimawandel, Springer-Verlag.

Laut Foresight Report aus dem Jahr 2011 sind weltweit allein 520 Millionen Menschen in Küstengebieten durch Überflutungen und Zyklone bedroht. Vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten der Küstenstädte sind den Risiken oft schutzlos ausgeliefert. Wären sie aber dazu in der Lage, sich besser an die Folgen von Umweltveränderungen anzupassen, würden mehr Menschen auch nach einer Katastrophe an ihrem Heimatort bleiben oder schneller wieder an diesen zurückkehren können. Das aber erfordert Vorbereitungen.

Ansätze dazu gibt es bereits, wie etwa das „Flood Control Program“ auf den Philippinen. Dort leben in der Hauptstadt Manila über eine halbe Million Menschen in Überschwemmungsgebieten entlang von Flüssen. Neu errichtete Dämme sollen das Flutrisiko minimieren. Außerdem will die Stadtregierung die Bewohner der Krisengebiete aktiv umsiedeln, um unkontrollierbare Flüchtlingsschübe von vornherein zu vermeiden. Doch Kritiker bezweifeln die Wirksamkeit des Programms. Unter dem Deckmantel des Katastrophenschutzes vertreibe die Regierung die ärmere Bevölkerungsschicht in die Randlagen der Städte und entziehe ihnen damit die wirtschaftliche Existenzgrundlage. Sie fordern stattdessen, die betroffenen Gebiete gezielt einzudeichen und der angestammten Bevölkerung das Bleiben zu ermöglichen. Der Katastrophenschutz in Manila ist also noch lange nicht ausgereift. Doch die Zeit drängt. Scheitern die geplanten Maßnahmen und kommen keine weiteren hinzu, dürften immer mehr Einwohner aus den Armenvierteln Manilas vor den wiederkehrenden Fluten fliehen. Die eigentlichen Ursachen für ihre Flucht wären damit aber nicht rein ökologischer, sondern auch politisch-struktureller Natur.

Status gesucht

Bei diesem unklaren Ursachengemenge fällt die Festlegung auf eine gemeinsame, international anerkannte Definition eines eigenen Flüchtlingsstatus für Klimavertriebene schwer. Doch diese wäre dringend nötig, um die Zahl der indirekt oder direkt durch Umwelteinwirkung Vertriebenen korrekt zu erfassen und Lösungsstrategien entwickeln zu können. Fest steht, dass die Mitglieder der Familie Alesana nicht die letzten Klimaflüchtlinge bleiben werden. (demos) Aktuell Gesellschaft

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