Emanzipation

Warum Moscheen staatliche finanzielle Unterstützung brauchen

Deutschland zwingt Moscheen, sich bei der finanziellen Unterstützung an andere Staaten zu wenden. Das macht sie abhängig und ist Wasser in die Mühlen von Islamkritikern, wie die jüngsten Homophobie-Diskussionen an der Berliner Şehitlik-Moschee zeigen.

Von Armin Langer Donnerstag, 27.11.2014, 7:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.11.2014, 20:04 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Antimuslimische Kommentare und Rundmails kursieren durch das Netz. Die Rassisten, die im wahren und digitalen Leben als „Islamkritiker“ nach schneller Anerkennung suchen, haben wieder eine ausgezeichnete Steilvorlage gefunden: Die islamische Şehitlik-Gemeinde in Neukölln wollte gegen Homo- und Transphobie in Deutschland und unter Muslimen ein Zeichen setzen und lud LGBTQ-Vertreter in die Moschee für ein Gespräch ein. Thema sollten auch die verbreiteten antimuslimischen und rassistischen Ressentiments unter Schwulen und Lesben sein. Doch die Veranstaltung wurde wegen politischen Drucks aus der Türkei abgesagt, offiziell „verschoben“.

Als das Dialogtreffen angekündigt wurde, blieben diese „Islamkritiker“ stumm, nun finden viele in der Absage einen Beweis dafür, dass „Muslime nicht in unser Wertesystem passen“. Laut dieser Lesart sind „alle Muslime homophob“ – und plötzlich werden islamophobe Kommentatoren Freunde der Schwulen- und Lesbenbewegung.

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Anders als Christen und Juden

Doch was hat eigentlich der türkische Staat mit einer Moschee in Berlin zu tun? Die Şehitlik-Moschee ist Teil der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), die vom staatlichen Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei in Ankara per deutsch-türkischem Staatsvertrag abhängig ist. Ohne das Geld aus der Türkei gäbe es die Şehitlik und viele andere Moscheen in Deutschland nicht.

Die sogenannten Islamkritiker werfen den Moscheegemeinden in Deutschland häufig vor, dass sie ausschließlich die Interessen und Sitten der jeweiligen Herkunftsländer vertreten würden. Sie seien weder unabhängig noch integrationsfähig. Diese Kritiker lassen dabei bewusst außer Acht, dass die Gemeinden vom deutschen Staat dazu gezwungen werden, sich bei der finanziellen Unterstützung an andere Staaten zu wenden.

Christen haben die Kirchensteuer, Juden die Kultussteuer – Muslime haben dieses Privileg nicht. Die Kirchensteuer der Mitglieder der Kirchen macht den größten Teil ihrer Einnahmen aus. Zusätzlich zu diesem Geld erhalten Kirchen und Synagogen jährlich mehrere hundert Millionen Euro für Staatsleistungen als Träger sozialer Einrichtungen zum Beispiel. Allein die katholische Kirche hat ein jährliches Einkommen von etwa 5,5 Milliarden Euro in Deutschland, nur über die Kirchensteuer: Für muslimische Gemeinden, die ein Fünftel so viel Mitglieder zählen, bedeutet dies jährlich ein Verlust von mehr als 1 Milliarde Euro, die in Dialogprojekte, wie nun von der Şehitlik-Moschee intendiert, investiert werden könnten – 1 Milliarde Euro, die Unabhängigkeit von den Regierungen in Ankara, Riad und Rabat bedeuten würden.

„Importierte“ Imame

Solange Muslime keine Kirchensteuer zahlen und einnehmen dürfen, müssen ihre Gemeinden auf das Ehrenamt und auf im Ausland ausgebildete Imame bauen. Diese „importierten“ Geistlichen sprechen dann oftmals kein Deutsch und kennen die Lebensumstände der Muslime in Deutschland wenn überhaupt, dann nur aus Erzählungen. Doch Muslime müssen nicht nur auf ein Steuerprivileg verzichten. Das Problem liegt tiefer in der Struktur und in den Vorbehalten gegenüber den „anderen“. Die staatliche Diskriminierung in Deutschland nimmt so multiple Formen an: Obwohl wir offiziell in einem säkularen Staat leben, dürfen nur Kirchenglocken läuten, der Muezzin dagegen darf die Gläubigen nicht mal zum wichtigsten muslimischen Gebet am Freitag rufen. Es würde die öffentliche Ordnung stören, so das Argument der Behörden.

Muslimische Bestattungen, die ja ohne Sarg stattfinden, sind außer in ein paar Bundesländern ebenfalls verboten, und zwingen damit viele deutsche Muslime, ihre Leichen ins Ausland zu transportieren. Dabei gibt es durchaus Migranten, die hier beerdigt werden wollen. Doch der deutsche Staat erlaubt keine sarglose Beerdigung: Der Grund dafür ist eine Regelung aus dem 17. Jahrhundert. Damals waren die Menschen noch unsicher, ob jemand tot ist oder nicht, und bewahrten die Leichen zur Sicherheit 48 Stunden in einem Sarg auf, bevor sie begraben wurden. Im 21. Jahrhundert müssen wir aber keine Angst vor Scheintoten haben.

„Rückständigkeit des Islam“

Die Lage in den Rundfunkräten ist ebenfalls nicht ideal: Im Jahr 2013 war Radio Bremen der erste öffentlich-rechtliche Sender mit einem muslimischen Vertreter im Rundfunkrat. „Muslime in Bremen stellen eine Gruppe von großer gesellschaftlicher Relevanz dar“, erklärte damals die Landesregierung. Die Hansestadt hat den gesellschaftlichen Wandel eingesehen, in anderen Bundesländern ist man noch nicht so weit. Bislang werden Muslime in den Aufsichtsgremien von sieben ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradios nicht über einen eigenen Sitz repräsentiert. Das ist ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung – und vernachlässigt 5 Prozent der Bevölkerung, die ebenfalls GEZ-Gebühren bezahlen.

Doch wenn es ums Geld geht, kann man die Schieflage beziffern. Die Exklusion aus dem Steuersystem verursacht also eine Abhängigkeit der eigentlich deutschen Moscheen von Agenden anderer Regierungen. Die staatliche Nichtanerkennung der muslimischen Gemeinschaften und ihrer Bedürfnisse verhindert die Integration der Muslime in Deutschland im Besonderen.

Dass die Veranstaltung gegen Homophobie in der Şehitlik-Moschee abgesagt wurde, ist kein Beweis für die „Rückständigkeit des Islams“, wie es in einschlägigen Foren heißt. Es illustriert nur, dass Muslime in Deutschland nicht die Voraussetzungen haben, um ein selbstbestimmter und gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft zu sein.

Unsere 5 Millionen muslimischen Mitbürger werden erst dann integrierte, vollwertige Bürger, wenn Staat und Gesellschaft dies zulassen. Solange sich diese nicht selbst überwinden, überlassen wir den Regierungen der Türkei und Saudi-Arabiens die Entscheidung, ob zum Beispiel Schwule, Lesben und Transsexuelle in einer Moschee ihren Platz bekommen oder nicht. Und wir geben Rassisten immer wieder Grund für Schadenfreude. Aktuell Meinung

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  1. Ich wäre sehr dafür, wenn die Muslimischen Gemeinden genauso behandelt würden, wie die Christlichen Kirchen und die Jüdischen Gemeinden, keine Frage.
    Aber mich beschäftigt dann die Frage, inwieweit sich dann die türkische Regierung aus dem Handeln der Moscheegemeinden und den Mitglieder zurückzieht.
    Denn das glaube ich nicht, sie wird weiterhin versuchen, ihre sehr konservative Auslegung des Islams, wie sie es ja tut, hier in Deutschland zu exportieren.
    Und ich möchte diesen Einfluß unter keinen Umständen, jetzt nichtz und dann erst recht nicht.
    Elisabeth Mariam Müller

  2. Navi sagt:

    Ich dachte es wäre Grundkonsens, dass wir die Kirchensteuer abschaffen wollen, warum denn jetzt noch eine Moscheesteuer einführen? Religiöse Gemeinschaften sollten sich aus Spenden finanzieren und nicht über Staaten.

    Dass die Türkei aufhören würde den Muslimen in Deutschland ihren Staatsglauben aufzudrängen, wenn diese vom deutschen Staat Geld erhalten, halte ich auch für höchstunwahrscheinlich.

  3. H.P.Barkam sagt:

    Ich habe einmal gerechnet:

    Von 5.000.000 in Deutschland lebenden Muslime gehe ich von einer Erwerbsqoute – dürfte höher liegen – von mindestens 50 Prozent aus.
    Wenn von diesen 2.500.000 Erwerbstätigen wiederum angenommen 80 Prozent eine dem Kirchgeld – nicht der Kirchensteuer – angelehnte, aber der christlichen Kirchensteuer entsprechenden Zahlung von Durchschnittlich 200 € im Jahr zahlen würden, kämen die Muslimen-Gemeinden auf Einnahmen in Höhe von 400 Millionen Euro.
    Könnten sich die Muslimen-Gemeinden damit eine wenn auch bescheidene Selbstständigkeit finanzieren oder bon ich da etwas naiv?

    In diesem Sinne

  4. karakal sagt:

    Die Forderung, daß die „Muslime in das Wertesystem“ einer nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft zu „passen“ hätten, ist absurd und zurückzuweisen. Integration bedeutet die unversehrte Aufnahme eines neuen Teils in ein bestehendes Ganzes. Allerdings verwechseln offensichtlich die meisten Integration mit Assimilation, nämlich der Angleichung unter Aufgabe spezifischer Eigenschaften. Integration kann nicht darin bestehen, daß die Muslime dazu gezwungen werden, Werte einer nichtmuslimischen Gesellschaft zu übernehmen, die nach ihren eigenen Maßstäben keine Werte, sondern Unwerte sind.
    Da es im Islam keine den christlichen Kirchen vergleichbare Institution gibt, gibt es im Islam auch keine Kirchensteuer. Eine kirchensteuerartige Zwangsabgabe durch den Staat einziehen zu lassen, wäre nahezu unmöglich, da die Muslime nicht wie die Mitglieder der christlichen Kirchen registriert sind. Moscheegemeinden in dem Sinne wie christliche Kirchengemeinden gibt es nicht, sondern nur Mitglieder eingetragener Vereine und regelmäßige Moscheebesucher, die nicht dem Verein angehören müssen. Nach islamischem Verständnis haben die Moscheen grundsätzlich allen Muslimen offen zu stehen, gleich ob diese Mitglieder im jeweiligen Verein sind oder nicht.
    Daher wäre es empfehlenswert, um der Gerechtigkeit willen das Privileg der Kirchensteuer abzuschaffen, oder daß andernfalls der bundesdeutsche Staat nach einem anderen Weg sucht, um die Muslime in gerechtem Ausgleich von Finanzierung aus dem Ausland unabhängig zu machen.

  5. Markus Feld sagt:

    @karakal
    „Integration kann nicht darin bestehen, daß die Muslime dazu gezwungen werden, Werte einer nichtmuslimischen Gesellschaft zu übernehmen, die nach ihren eigenen Maßstäben keine Werte, sondern Unwerte sind.“

    Na dann haben Sie ja bestimmt auch Verständnis für Nazis, Hooligans und Salafisten, die unsere Werte genauso ablehnen. Integration bedeutet Anpassung und Kolumbus war vor den Muslimen in Amerika, da gibt es nicht viel umzudeuten oder zu philosophieren. Ihr Kommentar drückt nur auf diplomatische Art und Weise aus, dass Sie sich nicht anpassen wollen. Nicht mehr und nicht weniger.

  6. nanni60 sagt:

    @Karakal
    Nachdem die Kirchensteuer KEIN Privileg ist, sondern, wie der Name schon sagt, eine Steuer, die die Christen zu zahlen haben, ist es den Muslimen unbelassen, selbst so etwas wie eine Abgabe einzuführen. Aus diesem Grund versteh ich die Ausführung von einer GERECHTEN Aufteilung nicht. Sollen jetzt die Christen für die Moscheen zahlen? Ein Christ kann sich gegen die Kirchensteuer nur wehren, wenn er austritt aus der Kirche. Bleibt er Christ, weiß er, dass er zahlen muss. Sie sollten das unter sich ausmachen und nicht schon wieder Unterstützung vom Staat oder anderer Seite fordern. Kirchen werden auch nicht vom Staat gebaut, sondern eben von der Kirche und durch Spenden finanziert. Selbst ist die muslimische Comunity.

  7. Ahmetzade sagt:

    @Markus Feld

    Niemand muss sich anpassen. Eine Forderung nach Anpassung ist absurd und gehört entschieden zurückgewiesen.

  8. Magistrat sagt:

    Herr Feld, Sie unterliegen dem gängigen Fehlschluss, dass Integration eine homogene und eindimenstionale Gesellschaft verlangen würde – natürlich nur wenn es um Muslime geht. Bei Juden, Christen, bei Punks oder Hippies u.ä. schätzen Leute wie Sie generell die Exklusivität und Individualität. Während einerseits seit Jahren die individuelle Lebensgestaltung als das zentrale Element der freiheitlich demokratischen Grundordnung verstanden wird, die es jedem einzelnen überlässt, was er unter „gutem Leben“ versteht, wird andererseits von Muslimen ein übertriebener Konformismus erwartet. Ihrer Definition nach sind ja nicht einmal CSU-Wähler oder FAZ-Leser, die konservative Werte vertreten, „integriert“. Oder die Bundeskanzlerin gar, die gegen eine Gleichstellung der sog. „Homo-Ehe“ ist.

    Um zu verstehen, was Integration rechtlich meint, empfehle ich Ihnen folgende Rezension http://www.migazin.de/2014/11/28/begriff-und-konzept-der-integration-im-aufenthaltsgesetz/.
    Integration verlangt im Wesentlichen
    – den Erwerb von Sprachkenntnissen
    – Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung
    – eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts ohne Rücksicht auf soziale Sicherungssysteme und
    – keine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sein.

    Sie verbietet das Anders-Denken oder eine kritische Grundhaltung gerade nicht.

    MfG

  9. Cenki sagt:

    @nanni60

    es geht hier nicht nur um die kirchensteuer. die kirchen bekommen über wohlfahrtsbände, kindergärten etc. etliche millionen auch aus der tasche eine jüdischen, muslimischen und atheistischen steuerzahlers.

  10. Markus Feld sagt:

    @Ahemtzade

    “ Niemand muss sich anpassen. Eine Forderung nach Anpassung ist absurd und gehört entschieden zurückgewiesen.“

    Anpassung ist eine Notwendigkeit. Selbst im Urlaub muß man sich den Gepflogenheiten des Gastlandes anpassen, ok muss man zwar nicht, Freunde gewinnt man dann aber auch nicht. Allein das Erlernen der Sprache ist bereits Anpassung. Keiner verlangt, dass Sie Christ oder Atheist werden oder Ihre Traditionen vernachlässigen. Aber wer grundsätzlich kein Bedürfnis hat sich anzupassen von dem würde ich doch gerne mal wissen, mit welchen Intentionen er ein- bzw. ausgewandert ist. Es muß doch irgendein Grund gegeben haben warum man sich für ein x-bliebiges Land entschieden hat. Hoffentlich nicht nur aus finanziellen Gründen!