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Obsession zur Unvernunft

Der Islamdiskurs hat eine neue Qualität erreicht

Wie würden Sie jemandem Musik erklären, der nie Musik gehört hat und meint, Musik sei Lärm? Würden Sie ihm sagen, dass es Beethoven und Heavy Metal gibt, Krach aber mit Musik nichts zu tun hat? Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Gegenüber Ihre Erklärung müde belächelt. So geht es Khola Maryam Hübsch mit dem Islam.

Von Khola Maryam Hübsch Mittwoch, 12.11.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.11.2014, 16:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Wer nie Musik gehört hat, der vermisst nichts“, schreibt Adorno. Stellen Sie sich vor, es gäbe Menschen, die noch nie klassische Musik gehört hätten. Menschen, die nie ein Lied gefühlt hätten, das emotional berührt, das Tränen in die Augen treibt. Wie soll man Musik erklären? Wenn jemand, der nie Musik gehört hat, meint Musik erzeuge schmerzerregende Dissonanzen und sei ein ohrenzerreißendes Lärmen, ein schrilles, grelles, unerträglicher Geräusch, dem sich kein vernünftiger Mensch freiwillig aussetzen möchte, dann wird er Musik als bedrohlich empfinden. Als Musik-Kenner denken Sie: Es gibt Beethoven, es gibt Heavy Metal und es gibt vieles dazwischen. Ohrenbetäubender Krach hat jedoch nichts mit Musik zu tun – und werden belächelt.

Und so geht es mir mit dem Islam. Ich kenne nichts, das mein Wesen stärker erschüttert hätte als die Erfahrungen, die durch die religiöse Praxis des Islams möglich werden. Es ist eine Religion voller Weisheiten und Spiritualität. Es sind Erfahrungen, die ich nicht leugnen kann und die nicht ostentativ an meiner Stirn haften, wie das Kopftuch auf den Haaren. Erfahrungen, die ich nicht mit einem Klick auf den „Teilen“-button an die Weltöffentlichkeit weiterreichen kann, wie es Islamisten mit ihren Enthauptungsvideos massenwirksam tun. Erfahrungen, die trotz ihrer Eindringlichkeit nicht sichtbar sind.

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Was sich dagegen mit einer ungeheuren Aufdringlichkeit in unser aller Aufmerksamkeitsfenster hineinkatapultiert ist der tosende Lärm, das ohrenzerfetzende Getöse und Gegröle barbarischer Schreihälse, die für ihre Unmenschlichkeit einen religiösen Katalysator konstruieren. Was wissen diese Kulturbanausen und „Islam-für-Dummies“-Besteller von der Philosophie einer Religion, die mich gelehrt hat, wie schwierig es ist, wahrhaft barmherzig und selbstlos zu werden? Die mich gelehrt hat, dass Freiheit durch Hingabe entsteht – und dass sich dieser Weg zum Erlernen der Liebe mehr lohnt als alles andere? Doch wem erzähl ich das?

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In Zeiten, in denen immer mehr Menschen „religiös unmusikalisch“ geworden sind, erscheint eine Horde von hassdurchtränkten Ego-Anbetern wie die plastischste Verkörperung dessen, was Religion anrichten kann. Vergessen wird, dass es der Religion im Kern immer um Transzendenz und um die Emanzipation von mentalen Abhängigkeiten geht. Es geht ihr eben nicht um die Befriedigung niederer Leidenschaften oder das Ausleben von Machtgelüsten. Dass der willige Geist dabei allerdings allzu oft vor dem schwachen Fleisch kapituliert und primitive wie profane Motive den Menschen zu einem Heuchler im Namen der Religion machen, ist eine Erkenntnis, die weit älter ist, als die Religionskritik der Aufklärung.

Die Heuchelei der Möchte-gern Frommen war schon immer Anlass für Spott und Satire. Auch in der sog. islamischen Welt zeugt die Tradition der „Mullah-Witze“ von der Abscheu für alles Doppelmoralische. Kaum bekannt ist, dass sogar der Prophet des Islams hart mit dem bigotten Frömmler ins Gericht ging. Es war Muhammad selbst, der die religiösen Führer der Endzeit als „die schlimmsten Wesen unter dem Himmelszelt“ bezeichnete (Mischkat, Kitabul Ilm). Der „IS“ beruft sich auf diese eschatologischen Prophezeiungen des Islams und zelebriert den „letzten Kampf gegen das Böse“ ohne zu merken, dass ebendiese Überlieferungen warnen: „Bald wird vom Islam nichts mehr übrig sein, als sein Name“. Ja, es ist Etikettenschwindel im ganz großen Stil.

Es ist dieses Abschlachten unter falscher Flagge, das die größte Beleidigung einer Weltreligion darstellt, dessen Prophet im Koran als „Barmherzigkeit für alle Welten“ bezeichnet wird. Der stumpfe Humor eines Dieter Nuhr wiegt im Vergleich dazu nicht einmal Peanuts-schwer. Er versprüht Tropfen von Islamsticheleien in homöopathischen Dosen, die im dreckigen Meer des IS-Boko-Haram-Taliban-Islam ins Unkenntliche versinken. Giftig ist seine Islamsatire trotzdem, denn er macht sich eben nicht lustig über die Ewig-Gestrigen Islamfundis, wie gemeinhin angenommen wird. Er betont explizit: Das ist der Islam, das steht so im Koran. Damit rückt er gefährlich in die Nähe eines HoGeSa-Aktivisten im Geiste, der dem grölenden Stammtisch verbale Knochen hinwirft. Mutig ist Islamkritik in Zeiten von Titelcovern, die die „dunklen Seiten“ des Islam verhandeln und in denen jeder zweite Deutsche diese Weltreligion für rückständig hält, nicht wirklich.

Nuhr macht Witze über den Islam, wie man Witze über die Deutschen macht, die in der Logik des Nuhrschen Humorniveaus auf die Nazi-Karikatur reduziert sein müssten. Er spitzt den Islam auf die Salafisten-Version zu. So weit, so plump. Sein Fehler liegt darin, allen Ernstes eine Kausalität zu suggerieren, die nach folgendem Schema läuft: „Die Nazi-Denke, das liegt am Deutschsein, nicht an der NS-Ideologie.“ Das sagt er natürlich nicht, er sagt es in grün, indem er Koranverse zitiert und den Zusammenhang nahe legt, fanatisches Denken sei Bestandteil der islamischen Religion und nicht seiner faschistischen Interpretation. In dieselbe Kerbe schlagen neuerdings auch Welt und Focus, die mit ihren dumpfen Thesen zum Islam peinlichen Islamophobiker-Blogs Konkurrenz machen.

Der Islamdiskurs hat eine neue Qualität erreicht. Was früher als klar rechts eingeordnet worden wäre, gehört heute zum guten Ton und liegt ziemlich mittig, Islamisten sei Dank. Jeder Otto-Normal-Deutsche geriert sich mittlerweile als Islamexperte und echauffiert sich über „Tötet-die-Ungläubigen“-Verse, was die Aisha-Normal-Muslima zunehmend in Erklärungsnot bringt. Gemeinsam ist beiden die Unkenntnis über historische und textuelle Zusammenhänge.

Woher kommt die Inbrunst und der missionarische Eifer zu einer Islamkritik, die inhaltlich nichts tut, als die stumpfesten Stereotype zu kolportieren? Es mag die Vergewisserung der eigenen Überlegenheit sein, der eigenen säkularen oder christlichen Identität, die Klarheit in einer hybriden Welt schafft. Der Islam übernimmt Entlastungsfunktion in unordentlichen Zeiten, er bietet die perfekte Projektionsfläche und wird zur Nemesis der Aufklärung, zur Antipode des anti-säkularen und anti-christlichen Denkens schlechthin.

Das neue unfreiwillige Hobby des Deutsch-Muslims ist dann die Distanzierung von Gräueltaten seiner „Glaubens-Brüder“, deren monströse Fratzen das islamische Gewand tragen. Es sind jedoch vor allem die fanatischen Muslime selbst, die es nahezu unmöglich machen, die spirituelle Note des Islam zu hören und ihn in seiner Ganzheitlichkeit als Bereicherung zu sehen. Wenn es irgendjemanden gibt, der die Ehre des Islams besudelt, dann sind es geistlose Islamisten mit ihrer Obsession zur Unvernunft. Aktuell Meinung

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  1. Saadiya sagt:

    Ausgezeichnet geschrieben!!!!! Glückwunsch!!!!

  2. H.P.Barkam sagt:

    Bravo! Ein guter Artikel, wie ich meine.

  3. aischa kabir sagt:

    ich glaube, die Spiritualität, die dem Islam innewohnt, wenn man ihn versteht wie Sie, gehört zum Wesen beinah jeder Religion. Beispielsweise auch zum Christentum. Die Liturgie, Musik, die sphärischen Klänge der Orgel, das Gemurmel in der katholischen Messe, Weihrauch-Schwaden – alles Hilfsmittel, um eben einw enig Transzendenz schon auf dieser müden und mühseligen Erde zu erfahren. Trotzdem können sich autoritäre Charaktere beziehungsweise christliche Fundis in der Bibel bedienen: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn. Wer ihn liebt, der züchtigt ihn beizeiten“, (Sprüche 13, Vers 24) liefert der Sekte der 12 Stämme in Bayern den Grund für tägliche Prügelstrafen und das Brechen kindlicher Persönlchkeiten. Die sind nur die Spitze des Eisbergs. Religion verbietet an zu vielen Stellen das Denken, erfordert zu oft ausschließlich Gehorsam, als dass man sie guten GEwissens als zielführende Leitplanke für das Zusammenleben akzeptieren könnte. Und sie ist eben doch nicht nur privat und innerlich sondern bezieht meistens ein Umfeld mit ein. Die Kirche hat in Europa immer wieder versagt (zuletzt im 3. Reich), deshalb ist in großen Teilen der hiesigen BEvölkerung das Misstrauen gegenüber Religion an sich groß. Auch gegenüber dem Islam. Der natürlich zu Deutschland gehört. Aber eine innermslimische Debatte darüber, ob es strukturelle Anknüpfungspunkte für autoritäres, gewaltaffines Verhalten und Denken gibt in Koran und Sunna, kann man nicht wirklich ablehnen, oder?

  4. karakal sagt:

    Das (vermeintliche) Verbot des Musikhörens im Islam ist ein Beispiel für den Starrsinn dieser „salafistisch“ ausgerichteten Muslime und hat sich in den Territorien, in denen sie für einige Zeit die Macht an sich reißen konnten, wie die Taliban in Afghanistan und im pakistanischen Swat-Tal und die „Islamisten“ in Mali, verhängnisvoll ausgewirkt, indem dort Personen für Musikhören so streng wie für das Begehen einer großen Sünde bestraft und die Musikinstrumente vernichtet wurden. Dabei kommt dieses (vermeintliche) Verbot nicht einmal aus ihrer eigenen theologisch-rechtswissenschaftlichen (Fehl-)Leistung, sondern derjenigen früherer Gelehrter der vier sunnitischen Rechtsschulen. Nur die rigoros intolerante Durchsetzung dieses Verbots entspringt ihrer eigenen Mentalität.
    Ein muslimischer Student aus Mauritius meinte einmal: Wie kann man Musik, wie diejenige von J.S. Bach, die einen zum Gottgedenken anregt und anhält, für verboten erklären? Und ich selbst sagte mir: Die früheren Gelehrten kannten solche Musik nicht; wie kann man da heute ihr Urteil übernehmen? Tatsächlich aber schließen auch die heutigen „Salafisten“ die Möglichkeit kategorisch aus, daß selbst die genannte Art von Musik erlaubt sein könnte. Nur wenn man die vermeintlich „einwandfreien“ prophetischen Überlieferungen (Hadith), auf die sie ihr Verbot stützen, als nicht einwandfrei aufdeckt und ihre Argumentation als unlogisch und unzureichend entlarvt, kann man sie – vielleicht – zu einem Umdenken bringen.
    Das Problem im Islamdiskurs ist, daß wirkliche muslimische Reformatoren, die auf dem Boden der islamischen Glaubensgrundsätze bleiben, von den „Islamkritikern“, Massenmedien und Politikern nicht wahrgenommen werden. Stattdessen greifen sie islamische „Reformdenker“, die bereits außerhalb des Islams stehen, und abwegige Theorien auf und preisen diese als vorbildlich und versuchen, sie den Muslimen als „Reformislam“ anzudrehen. Da die Mehrheit der Muslime dies jedoch ablehnt, werden sie zusammen mit den starrsinnigen „Islamisten“ in einen Topf geworfen und verteufelt.
    Der in Wien lebende Reformator Dr. ´Adnan Ibrahim zählt die Musik zu den „guten“ Dingen. Unter den Deutschsprachigen ist er jedoch noch nahezu unbekannt, und einige österreichische Medien haben leider – anstatt auf seine Reformbemühungen einzugehen – versucht, ihn wegen seiner Sympathiebezeugung mit dem bewaffneten Widerstand Gazas als „Aufruf zum Dschihad“ zu diskreditieren. Dabei verurteilt er scharf die Gräueltaten des IS und ähnlicher Organisationen und Einzelpersonen und predigt Toleranz und Barmherzigkeit. Doch das interessiert die „Islamkritiker“ nicht; für sie gibt es entweder nur den „bösen“ Muslim oder den – ihrer Vorstellung nach – „guten“, der den Islam von innen her aushöhlt und zum Zusammenbruch zu bringen sucht.

  5. K.Winkelmann sagt:

    Überzeugend!

  6. all-are-equal sagt:

    „Der Islamdiskurs hat eine neue Qualität erreicht. Was früher als klar rechts eingeordnet worden wäre, gehört heute zum guten Ton und liegt ziemlich mittig“

    Pointierte Religionskritik von Künstlern ist Medizin für die Gesellschaft und hat in Deutschland zum Glück schon eine langeTradition.

    Kürzlich habe ich in Köln im Ludwig Museum das Gemälde „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen, 1926“ von Max Ernst bewundert, in welchem der Maler das Gewaltpotential im Christentum künstlerisch gekonnt aufarbeitet:

    http://www.museenkoeln.de/home/bild-der-woche.aspx?bdw=2006_11

    Genausowenig wie Max Ernst ein Rechter war, ist es Dieter Nuhr.

    Dieter Nuhr ist vielmehr ein mutiger gesellschaftskritischer Künstler des 21. Jahrhunderts, für den Religion glücklicherweise kein falsches Tabu ist. Niemand sollte versuchen ihn mundtot zu machen.

  7. humanoid sagt:

    „Die Kirche hat in Europa immer wieder versagt (zuletzt im 3. Reich), deshalb ist in großen Teilen der hiesigen BEvölkerung das Misstrauen gegenüber Religion an sich groß. “

    ja und die schweigende mehrheit hat ihren helden in braun zu gewunken und wollte von nichts wissen .

  8. magistrate sagt:

    Wie feige müssen Menschen sein, wenn sie es als tatsächlich mutig empfinden auf den mainstream Zug der Islamhatz und des Muslimbashing mit aufzuspringen. Es war auch nicht mutig, vor 70 Jahren die Hand zum Gruß zu erheben.