Ein Dorf bereitet sich vor

„Willkommen im Dorf“ statt „Das Boot ist voll“

Das kleine rheinhessiche Dorf Jugenheim zählt 1.500 Einwohner. Bald sollen es noch ein paar mehr werden. Denn noch vor Jahresende sollen im historischen Pfarrhaus rund ein Dutzend Flüchtlinge ihr neues Zuhause finden. Das Dorf geht mit gutem Beispiel voran und versucht die Flüchtlinge mit gezielter Vorbereitung bestmöglich willkommen zu heißen.

Von Karsten Packeiser Dienstag, 11.11.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.11.2014, 20:29 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Bis auf den letzten Stuhl sind die Plätze im evangelischen Gemeindehaus besetzt. Alle sind sie gekommen: Die Sportvereine sind vertreten, die Landfrauen-Vereinigung und die freiwillige Feuerwehr haben jemanden geschickt, alle Parteien und die Volkshochschule ebenso. Gemeinsam wollen die Menschen aus dem rheinhessischen 1.500-Einwohner-Dorf Jugenheim besprechen, wie sie ihren künftigen Nachbarn den Start in der Fremde erleichtern können. Zuvor hatte die Kirchengemeinde ihr historisches Pfarrhaus aus dem 18. Jahrhundert an den Landkreis verkauft, der dort künftig Asylbewerber unterbringen wird.

Zwar erreicht nur ein sehr kleiner Teil der weltweit schätzungsweise 50 Millionen Flüchtlinge die reiche Bundesrepublik. Bund, Länder und Kommunen sind mit der Aufnahme und Versorgung der Asylbewerber dennoch vielerorts überfordert. Weil es nicht genügend Wohnungen gibt, werden die Neuankömmlinge häufig in überfüllten Sammelunterkünften, Wohncontainern, Zelten oder demnächst wohl auch in leerstehenden Fabrikhallen einquartiert. Auch die Verwaltung des Landkreises Mainz-Bingen, auf dessen Gebiet derzeit 600 Asylbewerber leben, schafft es nur noch mit Mühe, Wohnungen für Flüchtlinge anzumieten.

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Das Angebot der Kirche aus Jugenheim kam da gerade recht. Noch vor Jahresende sollen nach Kreisangaben drei Familien im Haupthaus unterkommen, mehrere alleinstehende Flüchtlinge in einem Anbau. Pfarrerin Sarah Kirchhoff hat bereits das Türschild vom historischen Pfarrhaus abgeschraubt. Sie ist nur noch mit halber Stelle in Jugenheim tätig und wohnt im Nachbarort. „Ich freue mich auf die Leute, die da kommen“, sagt sie bei der Bürgerversammlung, die unter dem Motto „Willkommen im Dorf“ steht.

Die Jugenheimer wollen sich auf „ihre“ Asylbewerber gut vorbereiten. An Vorschlägen, was zu tun ist, mangelt es nicht: Es gibt Freiwillige, die den Flüchtlingen beim Deutschlernen helfen wollen, die Vereine wollen sich um die Flüchtlingskinder kümmern. Jemand bietet einen Malkurs an. Einige Dorfbewohner versprechen, Bettwäsche und Küchengeräte zu organisieren. „Wir haben heute auch schon den ersten Karton mit gespendetem Geschirr vor die Tür gestellt bekommen“, sagt Uli Röhm vom evangelischen Kirchenvorstand. Erst, als eine Frau im Saal eine große Willkommens-Party für die Asylbewerber ins Gespräch bringt, beginnen die ersten zu bremsen.

Auch Uli Sextro, Referent für Flüchtlingsfragen bei der rheinland-pfälzischen Diakonie, ist beeindruckt vom Einsatz der Jugenheimer: „So etwas habe ich noch nicht erlebt, dass so viele Menschen Asylbewerber willkommen heißen möchten“, sagt er, warnt aber ebenfalls vor Übereifer: Die Helfer müssten nach der Ankunft der Flüchtlinge klären, was diese wirklich brauchen. Möglicherweise seien die Neuankömmlinge von den Erlebnissen in ihrer Heimat und während der Flucht nach Europa schwer traumatisiert und wollten erst einmal zur Ruhe kommen.

Ganz ohne Gegenwind wird die Ankunft der Asylbewerber auch in Jugenheim nicht verlaufen. Manche Dorfbewohner fanden kürzlich ein rechtsextremes Flugblatt im Briefkasten. Die traditionelle Dorfkultur sei durch die „Massenzuwanderung“ bedroht, Grundstückspreise würden wegen der Asylbewerber sinken, behaupteten die Verfasser. Danach, dass sie damit die Stimmung im Ort kippen könnten, sieht es vorerst aber nicht aus. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft

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