Rezension zum Wochenende
Everybody’s Gypsy: Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt
Dotschy Reinhardt reist in „Everybody's Gypsy“ durch die Jahrhunderte der Gypsy-Kultur, zwischen Musik, Alltag und falschen Klischees - eine Rezension von Jamal Tuschick.
Von Jamal Tuschick Freitag, 24.10.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
“Like a band of gypsies we go down the highway. We’re the best of friends. Insisting that the world keep turning our way and our way. Is on the road again.“ – Willie Nelson
„Gogol Bordello“ tritt in New Orleans auf. Nach dem Konzert stürmen Roma die Garderobe und erklären, was sie gehört haben, zum „Gypsy Punk“. So wird ein Wort geboren, das synergetisch wirkt. Michaela Dotschy Reinhardt klärt die Quelle seines Ursprungs in einem exzessiven Mix aus Schwarz- Weiß – und Tagebuch. Everybody’s Gypsy: Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt lenkt den Blick auf eine internationale Randgruppe. Ihre Diskriminierung gehört zum Selbstverständnis der Mehrheitsgesellschaften. Sinti und Roma bilden weltweit Minderheiten. Es gibt kein Land, in dem sie die Mehrheit sind. Das heißt, die effektiven Zuschreibungen kommen immer von außen, als Urteile, die Andersartigkeit feststellen.
Dotschy Reinhardt stellt einfache Fragen: Warum ist es immer noch politisch korrekt ein „Zigeunerschnitzel“ zu bestellen? Während doch längst kein Demokrat mehr einen „Negerkuss“ oder einen „Mohrenkopf“ annimmt. Die Musikerin und Autorin erkundigt sich beim „Maggi Kochstudio“. Man speist sie ab. In den „vorgegebenen Geschmackswelten“ der Kundschaft ginge die Variabilität im Assoziationsspektrum von „Zigeuner-Hackbraten“ bis „Zigeunersoße“ gegen Null. Man könne sich darauf verlassen, dass unter Verbrauchern Gewissheit herrscht, sobald „Zigeuner“ auf der Packung steht. Dann verspricht die Sache scharf, pikant & paprikalastig zu sein. Der Selbsttest zeigt: Genauso ist es. Das kritische Bewusstsein überschreitet zu der Virtuosität von Django Reinhardt den persönlichen Horizont ohne die Spur eines Gedankens an diese Sorte Alltagsrassismus.
Dotschy Reinhardt stammt aus der Dynastie des Berühmten. Sie lebt in Berlin und trifft da interessante Leute. Sie spricht mit Musikern, deren Karrieren von einschlägigen Einflüssen bereichert werden. Interviews führt sie mit Eugene Hütz (Gogol Bordello) und Goran Bregovic, der Filme von Emir Kusturica musikalisch bewegt. Sie skizziert den Lebenslauf der Sinteza Marianne Rosenberg, die ihre Herkunft lange verleugnete. Sie erinnert an den Ausnahmeboxer Johann Trollmann, der als Sinto in einem KZ umgebracht wurde. In Talkshows kämpft sie gegen Vorurteile gegen Sinti und Roma. Sie sucht Beispiele für ihre Kultur in den Arenen des Kinos, der Literatur, Kunst und Mode. Der ins Gelingen verliebten „Gypsy-Chic“-Ausbeute steht das aus tiefen Bewusstseinsschichten aufsteigende Ressentiment wie eine Wand entgegen. Darin steckt die Furcht der Sesshaften vor (nicht unbedingt freiwillig) nomadischen Lebensformen.
Dotschy Reinhardt versammelt Zeugnisse für die Identifikation des „Zigeuners“ mit dem bedrohlich Fremden. Sie zitiert Cervantes, der 1613 schrieb: „Es scheint, als würden Zigeuner nur geboren, um Diebe zu werden. … Die Lust am Stehlen ist ihnen so zur zweiten Natur geworden, dass nur der Tod sie davon abbringt“. In Jahrhunderten ergibt sich keine Entschärfung in den Betrachtungen von Sinti und Roma. In der Romantik blühen „Zigeuner“-Phantasien auf dem Parcours von Erotik bis Exotik. Davon übriggeblieben ist das Schnittmuster Esmeralda. Im Weiteren bleibt es bei Devianz und Delinquenz als andauernde Unterstellungen. Die Gleichsetzung von Abweichung und Kriminalität sitzt fest im Verbund homogenisierten Ansichten.
Über Strecken gleicht Everybody’s Gypsy: Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt einer Plauderei. Dotschy Reinhardt nimmt den Leser mit zu den Stadien ihres aufregenden Lebens. Aktuell Rezension
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