Interview mit Angela Kühner

Der Holocaust im interkulturellen Klassenzimmer

Die aktuelle Migrationsdebatte in den Massenmedien beinhaltet eine Gefahr für den Geschichtsunterricht: Lehrer schauen gar nicht mehr hin oder hören nicht zu. Sie lassen sich verleiten von den negativen Klischees in den Massenmedien. Warum Pädagogen Hilfe brauchen.

Von Arnd Zickgraf Mittwoch, 30.07.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.08.2014, 17:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Dr. Angela Kühner arbeitet als Sozialpsychologin beim Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Mit Kollegen hat sie eine Studie durchgeführt. Dabei wurden Lehrer an städtischen und ländlichen Regionen befragt, wie sie den Unterricht zum Nationalsozialismus und Holocaust erleben.

Allmählich werden die Zeitzeugen der nationalsozialistischen Verbrechen weniger. Rechnen Sie damit, dass die Erinnerung an den Holocaust bei Jugendlichen verblasst?

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Angela Kühner: Man muss sich klar machen, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Holocaust immer verändert hat und weiter verändern wird. Vielleicht wird dabei manches sogar differenzierter statt einfach nur blasser. Uns hat jedenfalls überrascht, dass von dem vielfach in den Medien unterstellten Desinteresse bei den von uns befragten Schülern wenig zu spüren war. Wir waren etwa fasziniert zu sehen, wie die Schüler über ihre Geschichtslehrer nachdachten. Ihnen fiel auf, wie wichtig der Holocaust den Lehrern ist. Man sollte Aussagen von Jugendlichen wie „Nicht schon wieder!“ nicht als Ausdruck einer verfestigten Abwehr verstehen. Sie sind viel mehr aus der jeweiligen Unterrichtssituation heraus zu verstehen. Tendenziell wird die Bereitschaft von Jugendlichen unterschätzt, sich auf die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen einzulassen.

In vielen Schulklassen sitzen heute junge Migranten mit türkischen oder arabischen Wurzeln. Nun war es in Ihrer Studie gar nicht leicht, Schüler muslimischen Glaubens für Interviews zu gewinnen. Sind zugewanderte Jugendliche, deren Eltern nicht an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt waren, gleichgültiger den nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber?

Angehörige von Gruppen, die starken stigmatisierenden Zuschreibungen ausgesetzt sind, sind womöglich besonders skeptisch, wenn sie beforscht werden sollen. Das zeigen beispielsweise auch Studien zum Risikoverhalten von HIV-Infizierten. Schüler mit familiärer Migrationserfahrung, und insbesondere Schüler mit türkischen Wurzeln, wollten vermutlich aus guten Gründen nicht mit uns sprechen.

Die Schüler mit Migrationshintergrund, die wir befragten, zeigten nicht pauschal weniger Interesse an dieser Epoche der deutschen Geschichte. Sie bringen andere Perspektiven in das Klassenzimmer mit, die Anknüpfungspunkte an die Zeit des Nationalsozialismus bieten.

Und wie erleben Geschichtslehrer die Schüler türkischer Herkunft in ihrem Unterricht?

Typische Aussagen von Lehrern gingen dahin, dass, „die Türken“ sich nicht für den Holocaust interessierten. Und wenn doch, dann mit dem Unterton, dass sie, „die Türken“, daran nicht schuld seien. Bemerkenswert ist, dass Schülern mit türkischen Wurzeln dabei ein Gefühl der Überlegenheit unterstellt wurde. Manche Lehrer erweckten den Eindruck, dass sie als bemühte Deutsche, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, darüber nachdachten, wie sie den „Anderen“ den Holocaust als „unsere“ Geschichte vermitteln können. Doch als eigenständige Akteure tauchten diese „Anderen“, nämlich die Jugendlichen mit Migrationserfahrung, im Erinnerungsdiskurs kaum auf.

Welche ist die größte Herausforderung der Holocaust-Erziehung?

Die zentrale Herausforderung sind die unvermeidlich schwierigen Gefühle, die das Thema Holocaust weckt, nicht nur, aber ganz besonders in der deutschen Tätergesellschaft. Diese können leicht zu „projektivem Othering“ führen.

Können Sie das genauer erklären?

Von „projektivem Othering“ sprechen wir immer dann, wenn wir vermuten, dass der Migrations-Andere in der Fantasie besonders stark zum Anderen gemacht wird – wenn also der Unterschied zur eigenen Kultur überschätzt wird. Projektive psychologische Mechanismen sind mir in mehreren Interviews mit Lehrern aufgefallen, etwa wenn man im Gesamtkontext der sehr ausführlichen Interviews sehen kann, wie sehr „den Gastarbeiterkindern“ oder „den Türken“ Fragen, Gefühle oder Themen unterstellt werden, die die Lehrer selbst beschäftigen. Eine Erkenntnis der interkulturellen Psychologie besagt: Wer sein Gegenüber als besonders fremd wahrnimmt, der ist mit eigenen psychischen Anteilen konfrontiert.

Nicht die Schüler wirken hier überfordert, sondern die Lehrer …

Aus psychologischer Sicht ist es völlig normal, dass Menschen mit schwierigen Themen ringen. Für Lehrer ist sowohl ein richtiger Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust eine besondere Herausforderung als auch ein sensibler Umgang mit Migration. Die aktuelle Migrationsdebatte beinhaltet allerdings die Gefahr, sich von den Beiträgen in den Massenmedien, die nicht selten negative Klischees über Migranten transportieren, zu Dramatisierungen verleiten zu lassen und gar nicht mehr genauer hinschauen oder hinhören zu können.

Pädagogen neigen in der Holocaust-Erziehung also dazu, eigene negative Gefühle auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zu übertragen und sie vom Prozess des gemeinsamen Erinnerns auszuschließen. Welche Unterstützung brauchen sie?

Sie müssten lernen, die komplizierten Gefühle, die mit der Behandlung des Holocausts im Unterricht verbunden sind, wahrzunehmen. So lange sie die sehr schwierigen Gefühle nicht wahrnehmen und artikulieren können, werden sie andere Perspektiven im Erinnerungsdiskurs als bedrohlich empfinden. Dabei könnten die eingewanderten Perspektiven eine Chance sein, über die verschiedenen Formen von Verunsicherung hinsichtlich der Geschichte dieses Landes ins Gespräch zu kommen. Gesellschaft Leitartikel

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  1. Stimme sagt:

    Geschichte kann man nicht aus dem Fernsehen lernen. Die Medien können nicht als Ersatz dienen. Geschichtssendungen sind oft derart seicht und politisch oft so „korrekt“, dass sie nicht selten nutzlos sind.
    Um aus dem Vergangenen zu lernen, bedarf es grundlegender Fertigkeiten. Die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben gehört dazu auch ein gewisses Maß an Grundbildung. Dazu müsste auch der Unterricht erst einmal wirklich gewährleistet sein. Geschichtsunterricht sieht heutzutage so aus: Die Antike wird in zwei Wochen durchgekaut, das Mittelalter ebenfalls. Das 17., 18. Jahrhundert verdienen bestenfalls zwei Monate. Das ist die Realität. Die Geschichte des 19. Jahrhunderts wird oberflächlich behandelt, so dass man als junger Mensch des 21. Jahrhundert das 20. Jahrhundert gar nicht so recht begreifen kann.
    Hinzu kommt dass von linker Seite erklärt wird, dass alle Menschen gleich sind. Wozu also ein Geschichtsbewusstsein? Wenn man den Leuten die Identität nimmt, darf man sich halt nicht wundern, wenn sie der Vergangenheit gleichgültig gegenüber stehen. Das gilt durchaus auch für „deutsche“ Jugendliche.
    Bei den Migranten rächt sich nun auch, dass man Geschichte im mainstream fast ausschließlich unter rein oberflächlich-moralischen Gesichtspunkten betrachtet hat, nicht unter analytischen.
    Wie will man denn Jugendlichen vermitteln, dass sich in einer Gesellschaft etwas hochbrauen kann, was ursprünglich keiner will, etwas, das sich langsam und kontinuierlich verbreitet wie ein Krebsgeschwür, wenn man ihnen beigebracht hat, simplifizierend zu denken?

  2. Rudolf Stein sagt:

    Ob man will oder nicht, die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands teilt dieses Land, und umso deutlicher, je größer der Anteil ehemals nichtdeutscher Bevölkerung wird. Der Artikel ließ es anklingen: die Nachkommen derjenigen, die zur Zeit des Holocaust noch in Ostanatolien lebten, sehen keinen Grund, sich mit der deutschen Staatsangehörigkeit auch die Verantwortung für die historische Vergangenheit Deutschlands anzueignen. Das ist verständlich; würde ich in die USA auswandern, würde ich mir auch nicht die Verantwortung für die Ausrottung der Indianer aufbürden lassen. Das heißt aber, in Deutschland leben zwei Arten von Bürgern : der einen Art wird man noch in 100 Jahren vorhalten, Nachkommen von Massenmördern zu sein und die andere wird ihre Unschuld als moralischen Persilschein auffassen, den sie bei jeder passenden Gelegenheit ausspielt. Manche Artikel und Diskussionen in MIGAZIN legen davon Zeugnis ab.

  3. Deutsche, 17Jahre sagt:

    Wer glaubt, dass in 1000 Jahren noch interessant sein wird, was 1930 los war, irrt. Totales Desinteresse.

  4. Ochljuff sagt:

    @Stimme

    Welche Gesichtssendungen im Fernsehen empfinden Sie denn als „korrekt“, etwa die Guido Knopp-Sendungen? Dann kennen Sie sich selbst aber mit Geschichtswissenschaft nicht sonderlich gut aus. Aber das ist ja auch kein Wunder, wo der gesamte Geschichtsunterricht in der Schule, wenn ich Ihre Angeben lese, nicht mal ein ganzes Unterrichtsjahr gedauert hat.

    „Hinzu kommt dass von linker Seite erklärt wird, dass alle Menschen gleich sind. “ Wer erklärt das denn? Gleichwertig habe ich schon häufig gehört, alle gleich eher nicht. Wenn dieser Unterschied nicht verstanden wird, kann ich sehr gut nachvollziehen, wie zu den Schlussfolgerungen gekommen wird.

    „Wie will man denn Jugendlichen vermitteln, dass sich in einer Gesellschaft etwas hochbrauen kann, was ursprünglich keiner will, […]“
    Wieso wollte dieses „etwas“ (gemeint ist ja offensichtlich der Nationalsozialismus) niemand? Diese These ist doch absoluter Unsinn.

  5. Konservative Gegenstimme sagt:

    Lieber Ochljuff, so einfach ist es nicht.

    1. Gemeint ist damit, dass von linker Seite sehr oft ignoriert wird, dass Menschen traditionsgeleitete Wesen sind. Wer das wahrhaben will, wird z.B. immer zu dem falschen Schluss kommen, dass „Bildung“ ausnahmslos vom Geldbeutel abhängt.

    2. Im Grunde ist doch alles Tradition, die Schrift, die Sprache, das Denken, die Mentalität, die Bereitschaft für die Ausbildung seiner Kinder zu sorgen, der Wille dem Staat zu dienen, der Wunsch einen Beitrag zu leisten, usw. Selbst die Arbeit als solche unterliegt traditionellen Wertvorstellungen. Kurz und einfach: Menschen haben unterschiedliche Kulturen. Sie stehen in unterschiedlichen Traditionen. Sie sind aus diesem Grund anders. Genau das wird aber von den meisten Linken ignoriert. Für den Linken ist jeder Mensch 1:1 gleich, ob Eskimo oder Saharabewohner.

    3. Die Linke sieht das Heil der Menschheit in der Vernunft, nicht in der Erfahrung. Erfahrungen, die dem im Wege stehen, was ihr vernünftig erscheint, werden abgelehnt. Das ist das Problem der Linken und die Ursache ihres ständigen Scheiterns. Gerade in der Bildungspolitik zeigt sich doch immer wieder, wie man an der eigenen Vernunft scheitert (G 8, Gesamtschule, Kitas usw.), weil man Erfahrungswert komplett missachtet.

    4. Was lehrt uns die Erfahrung? Sie lehrt uns, dass sich Katastrophen im Rücken der Akteure „hochbrauen“ können. Der Nationalismus, ohne den es heute keine Demokratie geben würde, war ursprünglich durchaus nicht als exklusives, intolerantes, ethnisch bezogenes und expansives System konzipiert. Zur Katastrophe wurde er, weil es nicht gelang, große gesellschaftliche Widersprüche und krasseste ökonomische Missstände aufzulösen. Oder glauben Sie, dass die Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts kein idealer Nährboden für Ressentiments und geistige Deformationen aller Art war?

    5. Das Problem liegt doch darin, dass man das, worauf man fußt, eigentlich schlecht komplett verurteilen kann. Oder nicht? Sie können nicht vehement gegen den Nationalismus und voll überzeugt für die Demokratie sein, wenn das eine aus dem anderen hervorgegangen ist. So wie der Nationalismus ein Janushaupt hat, hat auch die Demokratie eines Janushaupt. Oder warum glauben Sie, dass Populisten und Demagogen wörtlich übersetzt nichts anderes sind als „Demokraten“?

    6. Mich stört an den Linken (gemeint sind natürlich nicht alle Linken ausnahmslos, aber schon ein großer Teil davon), dass sie nur das gelten lassen, was ihnen vernünftig erscheint. Sie hassen alles, was mit Tradition zusammenhängt, weil das ihrem Weltbild zutiefst widerspricht. Denn die tradierte Erfahrung widerspricht ja oft genug dem, was als subjektiv „richtig“ angesehen wird. Darum muss auch alles immer neu und anders sein. Darum werden ja auch oft genug Fachleute nicht zu Rate gezogen, weil die ja über „Erfahrung“ verfügen …

    Kurz: Wenn man eine orientierungslose Generation heranzüchtet, darf man sich halt auch nicht wundern, wenn sie nicht so funktioniert wie man will. Was wir brauchen ist ein Unterricht, der den Kindern Stolz und Identität vermittelt. Beide gehören zu einer gediegenen Bildung. Was wir brauchen sind junge Leute, die stolz auf unsere Demokratie und unser Land sind.

  6. Saadiya sagt:

    @ Konservative Gegenstimme: „…unterliegt traditionellen Wertvorstellungen. Kurz und einfach: Menschen haben unterschiedliche Kulturen. Sie stehen in unterschiedlichen Traditionen. Sie sind aus diesem Grund anders. Genau das wird aber von den meisten Linken ignoriert. Für den Linken ist jeder Mensch 1:1 gleich, ob Eskimo oder Saharabewohner.“

    Es liegt dem Leben fern, dass Kultur(en) oder Traditionen keinem Wandel unterworfen sein sollen. Sie beschreiben Wertvorstellungen, Traditionen und Kultur(en) als statische Gebilde, dich sich nicht verändern. Aber das tun sie, denn ohne diesen Wandel wäre es unmöglich, sich auf Neues unterschiedlich einzustellen.

  7. Konservative Gegenstimme sagt:

    Richtig Saadyia. Aber alles Neue bedeutet in gewisser Weise „Zerstörung“. Diese „Zerstörung“ kann harmlos ausfallen, sie muss es aber nicht. Genau hierin liegt ja das Problem. Man kann z.B. fordern, dass alle Menschen gleich sein sollen. Ein vernünftiger Vorschlag – wenn man sich mit der „Gleichmachung“ Zeit lässt. Wenn man allerdings der Ansicht ist, dass alle Menschen einen Kopf kürzer gemacht werden sollen, damit alle gleich sind, ist das problematisch. Sie sehen also, dass das, was als Segen für die Menschheit erscheint, sehr schnell ins Gegenteil umschlagen kann.
    Wenn man Neues schaffen will, muss man bereit sein, das Alte zu achten. Wenn man das Alte nicht achtet, „schöpft“ man nicht, sondern „zerstört“. Das ist keine hohle Beobachtung. Die Zerstörungswut des modernen Subjekts ist allgegenwärtig, gehen Sie nur mal durch eine Fußgängerzone einer Altstadt und achten Sie bewusst darauf, wie viel beschmiert oder kaputt gemacht wird. Das war früher anders.

    Überträgt man diese Überlegung ins Politische, muss man zu dem Schluss kommen, dass Radikale sämtlicher Couleur keine Menschen von einem anderen Stern sind, sondern Leute, die mitten aus der Gesellschaft kommen, die sie geformt hat. Ganz ähnlich hat es Adorno bereits vor vielen Jahrzehnten gesehen.

  8. Marianne sagt:

    @Konservative Gegenstimme:

    Zu 1) Die Linke ignoriert nicht, dass Menschen Traditionen haben, im Gegensatz zu den Rechten und den Erzkonservativen respektiert sie aber auch die Traditionen anderer Ethnien und anderer Religionen und lehnt das Völkische ab. Das tun Erzkonservative nicht, die wollen ihre eigenen Traditionen allen anderen aufzwingen und lehnen alles „Fremde“ ab. Bis hin zur Vernichtung desselben, wie man aus der Geschichte weiß. In Deutschland hängt Bildung zwar nicht ausnahmslos, aber überwiegend vom Geldbeutel ab, das ist nachgewiesen und wird von Erzkonservativen auch gewünscht, weil sie sich weigern, am ungerechten Bildungssystem die notwendigen Verbesserungen vorzunehmen, die es auch Menschen aus unteren sozialen Schichten ermöglicht, eine ausgezeichnete Bildung zu erlangen.

    Zu 2) Absolut falsch, für Linke haben Menschen, ungeachtet ihrer Unterschiede dieselben Rechte. Für Linke sind nicht alle gleich, wie Sie unzutreffend behaupten. Das Gegenteil ist der Fall: Erzkonservative und Rechte akzeptieren nur ihre eigenen Traditionen, ihre eigene Kultur und lehnen Menschen mit anderen Traditionen, die nicht genau gleich sind, wie sie selbst, alles Fremde also, ab.

    Zu 3) Ihr höchst abenteuerlicher Gedankenkonstrukt ist leider nicht im Entferntesten nachvollziehbar und dient wohl dem Zweck, ihrer ideologiebedingten Abneigung gegen Gesamtschulen und Kitas den Anschein einer theoretischen Begründbarkeit zu verleihen. Gescheitert ist das herkömmliche Schulsystem und dass der Besuch einer Kita, gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten, den Bildungserfolg verbessert, ist eindrucksvoll nachgewiesen.

    3) Dass es ohne den Nationalsozialismus heute keine Demokratie geben würde, der Nationalsozialismus somit Ihrer Ideologie nach die Grundlage und notwendige Voraussetzung einer Demokratie sei, ist eine absolut ungeheuerliche Verdrehung, wie ich sie bisher noch nicht mal aus der strammrechten Ecke kenne. Diese Behauptung, die den Nationalsozialismus als demokratiefördernd und demokratieermöglichend preist, halte ich für rechtsextrem. Das trifft auch auf Ihre unzutreffende Behauptung zu, der Nationalsozialismus sei ursprünglich nicht als intolerantes, ethnisch bezogenes und expansives System konzipiert gewesen.

    4, 5) Aus ihren realitäts- und geschichtsverdrehenden Äusserungen, man könne den Nationalsozialismus nicht komplett ablehnen, ohne auch die Demokratie abzulehnen, weil angeblich der Nationalspozialismus die Grundlage der Demokratie sei, ergibt sich für mich die logische Schlussfolgerung, dass Sie anscheinend ein Befürworter des Nationalsozialismus sind, dem Sie demokratiefördernde und demokratieermöglichende Eigenschaften zuschreiben. Und wenn Sie von „man“ schreiben, worauf „man“ fußen würde: Das trifft auf Sie ausweislich Ihres Beitrags sicher zu, meine Tradition und meine Geisteshaltung fußt allerdings nicht auf dem Nationalsozialismus. Ganz im Gegenteil. Die fußt auf den Errungenschaften der Aufklärung.
    6) Nationalsozialisten und Erzkonservative hassen alles, was ihrem Weltbild widerspricht. Auf Linke trifft das nicht zu. Die respektieren auch andere Lebensentwürfe und Menschen mit anderer Religion, anderem Aussehen und anderen Traditionen. Für Linke müssen nicht alle Menschen gleich sein, sind es auch nicht, für Linke haben alle Menschen dieselben Menschenrechte, die Erzkonservativen und Nationalsozialisten ein Dorn im Auge bekanntermassen sind. Sie verdrehen hier komplett die Wahrheit und schreiben das, was rechte Menschenverächter auszeichnet, die den Nationalsozialismus für eine positive Errungenschaft und Voraussetzung der Demokratie halten, auf perfide Weise fälschlich der Linken zu.
    Der letzte Absatz sind Plattitüden, garniert mit biologistischen Unwörtern. Zum Einen werden Menschen nicht „herangezüchtet“ , jedenfalls dann nicht, wenn man kein Anhänger der Rasselehre ist, und zum anderen sind es exakt die erzkonservativen Kreise, die erzwingen wollen, dass alle Menschen, die nicht reinrassig deutsch sind, sich assimilieren müssen und ihnen so die Orientierung, den Stolz und die Identität nehmen. Wer ist „man“?

    Zum nächsten Beitrag Ihrerseits ist zu sagen: Neues bedeuted nicht Zerstörung, Neues bedeuted nicht Gleichmachung. Vielmehr ist es so, dass Neues Entwicklung bedeutet und ohne Entwicklung wären wir heute noch in der Steinzeit. Ob etwas Achtung und Respekt verdient, richtet sich nicht danach, ob es alt oder neu ist, sondern danach, ob es moralischen und ethischen Grundsätzen genügt. Ihr „Kopf kürzer gemacht werden sollen“ entbehrt jeder realen Grundlage und ist in höchstem Masse geschmacklos. Passt aber irgendwie zu ihrem Gedankengut, nach dem der Nationalsozialismus angeblich eine notwendige Voraussetzung der Demokratie ist, den man deshalb schlecht „verurteilen“ könne.

  9. Konservative Gegenstimme sagt:

    Liebe Marianne, Sie haben sich offensichtlich mit einigen deutsch-jüdischen Philosophen wie Arendt, Horkheimer, Adorno nicht beschäftigt auch nicht mit einigen modernen Historikern. Weite Teile der Aufklärungskritik des 18. und 19. Jahrhunderts scheinen Ihnen unbekannt zu sein. Lesen Sie die „Dialektik der Aufklärung“ oder nur einmal Götz Aly, der eine etwas leichter schreibt. Dass die Aufklärung eine dunkle Seite hat, ist Ihnen offenkundig entgangen. „Der Schlaf der Vernunft gebiert nun mal Ungeheuer“. Dass „Moral“ keineswegs etwas Objektives ist, sondern aus dem Auge des Betrachters kommt, dass „moralisch“ gerade das sein kann, was dem, der es für moralisch hält nützt, ist Ihnen offenbar auch nicht bekannt. „Moral“ ist sehr dehnbar und oft sehr fragwürdig. Nehmen wir nur einmal die Französische Revolution. Gepredigt wurde Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und was kam? Der Kater. Am Ende stand nämlich die Guillotine. Aus der Traum.

    Im Übrigen habe ich nie behauptet, dass die Demokratie aus dem Nationalsozialismus entstanden ist. Sie ist aus dem Nationalismus entstanden. Offenbar verwechseln Sie aus Unkenntnis der Zusammenhänge beides miteinander. Meine Kritik zielt nicht auf das „Ideologische“ oder das „Moralische“, sondern auf eine ganz bestimmte Denkstruktur, die sehr typisch ist für alle Sozialisten (ob rechts oder links ist egal). Nicht alles, was vernünftig erscheint, ist vernünftig. Derjenige, der über eine Orientierung verfügt, weil er sich der Tradition und der Erfahrungswerte ist nun mal dem auf Dauer überlegen, der es macht wie Pippi Lanstrumpf („ich mache mir die Welt, so wie ich will“)

  10. Konservative Gegenstimme sagt:

    1. Marianne, noch ein Nachtrag: Sie haben wahrscheinlich nicht verstanden, dass Aufklärung (Enlightenment“) nichts anderes ist als ein Kult um die menschliche Vernunft. Aufklärung bedeutet Bruch mit der Tradition, um Neues zu etablieren. Sie ist die Ersatzreligion der Moderne. Sie beansprucht für sich – ins Symbolische übertragen – die Finsternis zu verdrängen, die mit dem „Alten“ identisch erscheint, ein „radikaler“ und darum problematischer Ansatz.

    2. Die Nationalsozialisten standen selbstverständlich auch in der Tradition der Aufklärung, nur machten sie aus dem Licht der Vernunft das Feuer ihrer „Vernunft“ (man beachte die Symbolik). Die Einsicht, dass die Nazis nicht von einem anderen Stern kamen, sondern aus der Mitte der Gesellschaft, ist mitnichten rechtsextrem, genauso wenig wie die Erkenntnis, dass Darwinismus, Teutonenrummel, Germanenverehrung usw. ursprünglich hauptsächlich im liberalen Lager beheimatet waren. Wer sich jemals mit den Ursprüngen des NS-Vokabulars beschäftigt hat, kann gar nicht umhin zuzugeben, dass es weit ins 18. und 19. Jahrhundert zurückweist. In der liberalen Literatur wimmelt es geradezu von Volksgenossen, Großdeutschland, Volksgemeinschaft usw. Dass diese Begriffe ursprünglich einen etwas anderen Sinngehalt hatten, sei gar nicht geleugnet. Man spricht ja auch heute noch von Volksschulen, Volksabstimmungen, Volkswirten, Volkswirtschaften, Volkswagen, Volksherrschaft usw., ohne dass sich jemand dabei etwas denkt. Im Übrigen: Fahren Sie einen VW?

    3. Ohne das „Volk“ oder die „Nation“ als geistig-philosopische Kategorien hätte es den Nationalsozialismus nicht geben können, genauso wenig wie die heutige Demokratie. Dem wird jeder zustimmen müssen. Am Anfang war Rousseau. Ohne ein Ei gibt es keine Henne.

    4. Darum mein Fazit: „Vernunft“ ist per se weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes, es kommt halt darauf an, was man daraus macht. Der Bau eines Atomkraftwerks kann „vernünftig“ erscheinen, das Abholzen eines Regenwalds, die Erschaffung einer Demokratie, die Herstellung egalitärer Gesellschaftsverhältnisse, der Bau einer Autobahn, der Abriss historischer Gebäude, die Entlassung von Angestellten usw. „Frankenstein“ ist auch ein Produkt aufgeklärten Denkens. Wieso soll man keinen künstlichen Menschen erschaffen, wenn es „vernünftig“ erscheint?

    5. Die Perfektionisten aufgeklärten Denkens sind nun mal die Kommunisten. So empfand es Mao Tse Tung als „vernünftig“, sämtliche Spatzen töten zu lassen, um den Ernteertrag zu steigern. Was war die Folge: Die Ernte viel aus, weil sich das Ungeziefer unkontrolliert vermehrte. Es lebe die aufgeklärte sozialistische Vernunft!

    6. Die Aufklärung hat halt auch eine dunkle Seite. Wir stehen definitiv in ihrer Tradition. Es ist beileibe kein Verbrechen, wenn man modernen Gesellschaften – bei allen zu betonenden Vorzügen – auch destruktive Grundzüge attestiert, die es einzudämmen gilt. Dazu gehört es, die allzu „Vernünftigen“ in die Schranken zu weisen. Dazu gehört auch die „Bildung“, die nichts anderes ist als ein durch lange Tradition vermitteltes Wissen um grundlegende Sachverhalte, das manche liebend gerne abschaffen möchten. Dazu gehört auch das Wissen, woher man kommt. Dazu gehört auch Kritik, nicht an anderen, sondern an sich selbst.