Buchtipp zum Wochenende

Ein dauerheimatsuchender Träumer im Aufbruch

Ferhad beschliesst nach 24 Jahren in der Schweiz, nach Ankara zu ziehen. Seine grosse Liebe Soraja leitet in der Stadt eine Apotheke; das Leben zweier Menschen zwischen traditionellen Wertvorstellungen und ihrer Liebe - einfühlsam und humorvoll erzählt. Sabine Adatepe rezensiert das neue Buch "Soraja" von Yusuf Yeşilöz (erschienen im Mai 2014)

Von Sabine Adatepe Freitag, 18.07.2014, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.07.2014, 19:59 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ein Träumer, ein Mensch auf der Suche ist Ferhad, der Held und Ich-Erzähler in Yusuf Yeşilöz’ neuem Roman „Soraja“. Der kurdisch-schweizerische Autor und Dokumentarfilmer Yeşilöz beweist auch mit seinem zehnten Buch sein Faible für leise, unaufgeregte Klänge, für menschliche Zwischentöne und so kritische wie liebevoll genaue Beobachtung beider Kulturen, der türkisch-kurdischen wie der schweizerisch-westeuropäischen. „Ich wusste, dass ich ein Mensch auf der Suche war, wusste aber nicht mehr, seit wann“, bekennt sein Held.

1964 in Zentralanatolien geboren, kam Yusuf Yeşilöz 1987 als illegaler Flüchtling in die Schweiz und engagierte sich von Anfang an vor allem kulturell. Als er sah, dass bei deutschsprachigen Verlagen kurdische Literatur nicht unterzubringen war, gründete er den ArArat-Verlag in Winterthur, später als Edition ArArat im Münsteraner Unrast-Verlag fortgesetzt. Ende der 90er Jahre begann er in der neuen Sprache zu schreiben, zunächst autobiografisch geprägte Geschichten aus dem Dorf, bald auch aus dem Hybridraum der Migration. Interkulturalität und das nicht weichen wollende Fremdheitsgefühl in der Diaspora sind unerschöpflicher Fundus für sein literarisches Schaffen.

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In „Soraja“ ist Ferhad etabliert in der Schweizer Kleinstadt, in die es ihn vor 24 Jahren als jungen Flüchtling verschlug, und doch fühlt er sich mit seinen bald 50 Jahren reif für einen Neuanfang. Es ist weniger die Sehnsucht nach der Heimat, die ihn den Entschluss fassen lässt, „zurückzugehen“, besser: den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft zu wagen. Mehr treibt ihn die Hoffnung, doch noch irgendwo einen Ort zum Wurzelnschlagen zu finden: „Der große Wunsch, irgendwann irgendwo ansässig zu werden, an einem Ort zu wohnen, den ich als meinen Ort betrachte, hatte sich mir nicht erfüllt.“

In einer Art stillen Countdowns erzählt er von den letzten Tagen in der Schweiz, bevor er „für immer“ zurückkehrt, in die vom Vater geerbte Wohnung in einer Stadt, die er nicht kennt: Ankara. Mit jedem Tag wachsen die Zweifel – am Bleiben wie am Gehen. Eine alte Liebe, die unverhofft wieder Nahrung erhält, Schweizer Freunde und Bekannte, die aus beruflichen oder privaten Gründen, oft kaum voneinander trennbar, die Hintergründe für seine Entscheidung hinterfragen, die skeptisch sind und sich an eigene Lebensbrüche erinnern, die ihm aber auch Glück wünschen. Alle geben ihm mit auf den Weg, er sei willkommen, wenn er nicht finde, was er gesucht habe. Es öffnen sich Türen, die Ferhad gar nicht will.

Immer wieder aber muss er sich und seine Kultur erklären, sieht sich mit hartnäckigen Vorurteilen selbst derer konfrontiert, die es gut mit ihm meinen, das ewige Diskutieren hat er satt: „Ich hatte keine Lust, eine Diskussion darüber zu führen, warum in meiner Kultur ein Schwein nicht rein sei, eine Kuh hingegen schon.“ Kaum in der „Heimat“ aber geht es mit dem Erklärenmüssen und Kämpfen gegen Vorurteile weiter, denn warum hat er nie eine Familie gegründet, ist nicht längst verheiratet?

Als die Fremdheit verstärkendes Element gibt Yeşilöz in diesem Buch seinem Protagonisten eine dunkle Hautfarbe, die diesen zum doppelt Fremden macht, in beiden Kulturen: In der Schweiz hält man ihn für einen Afrikaner, in der Türkei muss er sich mit der herabsetzenden Bezeichnung Arap abfinden: wörtlich „Araber“, aber weit verbreitet pejorativ für Afrikaner gebraucht, oder auch beleidigend Arap dölü (Araber-Brut). Ferhads Mutter Shehnaz war Tochter kenianischer Sklaven, die einst von einem griechischen Grundherrn an einen türkischen verkauft worden waren. Shehnaz hatte rasch Kurdisch gelernt und sich gut ins Dorf integriert, starb aber kurz nach Ferhads Geburt. Der Junge wuchs mit einer Stiefmutter nah am Klischee der Garstigkeit auf.

„Soraja“ ist auch eine Liebesgeschichte, die Geschichte einer unerfüllt gebliebenen Liebe, gescheitert wiederum an Ferhads Hautfarbe und sozialer Herkunft wie auch an seiner mangelnden Frömmigkeit. Denn Soraja, die Frau seines Herzens, kann und will sich den Erwartungen der Familie, einen religiösen Mann aus gutem Haus zu ehelichen, nicht widersetzen, obwohl sie sich in Ferhad verliebt. Yeşilöz zeichnet auch diese Figur in ihrer Zerrissenheit mit Fingerspitzengefühl. Der für seine Werke in der Schweiz mehrfach ausgezeichnete Yusuf Yeşilöz hat sich längst als kurdische Stimme unter den Deutsch schreibenden interkulturellen Schweizer Autoren etabliert. Seine Bücher nehmen gern tabuisierte Themen und marginalisierte Menschen in den Fokus. Yeşilöz’ Protagonisten sind sympathisch, seine Geschichten unaufdringlich, seine Sprache unprätentiös, nicht einmal seine deutliche Kritik an beiden Seiten moderner Migrationswelten stößt unbequem auf. Aktuell Rezension

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