No Go Area Bonn?

Der Ausbruch aus dem Teufelskreis

Integration kämpft oft mit einem Widerspruch: soziale Probleme müssen benannt werden. Werden sie aber benannt, besteht die Gefahr, dass Menschen mit Migrationshintergrund noch weiter ausgegrenzt werden. Der Grund ist die Angst vor gesellschaftlicher Komplexität.

Von Lena von Seggern Freitag, 30.05.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.06.2014, 18:02 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Das Treppenhaus riecht nach Urin und kaltem Rauch. An den Wänden umrahmt schwarzer Schimmel Filzstiftgekritzel. Ich verlasse die bedrückende Enge des Plattenbaus. Auf der Straße schwirren Frauen mit Kopftuch an mir vorbei. Ich schnappe Konversationsfetzen o-beinig laufender Jugendlicher auf: „Ich kann Dir gar nicht sagen, wie süchtig ich nach ficken bin!“ oder: „Die verkaufen Gras für so Auerberger“.

Diese stereotype Beschreibung des Bonner Stadtteils Tannenbusch spiegelt in etwa das mediale Klischee eines großstädtischen „Problemviertels“, in dem viele Zuwanderer und Arbeitslose leben. Sie ist vielleicht nützlich, um Interesse zu wecken. „Angst, Gewalt und Müll in Tannenbusch“ titelte etwa der Express 2012. Um die Realität darzustellen reicht so eine Beschreibung aber bei Weitem nicht aus.

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Tannenbusch ist eine typische innenstadtnahe Großsiedlung: Es gibt es einen sehr hohen Anteil von Zuwanderern und Deutschen mit Migrationshintergrund. Er liegt bei über 50% laut Entwicklungskonzept des Programms Soziale Stadt. Es wird weiter berichtet: Die häufigste Muttersprache ist Arabisch. Und es gibt auch einen hohen Anteil von Sozialleistungsempfängern. Die Infrastruktur weist große Defizite auf: Müll liegt auf der Straße, Spielplätze sind verwahrlost. Ibrahim Kader ist frustriert. Mehrfach bat er die Wohnungsbaugesellschaft darum, dass der Schimmel aus seiner Wohnung entfernt würde. Keine Reaktion. Er startete eine Unterschriftenaktion im gesamten Haus. Keine Reaktion.

Felix von Grünberg, der für die Bonner SPD im Landtag sitzt, bietet seit 1971 eine regelmäßige Rechtsberatung für Menschen an, die sich einen Anwalt nicht leisten können. Daher kennt er die Situation gut und erklärt: „Die Siedlung Neu-Tannenbusch wurde ursprünglich als Wohnort für Bundesbeamte angelegt. Nach dem Wegzug der Regierung hat man sämtlichen Wohnraum an private Unternehmen verkauft. Die sind zwar häufig an eine Mietobergrenze gebunden, investieren aber nicht in die Instandhaltung der Gebäude. Sie wissen, dass ein Hartz IV Empfänger keine Ansparmöglichkeit hat und daher nicht die notwendigen Renovierungsarbeiten einklagen kann.“

Tannenbusch ist eine No Go Area. Das behauptet die Studie eines privaten Sprachinstituts. Demnach verüben hier junge Deutsche mit Migrationshintergrund Übergriffe auf ausländische Sprachstudenten. Allerdings kann die Studie nicht nachweisen, dass es tatsächlich bestimmte Gegenden sind, in denen die Übergriffe auf Sprachschüler stattfanden. Sie kann auch nicht nachweisen, dass tatsächlich junge Deutsche mit Migrationshintergrund die Täter sind. Auch die Bonner Polizei widerspricht: Es gibt keine No Go Areas in Bonn. Die Kriminalitätsrate im Stadtteil sinkt. Die lokalen Medien berichteten dennoch ausführlich über die „No Go Area“ Studie, ohne offen zu legen, dass es sich nur um Behauptungen des Autors handelte, nicht um wissenschaftliche Beweise.

Die Jugendlichen in Tannenbusch fühlen sich stigmatisiert von den Medienberichten. Für den Rundfunk interviewten einige von ihnen Passanten in der Bonner Innenstadt. Die bestätigten das Klischee: „Ich denke auch, dass da wahrscheinlich ein höherer Anteil an Kriminalität ist“ vermutet eine junge Frau.

Die rechtsextremistische Partei PRO NRW nutzte diese Stimmung gar für ihren Kommunalwahlkampf. Sie warb mit dem Slogan: „Angstraum Stadt – Wir haben`s satt“. Daneben ist eine rot durchkreuzte Moschee abgebildet. Die Diskriminierung richtet sich also gegen Muslime, ihre Kultur wird als Ursache des Übels gesehen. PRO NRW ist bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 erneut in den Bonner Stadtrat eingezogen.

Wie kommt es zu diesen Ängsten? „In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine kleine Glaubensströmung gebildet. Sie hat sich einer von ihnen als rein empfundenen Form des Islam verschrieben. Auch in Bonn bilden sich diese Gemeinschaften und prägen das Stadtbild. Sie treten nämlich als betont fromme Muslime auf mit weiten Gewändern oder dem Ganzkörperschleier für Frauen. Auch Medizintouristen aus den Golfstaaten zeigen sich vermehrt zum Beispiel in Bad Godesberg mit der hier eher unüblichen weiten Bekleidung. Diese auffällige Optik einer speziellen Islamversion hat innerhalb der Bonner Bevölkerung zunehmend Überfremdungsgefühle ausgelöst“ erklärt die Politologin Raida Chabib, die derzeit an der Universität Frankfurt zum Islam in Deutschland forscht.

Aber das ist nur die eine Seite. Die Ängste fußen in einer noch viel tiefer sitzenden Furcht. Der Sozialwissenschaftler Timo Lochocki hat gezeigt, dass etwa 15% der Bevölkerung rechtskonservativ denken und wählen. Sie fürchten die komplexer werdende Welt, suchen nach einfachen Erklärungen. Und sind geneigt rechtspopulistisch zu wählen.

Es sind also diese diffusen Ängste, die Vorurteile in Bonn entstehen lassen und die Rechtsextremisten Aufwind geben. Die Folgen sind gravierend für Menschen mit Migrationshintergrund. Der Soziologe Professor Jörg Blasius erklärt: „Ein Stadtteil, in dem viele ärmere Menschen und Migranten wohnen, wird durch Bezeichnungen wie `No-Go Area` in der öffentlichen Wahrnehmung noch schlechter als er tatsächlich ist. In einer Bewerbung, z.B. auf einen Arbeitsplatz oder für eine Wohnung, wirkt die Nachbarschaft, in der der Bewerber lebt, in Kombination mit einem ausländisch klingenden Namen dann doppelt ausgrenzend“. Der Bewerber bleibt Arbeitslos. Die Ursachen für die Probleme vor Ort sind also soziale. Haben nichts mit Herkunft oder Religion der Bewohner zu tun.

Um aus dem Teufelskreis auszubrechen wurde Tannenbusch bereits 2009 in das Bund-Länder Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen. Damit erhält der Stadtteil besondere Fördermittel. Neben der Erneuerung der Gebäude stehen Sozialarbeit und die Verbesserung des Stadtteilimages im Vordergrund. „Gerade die Muslime kämpfen schon seit Jahren um mehr Anerkennung in Bonn“ so die städtische Integrationsbeauftragte Coleatta Manemann. Auf ihre Initiative wird es in Kürze im neuen Kommunalen Integrationszentrum eine Antidiskriminierungsstelle geben. Hier soll Beratung, Aufklärung und Vernetzung stattfinden.

Eine realistischere Beschreibung von Bonn Tannenbusch würde sich wahrscheinlich so anhören, wie die von Ibrahim Kader, den ich im Treppenhaus eines der Plattenbauten dabei antreffe, wie er den Fahrstuhl von Hundefäkalien reinigt: „Die Schule und der Kindergarten hier sind sehr gut. Die Nachbarschaft auch. Gefährlich ist es hier nicht. Nur die Wohnungsbaugesellschaft kümmert sich nicht. Aber ich lebe gerne hier.“

Das ist keine einfache Beschreibung. Sie ist widersprüchlich und ausdifferenziert. Passt nicht in das Klischee einer No Go Area. Aber Menschen, die mit der sozialen Realität überfordert sind, verlangen anscheinend nach simplen Darstellungen. Angesichts der stets komplexer werdenden Gesellschaft scheint es daher angebracht, eine komplexere Denkweise zu trainieren, damit Zuwanderer und deren Nachkommen in Deutschland endlich Anerkennung erfahren. Aktuell Gesellschaft

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  1. Wendy sagt:

    Der Artikel ist tendenziös. „Menschen die … überfordert sind“. Soll heißen – die hier lebenen Menschen die sich um die Zukunft der Gesellschaft machen, oder jene die konservativ wählen als“überfordert“ hinzustellen ist einfach gesagt eine Beleidigung.
    So, die Menschen sollen also eine andere Denkweise „trainieren“ ? Vielleicht schin la daran gedacht, dass diese MEnschen das gar nicht möchten – und auch nicht müssen?
    Zudem klingt das mehr nach „umerziehen“. Dann könnte man im Umkehrschluss aber auch sagen die hier herkommen könnten doch auch einfach mal „umerzogen“ werden.

    Wenn ich lese „Die NAchbarschaft ist gut“ und im Grunde stimmt nur das bild nicht, um im Satz davor zu lesen, dass die Menschen dort ihre Hunde scheinbar im Fahrstuhl ihr Geschäft erledigen dürfen, und dann nur auf die Hausverwaltung geschimpft wird, fällt mir nichts mehr ein.

    Und Schuld sind also eiher die „Deuschen“ die den Zuwanderern keine Anerkennung zuteil werden lassen….

    „Zuwanderer“ ist kein Qualitätsmerkmal, auch kein Malus. Es ist einfach nur eine Herkunftsbeschreibung. Es gibt sowohl in dieser Gruppe als auch in jeder anderen „gute“ und „schlechte“ Mitbürger. Menschen die sich um sich und andere kümmern, und Menschen die sich selber – und alle andern egal sind.
    ANerkennung muss sich jeder einzelne – auch jeder „nicht Zuwanderer“ – verdienen! Und da gibt es eine Vielzahl von guten wie auch schlechten Beispielen.

    Ich denke, die hier lebenden Menschen können das schon ganz gut selber einschätzen. Eine Schulung dafür brauche ich zumindest nicht.

    „Gerade die Muslime kämpfen für mehr Anerkennung“ – und bauen gleich etwas auf womit sie sich selber in die Opferrolle drängen – eine Anitdiskriminierungsstelle. Etwas wo man dann denkt, schau mal her hier gibt es etwas weil wir ja benachteiligt werden. DAs gleiche von der anderen Seite – die Menschen sehen nur es wird Aufwand betrieben um nur der Gruppe der „Diskriminierten“ zu helfen. Sie drücken sich dieses Stigmata also selber auf.

    Ein positives Signal ist das nicht, da gäbe es sicher andere und bessere Möglichkeiten um Anerkennung zu erhalten.

  2. Saadiya sagt:

    Das mit dem „umerziehen“ – also die Forderung nach Assimilation – ist weder gut noch sinnvoll. Für keine der beiden Seiten. Weder Deutsche noch Zuwanderer noch Menschen, mit deutschen Pass und Migrationshintergrund sollten eine „Umerziehung“ anstreben. Das Thema ist komplexer, den Transkulturalität ist vielschichtig, ihre Anerkennung immer noch nicht selbstverständlich und das Leben mit ihr setzt das Bestreben voraus, eine interkulturelle Gesellschaft sein zu wollen, in der die Verschiedenheit ihren Platz hat und in der auch unterschiedliche Lebensentwürfe nebeneinander stehen und sogar miteinander korrespondieren dürfen. Menschen – egal woher sie kommen und ob sie hier ursprünglich beheimatet waren oder nicht, tragen stets diverse Erfahrungen, Gewohnheiten usw. mit sich herum. Die auf ein Entweder-Oder reduzieren zu wollen, macht aus Menschen eine Sache und verkennt die Individualität des Lebens.