Flüchtlingscamp am Oranienplatz

Es wird mehr über Ratten gesprochen als über Flüchtlinge

Das Flüchtlingscamp am Oranienplatz mitten in Berlin gibt es schon seit Herbst 2012. Die Menschen demonstrieren für mehr Rechte für Flüchtlinge bei eisigen Temperaturen und trotz Rattenbefall. Aufgeben wollen sie dennoch nicht. Gabriele Voßkühler war vor Ort.

Von Gabriele Voßkühler Donnerstag, 30.01.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.02.2014, 0:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ratten sieht man an diesem eiskalten Wintertag auf dem Oranienplatz keine. Der Rattenbefall im Berliner Flüchtlingscamp am Oranienplatz war Thema in den vergangenen Tagen, in der Presse und unter den Flüchtlingen. Herr Varol, ein älterer Mann mit Hund, der direkt am Platz wohnt, bemerkt dazu nur trocken: „Die Ratten machen heute wohl Winterschlaf.“ Wenn er abends mit seinem Hund hier spazieren geht, „ist alles voll mit den Biestern“, erklärt Varol weiter.

Neben ihm steht Hakim, ein junger Afrikaner: Man kennt sich und redet fast täglich miteinander. Herr Varol kann ein bisschen Englisch. Wenn nötig, redet er mit Händen und Füßen, damit Hakim ihn versteht. Ein paar Mal in der Woche kauft der Rentner mit osteuropäischem Akzent in dem Supermarkt am Platz ein und bringt Hakim nachher Lebensmittel vorbei. Letztens kam er sogar mit einem kleinen Fernseher: „Wenn ich abends bei mir zuhause die Heizung aufdrehe, denke ich an die Leute hier und sie tun mir leid“, sagt Varol. Herr Varol und Hakim sind Nachbarn. Nachbarn, die sich mögen. Das fällt jedem Beobachter sofort auf.

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Hakim lebt seit einem Jahr im Flüchtlingscamp am Oranienplatz. Wenn man ihn auf die Zeitungsartikel der letzten Tage und Wochen anspricht, wird er zunächst einmal böse. Böse auf die Journalisten und böse auf die Politiker, die während der letzten Tage vor allen Dingen über ein Thema gesprochen haben: Die Ratten. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hat in einem Schreiben an die Polizeibehörde den Polizisten geraten, bei möglichen größeren Einsätzen in dem Camp Handschuhe und Staubschutzmasken zu tragen. Wegen der Krankheitserreger, die durch Ratten übertragen werden können.

„Die lenken doch nur von der eigentlichen Debatte ab. Natürlich gibt es hier Ratten, aber wie überall in Berlin. Wo es Menschen gibt, gibt es auch Ratten“, sagt Hakim. „Das Gesundheitsamt hat Rattengift auslegen lassen“, bemerkt Herr Varol, als Hakim kurz weggeht, um einen jungen Mann zur Rede zu stellen, der sich an einem der Zelte zu schaffen macht. Ganz offensichtlich weiß er, dass sein Freund auf das „Ratten-Thema“ nicht gut zu sprechen ist.

Als Hakim zurückkommt, bringt er den jungen Mann mit: Ein Video will dieser hier drehen und braucht einen „Termin“, im Info-Zelt hat man ihn bereits weggeschickt. Die Campbewohner sind kritisch geworden: „Schon so viele Leute haben ‚Kunstprojekte‘ hier gemacht, aber geändert haben die nichts“, kritisiert Hakim. Der junge Mann schafft es aber doch Hakim von der „Bedeutung“ seines Videos zu überzeugen und darf an einem anderen Tag wiederkommen.

Derzeit übernachten zwischen 30 und 40 Menschen auf dem Oranienplatz in provisorischen Zelten und kleinen Hütten aus Holzplatten: Matratzen sollen gegen die Kälte isolieren. Hakim will diese Menschen aber lieber nicht zählen: „Die Camp-Bewohner sind wie Wasser. Man kann sie nicht zählen.“ Es ist tatsächlich schwierig geworden genaue Angaben über die Anzahl der Camp-Bewohner zu machen, seit Ende letzten Jahres einige der Flüchtlinge auf Initiative der Senatssozialverwaltung in ein früheres Caritas-Seniorenheim nach Wedding umgezogen sind. Die meisten dieser Menschen schlafen nur dort, die Tage verbringen sie weiterhin im Camp. Für Hakim wäre das nichts: „Für mich bedeutet das Camp Freiheit. Ich lasse mich in keine Flüchtlingsresidenz stecken.“ Das hat Hakim alles schon erlebt, in Italien und in Bayern. „Dort lebst du wie ein Aussätziger. In Italien setzen die Leute sich im Bus nicht neben dich und in Bayern hörst du beim Bäcker erst einmal ‚Fuck off’“. „Berlin ist da schon anders“, stellt Hakim fest.

Hakims Geschichte handelt – wie so viele der Geschichten hier – vom Krieg. Sechs Jahre hat er in Lybien gelebt, dann ist er vor dem Krieg dort geflüchtet und hat das Mittelmeer überquert, in einem Boot, das „wie ein Blütenblatt“ dem Meer ausgeliefert war. „Viele sind bei dieser Überfahrt ums Leben gekommen, andere sind schwer erkrankt und wieder andere haben beinahe ihren Verstand verloren“, kann man in einer Petition, die im Info-Zelt ausliegt, darüber lesen. Aber Hakim will nicht weiter über seine Flucht reden, „zu viele schlechte Erinnerungen“, sagt er nur.

Auf die Frage, wie es nun weitergehen soll mit dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz, antwortet Hakim nur eins: Aufgeben wird er nicht. Hinter vorgehaltener Hand erzählt er, dass Vertreter des Camps mit der regierungsführenden Partei in Berlin, der SPD, Verhandlungen führen über die Zukunft des Camps. Aber darüber darf er keine Auskunft geben. Im Flüchtlingscamp am Oranienplatz will Hakim „solange wie nötig“ bleiben, mit Ratten oder ohne. Wohl auch, weil das Leben im Camp das Beste ist, was ihm seit langem passiert ist. Aktuell Politik

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  1. Da wo Menschen wie Ratten behandelt werden, da stellen sich auch Ratten ein.
    Diese Ratten werden dann wiederum ernster genommen als die Menschen selbst.
    Besser lässt sich der vorherrschende Strukturalfaschismus nicht verdeutlichen.
    Dass sich die Menschen, die mit Menschen so umgehen, selbst „rattig“ verhalten scheint jedoch keiner zu bemerken.

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)
    http://www.mig-gesundheit.com

  2. Gero sagt:

    J. Özcan: Da wo Menschen wie Ratten behandelt werden, da stellen sich auch Ratten ein.
    _____

    Nein, Josef. Ratten stellen sich dort ein, wo Menschen (un-)hygienische Bedingungen dafür schaffen (oder zulassen).

    Ein Zeltlager für sich gesehen muss nicht zwangsläufig unter Rattenbefall leiden.

    Es liegt am sorglosen Umgang mit den Lebensmitteln, und im sog. „Camp“ sind es die Bewohner, die dafür zuständig sind.

    Aber – wie auch immer, dieses Zeltlager wird nicht über Ostern hinaus bestehen.

    Ach, noch eine Bitte, Josef: Erklären Sie doch bitte mal den Begriff „Strukturalfaschismus“ am Beispiel dieses Flüchtlingscamps. Danke.

  3. Lieber „Herr Gero“ gerne bin ich bereit sie zu belehren … das ist meine Aufgabe und der komme ich gerne nach … der Grund warum sich im Umraum von vielen Flüchtlingen Ratten einfinden ist der, dass sie in unwürdigsten Verhältnissen leben müssen … sie werden in Löcher abgeschoben die Einheimische nicht einmal als Klo benutzen würden … gehen sie mal selbst hin Herr Gero … die Flüchtlinge werden wie Ratten behandelt woraufhin sich Ratten einstellen …

    Verhältnisse in denen Menschen faktisch wie Ratten behandelt werden sind mit dem Begriff „Strukturalfaschismus“ eigentlich noch viel zu harmlos d.h. zu „formal“ benannt, aber ich muss mir in so einem Forum wie hier ja auch Mäßigung auferlegen … das verstehen sie sicher „Herr Gero“ …

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)
    http://www.mig-gesundheit.com

  4. Gero sagt:

    Lieber Josef Özcan,

    leider wieder nicht richtig, was Sie hier schreiben. Die Zeltflüchtlinge am Oranjenplatz in Berlin müssen nicht so hausen, wie sie es dort tun. Die grüne Bezirksbürgermeisterin wäre heilfroh, wenn diese den Platz verlassen würden. Es werden mittlerweile große Anstrengungen seitens der Politik unternommen, um zu einer Lösung zu kommen.

    Flüchtlinge werden auch nicht in „Löcher abgeschoben“, wie Sie uns weismachen wollen. Desweiteren werden Flüchtlinge hierzulande auch nicht wie Ratten behandeln – ich kann Ihnen nur dringend raten, sich zu mäßigen.

    Und nochmal: Ratten stellen sich nur dort ein, wo Menschen zu sorglos mit Lebensmitteln hantieren. Die Rattenplage im Camp geht auf das Konto der dort campierenden Bewohner.

    Ich würde doch noch zu gerne von Ihnen eine Definition des Begriffs „Strukturalfaschismus“ hören, Herr Özcan.

    Freundliche Grüße, Gero

  5. Global Player sagt:

    „Bayern hörst du beim Bäcker erst einmal ‘Fuck off’““

    Selten so einen Unsinn gelesen. Bayern ist groß, redet der Mann von einem 100-Seelendorf oder einer Großstadt? Ein Bayer würde ausserdem niemals Fuck off sagen, eventuell hat der Herr hier was falsch verstanden?