Interview mit Erci Ergün
„Deutschland, ich bin hier aufgewacht.“
"NSU und Nazi Mörder, Polizei beschützt die Brüder." Ein Reim aus dem neuen Single vom ehemaligen Cartel-Mitglied Erci Ergün, der musikalische Akzente mit politischen Inhalten setzt. Trotz aller Kritik ist der Refrain aber einem klaren Bekenntnis zu Deutschland gewidmet. Werner Felten sprach mit ihm:
Von Werner Felten Dienstag, 03.09.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.09.2013, 23:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ist das dein erster politischer Song? Wenn ja warum?
Erci Ergün, geboren 1973 in Berlin, ist Musiker, Produzent und Radiomoderator. Er war Mitte der 1990er Jahre Mitglied der stilbildenden Hip-Hop-Gruppe Cartel. Mit 33 Jahren beschloss er, in die Türkei überzusiedeln, lebt allerdings seit 2007 wieder in Berlin. Außerdem arbeitete Ergün als Radio-Moderator bei Kiss FM, Radio Multikulti Fritz und Metropol FM.
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Erci Ergün: Ein ähnliches Thema hatte auch mein Song „Weil ich’n Türke bin“ aus dem Jahr 1998. Aber ich empfinde auch den aktuellen Song nicht wirklich als politisch, obwohl er natürlich politisch ist. Das liegt daran, dass man als Deutscher mit Migrationshintergrund irgendwie zwangsläufig mit Fragen zur Herkunft und Fragen zu der deutschen Haltung dazu aufwächst. Man hat sich, also auch als komplett unpolitischer Mensch, ganz sicher zu diesem Thema schon viele Gedanken gemacht.
Wie hat sich deiner Meinung nach das Verhalten der deutschen gegenüber den Deutschtürken verändert?
Ergün: Da gibt es verschiedene Entwicklungen. Auf der einen Seite ist ohne Frage eine sehr große Entspanntheit, Akzeptanz und Normalität bei vielen eingekehrt. Sodass viele die Menschen mit Migrationshintergrund als neue Deutsche sehen und wirklich nur noch nach dem jeweiligen Charakter des einzelnen beurteilen. Auf der anderen Seite war die deutsche Wiedervereinigung und der 11.September für ganz viele Ur-deutsche der Grund mit diesem Thema komplett abzuschließen und nun auch die Berechtigung empfinden, diese Menschen hier nicht haben zu wollen und dafür mit allen Mitteln zu kämpfen. Wie tief das rassistische Gedankengut in der deutschen Gesellschaft noch verwurzelt ist, haben die Taten der NSU Terrororganisation bewiesen. Es gibt noch sehr viele Menschen in Deutschland, die die Taten der NSU und ähnliche rechte Gewalt insgeheim befürworten.
Ist der Wunsch vieler Deutschtürken in die Türkei zu gehen, nicht manchmal die Flucht vor dem eigenen Scheitern?
Ergün: Da ist etwas dran. Das Problem ist, dass man, wenn man es schwer hat und man unglücklich ist, nicht unterscheiden kann, ob diese Schwierigkeiten daher kommen, dass man im falschen Land lebt, ein Land das einen nicht will. Oder ob das die ganz normalen Hochs und Tiefs in einem Menschenleben sind, die man überall auf der Welt genauso hätte. Da kommt man schon öfter zu der Frage, wäre ich woanders besser aufgehoben?
Warum stehen immer die Deutschtürken als Problemfälle in der Öffentlichkeit? Andere Gruppen, wie zum Beispiel die Russlanddeutschen werden nicht problematisiert.
Ergün: Ich denke, das hat damit zu tun das die Deutschtürken zum einen durch ihr Äußeres mehr auffallen und zum anderen weil Deutschtürken einfach die größte Gruppe an Menschen aus einem anderen Land bilden. Besonders störend ist, dass man alles und jeden als Türken identifiziert, was nur im Ansatz südländisch aussieht. Es gibt Menschen aus sehr vielen Ländern, die mit Türken oder türkischer Kultur gar nichts zu tun haben. Sie werden dann alle für Türken gehalten. So entsteht dann schnell das Bild des „Problemtürken“ oft zu Unrecht.
Ist für die mittlerweile vierte Generation das sogenannte Integrationskonzept überhaupt noch notwendig?
Ergün: Eigentlich sollte es nicht mehr notwendig sein. Aber es gibt sicher viel nachzuholen. Ich finde es generell nicht verkehrt, sich um das Thema zu kümmern. Ob man das mit Jugendarbeitern macht oder mit speziellen Integrationsprogrammen. Es ist nicht verkehrt, diesen Menschen und zum besseren Zusammenleben aller Menschen in Deutschland diesen Dingen Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn es z.B. sprachliche Defizite gibt, dann sollte es ruhig Extrasprachunterricht geben. Falsch wäre es die jungen Leute – egal, aus welchem Land sie kommen – alleine zu lassen. Das Signal an diese Jugendlichen sollte sein, dass es kein Fehler ist, dass sie hier sind und dass sie mit eigenem Einsatz und Fleiß Chancen haben, etwas zu erreichen. Leitartikel Videos
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