Wahljahr 2013

Wie Parteien um Migranten werben

Wahlprogramme auf Spanisch, türkisches Name-Dropping und Migranten-Plakate mit dem Parteichef: Alle Parteien machen Wahlkampf auch um die Stimmen von Einwanderern und ihren Nachkommen. Der Mediendienst Integration hat nachgefragt, wie diese Angebote aussehen.

Von Dienstag, 16.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.07.2013, 20:39 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Menschen aus Einwandererfamilien machen je nach Region bis zu zehn Prozent der Wahlberechtigten aus, in manchen Wahlkreisen sind es deutlich mehr. Das wissen längst auch die Parteien, berichtet der Mediendienst Integration. Bereits 1996 schrieb Der Spiegel: „Die Parteien entdecken eine neue Mitgliederreserve – die ehemaligen Gastarbeiter und deren in Deutschland geborene Kinder.“ Damals wurden erste Ansätze diskutiert und parteiinterne Migrantengruppen gebildet. Die Suche nach geeigneten Mitteln für den Stimmfang im Migrantenmilieu setzt sich bis heute fort. Der Mediendienst Integration hat nachgefragt, was die Parteien im Bundestag in diesem Wahlkampf dafür vorgesehen haben.

CDU: Ambivalenz überwunden, Symbole für Migranten
Über viele Jahre gab es wenig konkrete Hinweise darauf, dass die Christlich Demokratische Union Deutschlands ethnische Minderheiten wie Türken, Araber, Italiener oder Spanier als Zielgruppe definiert hatte. Inzwischen hat sich das offenbar geändert. Die Personalpolitik der CDU verdeutlicht die Ambivalenz und Wende: 2010 wurde die Quereinsteigerin Aygül Özkan in Niedersachsen zur „ersten türkischstämmigen Ministerin“ ernannt. Ein Novum für ganz Deutschland. Auf der anderen Seite stellen die Christdemokraten mit Cemile Giousouf zum ersten Mal eine CDU-Kandidatin „mit Zuwanderungsgeschichte“ für einen aussichtsreichen Platz im Bundestag auf – SPD und Grüne hatten das bereits vor über zehn Jahren getan.

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Auch inhaltlich bringt sich die CDU in Stellung: Ende 2011 haben die Christdemokraten den „Bundesfachausschuss Innenpolitik und Integration“ gegründet und einen Beschluss unter dem Motto „Vielfalt und Zusammenhalt“ veröffentlicht. Konkrete Maßnahmen stehen nicht darin, aber ein grundsätzliches Bekenntnis zur Pluralität in Deutschland.

Bülent Arslan, Vorsitzender im „Deutsch-Türkischen Forum“ (DTF) der CDU und seit fast 20 Jahren in der CDU aktiv, sitzt dem neu gegründeten NETZWERK INTEGRATION vor, zu dem bei der CDU leider keine weiteren Informationen zu finden sind, als die Kontaktdaten von Arslan.

Laut Pressestelle soll das Netzwerk Strategien erarbeiten, wie man Wähler mit Migrationshintergrund gewinnen kann, und CDU-Mitglieder bündeln, die sich mit dem Thema Integration beschäftigen. Über die Wahlkampfthemen werde noch beraten, sagte Arslan dem MDI. Sicher sei, dass diese aus dem Wahlprogramm der CDU entnommen werden. Arslan persönlich möchte die Themen Arbeit und Wirtschaft, Familie sowie Religion in den Mittelpunkt rücken.

SPD: Ringen um neues Vertrauen
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands verzichtet auf den Begriff Integration und gründete Anfang Juni ein Kompetenzteam mit der BUNDESARBEITSGRUPPE MIGRATION UND VIELFALT. Vorsitzende ist die stellvertretende Parteivorsitzende Aydan Özoğuz aus Hamburg, ihr Stellvertreter ist Aziz Bozkurt, der wiederum gleichzeitig der Berliner AG Migration vorsitzt.

Özoğuz, Bozkurt und die anderen haben durchaus keine leichte Aufgabe: Die SPD ist vor allem bei vielen traditionell sozialdemokratisch wählenden Türkeistämmigen in Misskredit geraten. Grund dafür ist unter anderem die Personalie Thilo Sarrazin, aber auch das bis heute nicht eingeführte Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft, dass die SPD ihren Wählern aus Einwandererfamilien mehrfach versprochen hat. Die Arbeitsgruppe Migration und Vielfalt soll dieses Vertrauen wieder herstellen. Dafür muss sie sich bisweilen von der Parteilinie lösen.

Im Wahlkampf wird die AG laut Aziz Bozkurt unmissverständlich klarmachen, dass im Falle einer Koalition die SPD von dem Versprechen „Doppelte Staatsbürgerschaft“ nicht abrücken darf. Außerdem werde sie auf die Themen Flüchtlinge, Interkulturelle Öffnung, Wahlrecht und Antidiskriminierung setzen. Bozkurt stellt klar: Die Arbeitsgruppe werde in einigen Punkten über die Beschlüsse der Partei im Wahlprogramm hinaus gehen. So wolle sie das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen, während die Partei dieses „nur ändern“ wolle. Sie wolle außerdem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) durch ein neues Antidiskriminierungsgesetz ersetzen.

Bündnis 90/Grüne: Mehrsprachige Flyer, keine Migrantenquote
Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Migration und Flucht der Grünen (Seite im Aufbau) versteht sich als Think Tank. Eine Besonderheit: Als Ergebnis einer jahrelangen Diskussion habe sich die Partei von der Integrationspolitik verabschiedet und wende sich jetzt der Inklusionspolitik zu, so AG-Sprecherin Melanie Schnatsmeyer. Die Bundestagsfraktion stellte Mitte Juni ein entsprechendes Positionspapier vor.

Bei der Frage nach Kandidaten mit Migrationshintergrund gingen die Grünen einen Schritt weiter als andere Parteien und diskutierten über die Einführung einer Migrantenquote. Die AG habe sich dagegen entschieden, sagt Schnatsmeyer. Zur Ablehnung der Quote beigetragen habe unter anderem die Frage, bis zu welcher Generation ein Mensch noch einen Migrationshintergrund habe.

Mitglieder aus Einwandererfamilien mit Posten zu versehen, ist für die Grünen nicht neu. Inzwischen wird der Migrationshintergrund von Abgeordneten wie Memet Kılıç, Josef Winkler oder dem hessischen Landesvorsitzenden Tarek Al-Wazir nicht mehr hervorgehoben.

In ihrem Wahlprogramm findet sich bei den Grünen unter „BürgerInnenrechte stärken“ ein Unterpunkt zu Einbürgerung und Inklusion. BAG-Sprecherin Schnatsmeyer nennt als zentrale Themen für den Wahlkampf den Umgang mit Flüchtlingen, eine Novellierung des Zuwanderungsgesetzes mit einem Punktesystem, die Abschaffung der Optionspflicht, ein kommunales Wahlrecht für alle und die Abkehr vom Integrations-Begriff.

Für den Wahlkampf seien Flyer zu den Schwerpunktthemen in verschiedenen Sprachen geplant. Leitartikel Politik

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